K A P I T E L 70 - Eine Chance

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Ich weiß nicht, wie lange ich schon ängstlich aus der Windschutzscheibe raus guckte.
Mir war nur klar, dass ich zu keiner Bewegung mehr fähig war. Was ich gerade eben erfahren hatte, brachte mein Blut zum Erfrieren.
Tausende Fragen schwirrten in meinem Kopf.
Wieso hat mich Eray angreifen lassen? Warum taucht er nach Jahren auf? Was wird er noch planen? Hat er wirklich einen Spitzel? Bilde ich mir zu Vieles ein? Ich fand auf keine Frage die passende Antwort.
„Eylem?", hörte ich Onur nach einer Zeit. Ich gab keine Antwort. Schwieg weiterhin. Ein seltsames Gefühl stieg in mir hoch. Es fühlte sich nach Angst, Zweifel, Wut und Verwirrung an.
„Ich weiß, dass du jetzt verwirrt und verängstigt bist, aber ich will, dass es dir gut geht. Okan ist an deiner Seite, er wird dich beschützen. Und ich werde auch alles tun, falls Eray kommen sollte. Habe bitte keine Angst.", versuchte Onur meine Angst zu lindern.
Wie sollte ich mich jetzt beruhigen? Es brannte in meiner Seele. Was, wenn Eray kommt und sich an Okan rächen will?
Das Auto blieb stehen. Wir waren vor meiner Haustüre angekommen.
„Was hat Eray vor? Zu was ist er fähig? Wird er Okan und mir schaden wollen?", fing ich an zu reden.
„Ich weiß nicht, was er plant. Ich will nicht mal daran denken, was passieren könnte, wenn er zurückkehrt.", zweifelte er und fuhr nachdenklich mit der Hand über sein Gesicht. Onur kannte seinen alten Freund. Er wusste bestimmt, wie Eray tickte.
Tief holte ich Luft und löste den Gurt. Mein Kopf schien immer noch eine Blockade zu haben. Ich war gefesselt in meiner Gedankenwelt.
Eray muss ein schlimmerer Psychopath wie sein jüngerer Bruder Emir sein. Er hat die Frau erstochen, die er liebte... Was musste das für eine psychische Folter sein? Er ist abgehauen und die Schuld auf sein Verschwunden wurde auf Okan geschoben. Nun gibt es Anzeichen, dass er in unserer Nähe ist. Wie nah wird er uns kommen? Weiß Emir davon? Ist vielleicht Emir der Spitzel?
Der Sturm der Gedanken löste eine große Unsicherheit in mir aus.

Ich bedankte mich bei Onur, dass er mich nachhause gefahren hatte und stieg aus seinem Auto aus. Mit schnellen Schritten ging ich zur Eingangstüre. Der Regen hatte immer noch nicht aufgehört. Etwas durchnässt betrat ich das Treppenhaus und stieg gedankenversunken die Treppen hoch.
Wer ist Eray Sönmez überhaupt? Ein Mafia? Wieso kann er so einwandfrei krumme Geschäfte führen? Wo ist er hingeflohen? Wie konnte er plötzlich so verschwinden? Was hat er nun vor?
Die Gedanken machten mich schwach. Vor meiner Haustüre löste ich mich aus der Gedankenwelt und trat in unsere Wohnung.
Ich zog meine nasse Jacke aus und hing sie auf.

„Eylem? Sen mi geldin? (Bist du gekommen?)", hörte ich die Stimme meines Vaters im Wohnzimmer.
„Evet, ben geldim. (Ja, ich bin gekommen.)", bestätigte ich und ging lächelnd zu ihm. Ein gespieltes Lächeln. Er deckte mit Didem den Tisch.
„Aç mısın? Gel, beraber yemek yiyelim. (Bist du hungrig? Komm, essen wir zusammen.)", lud er mich zum Abendessen ein.
„Üstümü değiştirip gelirim. (Ich komme nachdem ich mich umgezogen habe.)", gab ich bescheid und ging in mein Zimmer. Ich legte meine Tasche auf meinem Schreibtisch ab und atmete tief die Luft ein. Kurz schloss ich die Augen zu. Beruhige dich Eylem. Dieser Psycho will uns nur unser Glück wegnehmen. Lass das nicht zu. Er kann uns nichts machen.

Nachdem ich mich umgezogen hatte, ging ich ins Badezimmer und wusch meine Hände. Danach ging ich ins Wohnzimmer.
Zusammen fingen wir mit dem Essen an.
(Das Gespräch soll auf türkisch verlaufen.)
„Und, wie war dein Tag heute?", fragte mein Vater.
„Ganz gut. Ich war in der Uni und bin danach zu meiner Mutter gegangen. Sie haben neue Ware geliefert und brauchten beim Einräumen Hilfe."
„Sie hat mir bescheid gegeben. Du hast wohl gut aufgeräumt. Bevor du gekommen bist, haben wir gesprochen.", meinte mein Vater.
„Ja, es war anstrengend. Ich bin etwas schlapp geworden.", sagte ich und musste danach gähnen. Mir fiel erst jetzt auf, wie müde ich vom Tag war.
„Ich wollte auch kommen, aber musste für eine Klausur lernen. Sonst hätte ich auch mitgeholfen.", teilte Didem mit.
„Ich war nicht die einzige Helferin. Onur war auch da. Er hat auch gute Arbeit geleistet. Die ganzen Kisten hat er hochgetragen.", erklärte ich.
„Onur? Serays Sohn?", fragte mein Vater überrascht.
„Ja. Seine Mutter hat ihn bestimmt gerufen.", vermutete ich.

unvergesslich - unutulmazWo Geschichten leben. Entdecke jetzt