K A P I T E L 19 - Alte Freunde

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Alles ging zu schnell und im nächsten Moment fuhren wir plötzlich aus der Bahn.
"Okan!", kreischte ich zuletzt und schloss die Augen.

Innerlich betete ich unendlich, dass wir kein Unfall machen sollten. Okan hatte das Auto nicht mehr unter Kontrolle! Als ich die Augen öffnete, fuhren auf ein Strommast zu. Das war mein Ende! Wir waren auf dem Weg zum Tod!
Doch in der letzten Sekunde lenkte Okan das Auto haarscharf um und bremste.
Tief atmete ich ein und aus. Allah bizi korudu! (Gott hat uns beschützt!)
Mein Herz klopfte wie wild. Wir wären fast gestorben! Ängstlich schloss ich meine Augen zu und stellte mir den Unfall vor. Was wäre, wenn Okan das Auto nicht unter Kontrolle bekommen hätte?!

Als ich mich umschaute, realisierte ich, dass wir Mitten auf einer Wiese standen.
"Özür dilerim Eylem. (Es tut mir leid Eylem.)", hörte ich eine ruhige und gleichzeitig zittrige Stimme neben mir. Der gerade so wütende Okan wurde auf einmal zu einem ruhigen besorgten Jungen. Ich blickte auf meine zitternden Händen. Dann zu ihn.
"Dir tut es leid? Wir wären gestorben Okan!"
"Geht es dir gut?"
"Nein! Kehren wir zurück!", forderte ich und unterdrückte die Tränen.
"Wir hätten fast ein Unfall gemacht!", erinnerte ich ihn. Wo will er so hin?!
"Das war nicht meine Absicht!", sagte er und schaute mich schmerzerfüllt und wütend an.
"Weißt du, wie nah wir dem Tod gekommen sind?", fragte ich aufgebracht.
"Ich habe schon so oft den Tod in Kauf genommen. Ich wusste, dass wir nicht sterben würden. So fühlt sich der Tod nicht an.", erzählte er, als ob es etwas total Normales wäre.
Was? Plante er jeden Tag Suizid zu begehen?!
"Fahr mich nach Hause Okan!", bat ich und löste mein Gurt. Doch Okan packte mich abrupt am Handgelenk und schaute mich kalt an. Er beängstigte mich! War er wütend? Ich konnte keine seiner Gefühle identifizieren.
"Nein Eylem! Diese Rechnung wird nicht offen bleiben!", sicherte er und machte mein Gurt wieder zu.
"Ich habe Angst! Ich kann nicht mehr! Verstehst du?!", sagte ich und sah nur noch verschwommener. Sein Griff ließ nach.

Okan schaute mich lange an und seine Augen füllten sich auch. In dem Moment realisierte ich, dass er auch andere Gefühle außer Hass, Ignoranz und Kälte besaß.
"Eylem, rede nicht so ... Ich musste dich beschützen! Es war mein Fehler, lass es mich verbessern!", sagte er und schaute in meine Augen. Ich sah etwas anderes darin. Keine Spur von seiner altbekannten Hass war zu sehen. Etwas hatte sich verändert. Ich wusste nicht was, doch es war mir neu. Als stände jemand anderes vor mir ...
"Und was willst du tun?", fragte ich und eine Träne lief mir runter.
"Ich glaube du siehst nicht, wie sehr ich Angst habe!", sagte ich.
"Ich weiß es! Ich sehe es in deinen Augen ...", meinte er.
"Wie willst du gegen ein Psycho kämpfen?", fragte ich.
Okan ignorierte die Frage und brachte den Motor zum Lauf.
"Wo gehst du hin?", fragte ich.
"Zu Emir, wir müssen reden!", meinte er und wurde wieder zum alten Okan.
"Emir ist keiner, der von Worten versteht!", erinnerte ich ihn.
"Dann reden wir auf seiner Sprache.", meinte Okan und blickte zu mir.
Das könnte nicht gut enden ...

Die ganze Fahrt lang versuchte ich Okan abzuhalten zu Emir zu gehen. Er war so wütend, ich hatte Angst, dass er irgendetwas Dummes anstellte! Dann würde er als Schuldiger dastehen! Aber er stellte seine Ignoranz wieder ein und hörte auf sein stures Kopf.

Nach zwanzig Minuten kamen wir vor einer pompösen Villa an. Wir waren an einem Viertel angekommen, worin es nur von Reichen wimmelte. Ein großer Vorgarten und ein schwarzer Eingangstor führten zur großen Villa. Okan stellte den Motor ab und löste sein Gurt, während ich noch reglos saß.
Zögernd verließ ich das Wagen und folgte Okan.
Der Alte Okan war wieder da. Der Gefühlsvolle war weg.
Unsicher lief ich Okan nach, der sich dem Eingang näherte. Es regnete nur noch leicht und ein Regenbogen war entstanden. Im gepflegten Vorgarten befanden sich geformte Tannen und schöne Blumen. Vergoldete Löwen waren rechts und links vor der Eingangstüre positioniert. Ich schaute zur Villa hoch und stellte fest, dass mindestens zehn Leute darin wohnen könnten. So groß war es!

unvergesslich - unutulmazWo Geschichten leben. Entdecke jetzt