44. Verrückte Ideen

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AZAD

„Ich habe beschlossen, die zu sein, die ich immer zu sein geträumt habe — und einen Traum zu verwirklichen hat immer seinen Preis."

Paulo Coelho - Die Spionin

Unsicher fuhr ich mir durch die Haare. Ich hatte eindeutig irgendwas geraucht, bevor ich die 350 Kilometer gefahren war. Wie sonst war ich auf diese Schnapsidee gekommen? Mit welchem Recht stand ich nun mit dem Auto in der Einfahrt von Zümras Elternhaus?

Für einen kurzen Augenblick schloss ich meine Augen und atmete tief ein und aus. Plötzlich tauchte eine lächelnde Zümra vor meinem inneren Auge auf, sodass ich den Grund für meine Tat gefunden hatte: Ich hatte mich in Zümra verliebt, ich wollte sie heiraten und für immer in meinem Leben behalten. Gleichzeitig erschien auch die aufgebrachte Zümra in meinem Kopf, der letzte Anblick, den ich vor ihrer Abreise sehen durfte.

Mit einem Hieb schwang ich mich aus dem Auto und lief auf das Zweifamilienhaus zu. Ich versuchte mich an Zümras Beschreibungen zu erinnern, in welcher sie erklärt hatte, welche Hälfte ihnen gehörte.

„Vor unserer Haustür ist der Rosenstrauch meiner Mama.", erinnerte ich mich an ihre Worte, als ich versucht hatte sie nach einem ihrer Tränenausbrüche zu beruhigen. Schnell blickte ich über beide gepflasterte Wege, die zu den Türen führten und erkannte in der rechten Hälfte einen Strauch, der mit tiefroten Rosen verziert war.

Unsicher und doch genauso sicher im Vorhaben lief ich die paar Meter zur Tür und klingelte an dieser, an der in Großbuchstaben ihr Nachname stand.

Ungläubig blickte ich gegen die Tür. Was zum Teufel hatte ich getan? Woher hatte ich diesen Mut zusammengetrommelt? Als ich Anstalten machen wollte, wieder zu gehen, wurde die Tür geöffnet und ich erkannte einen Mann, einige Jahre jünger als mein Vater, in der Tür.

Er zog seine Augenbrauen zusammen und sah mich mit einem kritischen Blick an, den ich von seiner Tochter nur zu gut kannte. Und falls der Blick bei ihm das gleiche bedeuten sollte, wie bei Zümra, wusste ich, dass der Mann in der Tür versuchte sich an mein Gesicht zu erinnern.

„Entschuldigen Sie die Störung", fasste ich mich und blickte ihm mit einem schüchternen Blick ins Gesicht. „Ich bin Azad Balta — ein Freund ihrer Tochter — und möchte gerne mit Ihnen über ein wichtiges Anliegen reden, wenn Sie die Zeit für mich aufbringen können", sagte ich und fasste mir unsicher an den Nacken. Der Mann lächelte leicht, trat zur Seite und lud mich mit einer einladenden Geste ins Haus ein. Ich streifte meine Schuhe ab und betrat das Haus, in welchem meine Nachbarin aufgewachsen war.

„Ich habe keinen fertigen Tee da, ich kann dir aber einen Kaffee anbieten, mein Sohn", hörte ich die Stimme von Zümras Vater und fühlte etwas, was ich seit dem Tod meines Großvaters nicht mehr verspürt hatte: Väterliche Nähe. „Ich möchte Ihnen keine Umstände bereiten", versuchte ich ihn von seinem Vorhaben zu hindern, doch er schüttelte lediglich den Kopf. „Man kann doch kein Gespräch führen, ohne nebenher etwas zu trinken", grinsend betrachtete er mich.

Mit zwei Tassen Kaffee gewappnet, betrat Mehmet Bilir das Wohnzimmer, in das er mich vor fünf Minuten geführt hatte und sich dann zum Kaffee zubereiten in die Küche begeben hatte.

„So mein Junge", lächelte er mich an. Man sah ihm an, dass er selbst nicht wusste, was er mit dieser Situation anfangen sollte. „Erzähl mir, was dich hergeführt hat, woher du mich kennst, was du von mir willst", bat er mich und trank einen Schluck seines Kaffees.

In seinem Gesicht erkannte ich Teile von Zümra: ihre Augen und die strengen, aber gleichzeitig liebevollen Blicke hatte sie eindeutig von ihrem Vater. Und die Grübchen hatte sie auch von dem Mann gegenüber von mir vererbt bekommen.

Fels in der BrandungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt