K A P I T E L 29 - Sturm

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Ich hatte ein Sturm hinter mir verlassen. Alles durcheinander gebracht und ging jetzt ...
Meine Sicht wurde verschwommener und Tränen liefen mein Gesicht herunter. Schluchzend wischte ich meine Tränen weg und hielt am Straßenrand an.

Ich war wieder am See angekommen. Ich stieg aus und schaute mich um. Mein Blick blieb an einem Punkt hängen. Der Ort, an dem ich mit Okan sprach. Langsam lief ich auf die Stelle zu. Mein Herz zog sich immer mehr zusammen! Ich blieb stehen und atmete tief die kühle Luft ein.
"Neredsin Okan? (Wo bist du Okan?)", fragte ich mich leise und wischte meine Tränen weg. Du fehlst mir so sehr!
Ich erinnerte mich an alle Momente mit Okan zurück. Als wir uns das erste mal begegneten, er mich das erste mal anschaute, er meine Hand auf sein Herz legte! Komm bitte zurück Okan!

Das Regen prasselte hart auf der Fensterscheibe und unterbrach die Stille im Raum. Und meine Schluchzer ...
Mein Herz zog sich immer wieder zusammen, als ich an Okan dachte. Was er wohl jetzt machte? Die Jungs hatten mir nichts geschrieben, also gab es auch keine Neuigkeiten.

Im nächsten Moment klopfte es an der Türe. Sofort wischte ich meine Tränen weg und setzte mich hin.
"Eylem? N'apıyorsun? (Was machst du?)", fragte meine Mutter und trat rein.
"Nichts, ich sitze." Sie schloss die Türe wieder zu und setzte sich neben mich auf mein Bett hin.
"Ich habe Tee für dich gemacht!", reichte sie mir die warme Tasse. Lächelnd nahm ich es entgegen und stellte es auf die Kommode.
"Hast du etwa geweint?", fielen ihr meine verweinten Augen auf. Die Tränen kamen mir wieder hoch! Wortlos umarmte ich sie und grub mein Gesicht in ihre Halsbeuge.
"Was ist passiert Eylem?", fragte sie besorgt und fuhr über meine Haare.
"Ich weiß nicht Mama!", flüsterte ich schluchzend.
"Was ist los mit dir? Seit längerem geht es dir nicht gut!", blickte sie mich an.
"Du bist nicht mehr so energisch wie früher! Was ist los mit dir?", fragte sie.
"Ich habe Probleme in der Uni!", log ich.
"Du warst doch so eine aufmerksame Studentin! Was ist plötzlich passiert!"
"Ich weiß nicht!"
"Du hast etwas Anderes ...", löste sie sich von mir und schaute mich besorgt an.
"Nein, da gibt's nicht Anderes!", versuchte ich ihr klar zu machen.
"Sage mir bitte was los ist! Ich kenne dich Eylem! Ich kenne meine Tochter! Du hast dich so sehr verändert in kurzer Zeit! Es tut mir weh, dich so zu sehen!" Ihre Besorgnis war nicht zu übersehen. Sollte ich ihr die Wahrheit sagen? Ich schloss die Augen zu und atmete tief die Luft ein.

"Geht es ... um Liebe?", unterbrach meine Mutter die Stille. Ich öffnete die Augen und hielt den Atem an. Ich hatte plötzlich ein Kloß im Hals.
"Das muss wahre Liebe sein, denn sie verändert einen! Du bist jung, hübsch. Es ist normal, dass du dich verliebst!", sagte sie und suchte mein Blick. Ich schüttelte den Kopf und verneinte die Frage, ob es Liebe sei.
"Sag, wer ist der Glückliche?", fragte sie lächelnd und stupste mich an. Der Glückliche? Welch Ironie.
"Mama ... Ich-", weiter kam ich nicht. Kurz hielt ich Inne und dachte nochmal nach, ob ich ihr die Wahrheit sagen sollte. Doch so oder so würde sie es erfahren ...
"-habe mich verliebt!", verließen letztendlich die Worte mein Mund.
"In wen?", fragte sie.
"Wer das auch immer ist, tut dir nicht gut!" Besorgt nahm sie mein Gesicht in ihre Hände und blickte mich erwartungsvoll an. Meine Seele brennt Mama!
"In wen hast du dich verliebt?", fragte sie und ließ mich wieder los.
Verstummt blickte ich auf meine Hände herunter, mit denen ich nervös spielte. Sollte ich ihr die Wahrheit sagen? Wie würde sie dazu stehen? Kannte sie ihn?
"In-" Angespannt schaute sie mich an.
"Okan" Eine Last fiel mir von den Schultern. Ein Lächeln zierte sich um meine Lippen. Ein gebrochenes Lächeln.
"Okan?", wiederholte sie verwirrt.
"Okan Derin. Aylas Cousin ..."
Im nächsten Moment erstarrte meine Mutter. Entzückt sah sie mich an.
"E-Eylem, nein!", löste sie sich aus der Starre. Mein Herz zerbrach innerhalb weniger Sekunden in tausend Stücke! Ich fühlte mich plötzlich wie ausgelaugt ...
"Mit ihm geht das nicht! Hast du nicht über ihn gehört?!", warnte sie mich.
"Nein Mama, er-"
"Vergiss ihn Eylem! Er ist ein Mörder! Ein Krimineller! Er ist krank!"
"Nein Mama! Er ist kein Mörder! Glaubst du etwa auch dem Gerücht?", fragte ich und stand auf.
"Ich werde es nicht erlauben, dass er dich zerstört! Diese Liebe kann nicht existieren!", stand sie ebenfalls auf.
"Ich werde kämpfen Mama! So leicht gebe ich nicht auf!", sicherte ich. Meine Hände zitterten, mein Herz schlug wie wild! Ich stellte mich gegen meine Familie für Okan! War es das wirklich Wert?

Am nächsten Tag
Es war schon Samstag geworden. Seit Tagen lag Okan im Krankenhaus ... Jeden Tag betete ich für ihn! Jeden Tag vermisste ich ihn mehr!
Meine Augen fühlten sich so schwer an, denn ich konnte die ganze Nacht lang nicht schlafen. Ich bekam kein Auge zu und hatte nur Tränen verloren. Ich stand zwischen einer Entscheidung, die ich nie treffen wollte, wovor ich immer Angst hatte. Zwischen meinen Eltern und der Liebe! Meine Mutter ist gegen mich! Sie will, dass ich ihn aufgebe! Doch wie soll das sein, wenn Okan der Einzige ist, der mein Herz erwärmt? Ich hatte so oft versucht ihn zu vergessen! Er will sich auch von mir distanzieren! Aber den Kampf zwischen Herz und Verstand habe ich leider verloren!

Ich war schwach, müde, doch kam trotzdem Okan besuchen. Elnur hatte mir geschrieben, dass Okan heute Morgen auf ein normales Zimmer verlegt wurde. Die Intensivstation hatte er zum Glück verlassen!
Ich stieg in den Aufzug ein und fuhr zum vierten Stockwerk. Dort ging ich anschließend auf Zimmer Nummer 1.048 zu. Vor der Türe traf ich schon auf die Jungs zu.

"Wie geht es Okan?", fragte ich sofort.
"Besser, seine Lage hat sich verbessert.", teilte mir Rüzgar lächelnd mit. Meine Mundwinkel erhoben sich automatisch.
"Das Kritischste hat er bestanden, doch er ist immer noch nicht aufgewacht.", fügte er noch hinzu.
"Sobald er wach wird, werden ihn die Polizisten befragen und dich bestimmt auch.", meinte Elnur. Im nächsten Moment erstarrte ich. Ich kannte schon den Täter! Wenn Okan wach wird, erzählt er das bestimmt auch!
"Wann wird er aufwachen?", fragte ich.
"Das wissen wir noch nicht, vielleicht heute, vielleicht morgen.", meinte Elnur.
Ich werde erst wieder gehen, wenn Okan wach wird!
"Kann ich ihn sehen?"
"Ja, aber nur kurz.", sagte Rüzgar. Ich nickte und drückte die Klinke der Türe runter. Tief atmete ich nochmal ein und bereitete mich für alles vor. Vorsichtig öffnete ich die Türe und trat rein. Vor mir stand eine blasse Gestalt. Ein fremder Okan. Langsam lief ich auf ihn zu. Die Tränen drangen schon zu kommen. Ich hielt sie schwer zurück!
"Okanım! (Mein Okan!)", flüsterte ich mit zittriger Stimme und umfasste seine Hand. Sie war so kalt! Eine Träne lief mir herunter.

"Seni çok özledim! Dön artık yanımıza! (Ich habe dich sehr vermisst! Kehre wieder zu uns zurück!)", bat ich und ließ mich auf den Stuhl neben dem Bett nieder.
"Beni terketme, unutamadığım! (Verlasse mich nicht, mein Unvergesslicher!)"
Überall zeichneten sich Wunden auf seinem Gesicht aus! Was Emir mit meinem Okan angestellt hatte! Das ist nicht menschlich! Er hat das nicht verdient krankenhausreif geschlagen zu werden! Ich ließ ich seine Hand wieder los und zog vorsichtig seine Haare zurück, die auf seiner Stirn gefallen waren.
"Sen uyanmadan gitmeyeceğim! (Ich werde nicht gehen, bevor du aufwachst!)", waren meine letzten Worte, bevor ich ihn anschaute und das Zimmer verließ.

Tief holte ich Luft und unterdrückte meine Schluchzer.
"Er sieht so schlimm aus!", brachte ich brüchig raus.
"Das könnte kein Einzelner gewesen sein! Sonst hätte es Okan bestanden!", sicherte Rüzgar mit einer zittrigen Stimme. Was?! Hat das also Emir nicht alleine angerichtet? Wer war noch dabei?
"Wer könnte es gewesen sein?", fragte ich wütend in die Runde.
"Wir tippen mal auf Emirs Männern. Er würde sich das alleine nicht trauen, seine Hunde machen alles für ihn.", meinte Elnur.
"Ach ja? Esra hat Emir beim Arzt gesehen! Er hatte Verletzungen!"
"War er es also?", fragte Rüzgar und zog die Braue zusammen.
"Da müssen noch Andere gewesen sein! Schau dir mal Okan an! Ein Einzelner würde das nicht hinkriegen!", schlussfolgerte Elnur.
"Ja, Okan ist stark genug, um sich zu verteidigen!", sicherte Rüzgar. War das ein böser Scherz?! Welche Gruppe steckte hinter der Sache?

Die Zeit schien stecken zu blieben ...
Sie verging nicht! Seit zwei Stunden wartete ich auf Okan! Wieso wachte er nicht auf? Vorhin, als ich mit dem Arzt gesprochen hatte, meinte er, dass Okan schwere Verletzungen im Kopf hat und deswegen Zeit zur Erholung braucht. Würde er vielleicht morgen aufwachen?
"Harap oldun iyice, eve git dinlen en iyisi. (Du bist richtig kaputt geworden, gehe lieber nach Hause und ruhe dich aus.)", hörte ich Rüzgar und wandte mich zu ihm.
"Nein, ich bleibe da, bist Okan aufwacht!"
"Hätten wir gewusst, wann er aufwacht? Es kann noch lange dauern."
"Ich bleibe.", sicherte ich.
Gerade, als ich mich umdrehen wollte, erstarrte ich plötzlich. Ein bekanntes Gesicht trat hinter Rüzgar hervor und betrat das Zimmer. Ich wollte nichts wie weg von hier ...

1523 Wörter

Fortsetzung folgt

unvergesslich - unutulmazWo Geschichten leben. Entdecke jetzt