K A P I T E L 16 - Ignoranz tötet

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Wie seltsam, dass nur eine Person dein ganzes Leben aufs' Kopf stellen kann. Alles geschah auf einmal.
Die wirren Gefühle für Okan, seine Geheimnisse und später auch noch der Feind. Und das schlimmste ist, dass er mich verabscheut! Ich sehe kein Sinn mehr dahinter, ihn zu beschützen ...
Ich schade mir nur noch selber. Ich will aufgeben, doch bringe es nicht über's Herz! Das Herz, dass immer noch liebevoll für ihn schlug ...

Seit Tagen sah ich Okan nicht mehr. Die Lücke in mir wuchs immer mehr. Ich sehnte mich nach ihn. Immer wieder kam er mir vor den Augen ...
Wie armselig von mir, ich interessiere ihn nicht mal. Manchmal fange ich an ihn zu hassen, doch dann merke ich eher, dass ich mich selber hasse, weil ich ihn liebe.

Ich kam bei der Uni an und parkte ein. Kurz schloss ich die Augen und dachte, ob ich zurückkehren sollte. Doch dann zwang ich mich zu gehen. Wie immer stieg ich unsicher aus.
Ich sah das Gebäude vor mir und setzte mich in Bewegung. Als ich mich umsah, bemerkte ich, dass ich nicht alleine war. Hinter mir lief ein Gesicht, das mir bekannt war. Woher kannte ich ihn? Ah, jetzt fiel es mir ein ...
Es war Emirs Freund, Komplize, was er auch immer ist. Er erkannte mich und seine Mundwinkel erhoben sich leicht.

Schnell drehte ich mich wieder um und wurde zügiger. Vielleicht ist er auch ein Psycho, wer weiß?
"Keine Angst, ich mache dir nichts!", rief er mir hinterher. Ich ignorierte ihn und ging schnell weiter.
Heute hatte ich später Unterricht und ging alleine rein. Esra und Demet nehmen an einem Kurs teil, der in den ersten zwei Stunden stattfindet. Ich fühlte mich schutzlos ohne sie. Denn sie gaben mir Halt.

Ich betrat das Gebäude und atmete tief ein. Als ich nach vorne blickte, blieb ich wie verwurzelt stehen. Plötzlich stand Okan vor mir. Am Ende des Ganges unterhielt er sich mit Rüzgar.
Wo war er so lange? Was hatte er gemacht?
Okan bemerkte mich und er erstarrte auch. Im nächsten Moment verhärteten sich seine Gesichtszüge. Er war nicht so froh mich zu sehen ...
Von der einen Seite freute ich mich ihn zu sehen, doch von der Anderen, verletzten mich seine Blicke.
Rüzgar bemerkte Okans Miene und drehte sich ebenfalls zu mir um. Kurz erstarrte er. Danach sagte er etwas zu seinem Freund. Okan nickte und antwortete ihm. Worüber redeten sie wohl? Bestimmt über mich ...

Die Beiden setzten sich in Bewegung und näherten sich Richtung Ausgang. Jeder Schritt, der zu mir führte, ließ mein Herz in Tausende Stücke brechen. Er hasst mich! erinnerte ich mich.
Und ich? Bin von Kopf bis Fuß in ihn verliebt. Wie armselig von mir!
Ich stand immer erstarrt da und konnte mich nicht bewegen. Meine Kehle war wie verschnürt und meine Augen füllten sich langsam. Es fühlte sich so an, als ob ich ihn eine Ewigkeit lang nicht gesehen hätte. Ich hatte ihn vermisst! Die Leute in der Umgebung schauten ihn verblüfft an und das Getuschel fing wieder an. Ich war schon mittlerweile daran gewöhnt ...

Okan schaute mich wie ein Feind an. War ich so abwertend für ihn?
Als er an mir vorbeilief, schloss er kurz die Augen und ging weiter, ohne mir ein Blick zu würgen. Du musst ihn vergessen! Du musst ihn verdammt nochmal vergessen!
Ich schluckte und unterdrückte die Schluchzer, die gleich kommen würden. So gerne hätte ich nach ihn gerufen, doch ich wusste wie falsch es war ...
Tief atmete ich ein und machte mich schnell fort. Mein Herz verengte sich beinahe. Etwas geschah mit mir. Die Blumen, die in mir blühten, welkten auf einmal. Sie trockneten aus und verblichen. Danach platzten sie in viele Stücke und hinterließen brennende Spuren. Es tat weh, dass er mich ignorierte. Es tötete mich ...

Die erste Lesung war um. Ich saß mit meinen Freunden draußen in der Cafeteria.
"Die letzten warmen Tage! Schade! Der Herbst kommt auch schon ...", sagte Demet. "Ja! Jetzt wird es wieder so kalt.", meckerte Esra.
Er ist zu gefährlich für dich. Er bringt dich die ganze Zeit in Gefahr! Du musst ihn vergessen!
"Eylem? Geht es dir gut?", fragte Esra besorgt und wandte sich zu mir.
Ich schüttelte den Kopf.
"Mir geht es absolut nicht gut!", bestätigte ich und stand auf.
"Wohin?", fragte Demet und stand auch auf.
"Ich komme gleich.", sagte ich und ging. Da war es wieder! Dieses Stechen in meiner linken Seite ... Mein Hals schnürte sich wieder zu.
Sofort eilte ich zur Toilette und wusch meine Hände mit kaltem Wasser. Ich streifte sie an meinem Nacken ab und versuchte mich zu beruhigen.
Mein Spiegelbild reflektierte jemand Fremdes.
Das bist du nicht! Was ist aus dir geworden?

Gerade, als ich die Türe öffnete, traf ich auf Ilayda.
"Hallo Ilayda, können wir reden?", fragte ich. Kurz überlegte sie und nickte dann. "Um was geht es?", fragte sie. "Um Emir und Okan."
"Und was willst du von mir wissen?", fragte sie. "Am ersten Tag, als sich die Beiden getroffen hatten, wolltest du Emir abhalten. Wieso? Kennst du ihn? Wart ihr früher Freunde?", fragte ich.
Sie wandte sich wieder von mir ab und atmete tief aus.
"Eylem, es gibt so viele Dinge, die du über die Vergangenheit nicht weißt.", sagte sie nur und ging wieder.
"Warte! Ich will dir noch etwas sagen!", rief ich. Ilayda stoppte.
"Dein Psycho-Freund hat mit letztens einsperren lassen, vielleicht willst du es wissen.", sagte ich.
"Wenn du aufhörst mit dem Feuer zu spielen, wirst du dich auch nicht mehr verbrennen.", meinte sie.
Was sollte das heißen? Gab sie ihm Recht?
Ich spielte mit gefährlichen Flammen, sie hatte irgendwie schon Recht.

Der Unterricht war endlich um. Ich lief raus zum Parkplatz. Mir kam wieder Okan vor den Augen. Er will Abstand von mir halten? Dann mache ich das ... Ich kann ihn ja zu nichts zwingen.
Einen Moment! Ist das nicht Elnur da vorne?
"Elnur!", rief ich und lief auf ihn zu. Er drehte sich um und blieb stehen.
"Hallo Eylem", grüßte er mich. Mindestens redete er mit mir. "Hallo Elmir, hast du kein Redeverbot?", fragte ich.
"Redeverbot?", fragte er verwirrt.
"Rüzgar und Okan reden nicht mit mir, deswegen ... Ich habe Okan heute morgen gesehen, er ist ja wieder zurück."
"Ja, wir haben heute eine Prüfung geschrieben, sonst wäre er nicht gekommen.", erklärte er. "Verstehe ...", sagte ich und nickte.
"Elnur, weißt du wo Okan so lange war?", fragte ich dann endlich.
Doch er schüttelte den Kopf.
"Eylem, ich weiß wie sehr dir Okan bedeutet ... Aber er ist nicht jemand Gutes für dich. Es wird schlecht für dich enden.", sagte er zuletzt und setzte sich in Bewegung.
Das weiß ich auch Elnur, das weiß ich auch ...

Der Mond beleuchteten die Dunkelheit.
Winzige Sterne verzierten den Himmel. Es wurde schon windiger. Die Bäume raschelten und bewegten sich nach dem Tanz des Windes. Ich schaute die Sterne wieder an. Sie waren einsam, doch irgendwie auch zusammen.
Die eingetroffene Kälte machte mir nichts aus. Meine Gedanken hatten mich schon in ein Eiswürfel umgewandelt und mich gelähmt. Wie ein Bumerang fielen immer die Selben Wörter in mein Kopf ein.
Du musst ihn vergessen! Du musst ihn vergessen ...

"Abla? (Schwester?)", wurde die Stille unterbrochen.
"Was machst du hier auf dem Balkon?", fragte Didem und ich hörte sie nähern.
"Nichts.", kam leise von mir.
"Wie nichts?", fragte sie und stellte sich zu mir. Tief atmete ich aus und wandte mich zu ihr.
"Ich denke nach.", sagte ich dann.
"Du frierst ja!", fiel ihr auf, als sie meine Wange abtastete.
Sie legte eine Decke um meine Schulter und suchte mein Blick.
"Was ist los mit dir?", fragte Didem.
"Weiß ich nicht."
"Du hast dich in den letzten Wochen verändert! Mit dir ist etwas los!", meinte sie.

Müde setzte ich mich auf die große Hollywood-Schaukel. Didem setzte sich zu mir.
"Du weißt, dass du mir alles anvertrauen kannst.", erinnerte sie mich. "Das weiß ich, danke.", sicherte ich und lächelte sie matt an.
"Wieso erzählst du mir dann nicht von deinen Problemen? Denkst du, dass ich das nicht bemerke?", fragte sie.
Kurz hielt ich inne und überlegte wie ich antworten sollte.
"Es gibt Dinge, die ich einfach vergessen will! Wo ich denke, dass ich sie lieber nicht erlebt hätte!", sagte ich dann zittrig.
"Um was geht es? Sag es mir bitte!"
Didem wusste sofort, wenn etwas mit mir nicht stimmte. Sie kannte mich gut und natürlich kann ich ihr auch alles anvertrauen. Doch ich brachte es einfach nicht über die Lippen, über mein gebrochenes Herz zu reden.
"İyiki varsın! (Zum Glück gibt es dich!)", sagte ich und umarmte sie.
"Meine Gedanken fressen mich auf Didem!", sagte ich.
"Ich bereue zu viel! Zu viel Schönes!"
"Was meinst du damit?"
"Die Gedanken sind wie Gift in meinem Kopf! Sie töten mich!", sagte ich.
"Sag! Was ist passiert?", fragte Didem und schaute mich besorgt an.
"Das weiß ich leider auch nicht!", sagte ich nur und stand auf. Sofort ging ich in mein Zimmer und schloss die Türe ab.

Tränen kamen ununterbrochen. Ich versuchte die Schluchzer zu unterdrücken und wischte die Tränen weg. Meine Seele brannte! Ich starb an meinen Gedanken! Die Ignoranz tötete mich ...

1512 Wörter

Fortsetzung folgt

unvergesslich - unutulmazWo Geschichten leben. Entdecke jetzt