K A P I T E L 61 - Graue Welt

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Unsere Liebe - ein Zusammenhalt, den viele als unmöglich hielten...

Wir näherten uns immer mehr Richtung Okans Wohnung. Ich war genau so nervös wie er.
Er hat sich für einen Neuanfang entschieden. Und das meinetwegen. Wäre ich nicht gekommen, wäre er schon längst im Flugzeug.
Liebe ist so ein starkes Gefühl. Liebe verändert dich, stärkt dich, doch kann dich auch schwächen. Zusammen sind wir stark. Zusammen überstehen wir alles. Zusammen werden wir den Sturm in Okans Leben bekämpfen.

Ich bog bei der letzten Kreuzung ab und sah schon Okans Wohnung von der Ferne. Tief atmete ich durch. Wie werden wohl seine Eltern reagieren? Und was werden sie vor allem über mich denken? Okan wird ihnen bestimmt von mir berichten. Eine Bekanntschaft haben wir bereits, doch dass ich eng mit Okan bin, wissen sie wohl nicht.
Wir waren letztendlich angekommen. Ich parkte das Auto in der nächsten Parklücke ein.
„Wir sind da... Auf Wiedersehen Okan. Ich muss leider wieder gehen.", verabschiedete ich mich von ihn.
„Wohin musst du gehen? Wieso bist du heute außerdem so schick angezogen?", fragte er.
„Meine Mutter hat heute eine Boutique eröffnet. Ich bin von der Eröffnung abgehauen.", erklärte ich.
„Deine Mutter hat eine Boutique eröffnet? Dann gehe jetzt lieber zurück. Aber morgen treffen wir uns, okay?", vereinbarte er
„Okay.", sicherte ich.
Bevor er ausstieg umarmten wir uns nochmal.
„Bis morgen, pass auf dich auf.", verabschiedete er sich. Ich wünschte, ich könnte noch bei ihm bleiben. Aber mein Fehlen war den anderen bestimmt aufgefallen.
„Pass auf dich auf.", sagte ich zuletzt.

Okan
Meine Hand lag noch auf Türklinke. Zögernd holte ich mein Schlüssel raus und atmete tief durch, bevor ich die Wohnung betrat.
Du hast dich nun zum Bleiben entschieden, jetzt musst du hinter deiner Entscheidung stehen.
Ich drehte den Schloss auf und betrat die Wohnung. Es war still hier. Mit leisen Schritten setzte ich mich in Bewegung und ging weiter.
„Okan?", hörte ich plötzlich hinter mir. Meine Mutter hatte mich entdeckt. Sie ließ den Glas in ihrer Hand vor Schock fallen. Das Wasser darin verteilte sich in jede Richtung. (Das Gespräch soll auf türkisch verlaufen.)
„Was machst du hier?", fragte sie und trat näher.
Mit schnellen Schritten kam mein Vater die Treppen runter. Mehrmals rief er nach meiner Mutter. Er war wohl wegen dem Klirren gekommen.
„Was ist passiert?", fragte er meiner Mutter und blickte die Scherben auf den Boden an.
Sie antwortete nicht und schaute mich immer noch entsetzt an.

Als mich mein Vater entdeckte, erstarrte er auch.
„Okan?", erwähnte er leise meinen Namen.
Mit mir hätte keiner gerechnet.
„Ich will nicht gehen. Ich werde hier bleiben.", unterbrach ich die Stille.
„Was? Wie, du wirst hier bleiben!", fragte mein Vater und kam auf mich zu.
„Wieso bist du nicht im Flugzeug, mein Sohn? Wieso bist du zurück gekommen?!", fuhr er fort und packte mich am Oberarm.
„Ihr habt es richtig gehört. Ich werde nicht gehen.", wiederholte ich und nahm seine Hand runter.
„Spinnst du? Haben wir uns umsonst für dich bemüht! Du bist groß genug, um hinter deinen Entscheidungen zu stehen!", funkelte er mich an.
„Beruhige dich! Was ist los Okan? Was hat dich von deinem Flug abgehalten? Du wolltest doch immer gehen!", trat meine Mutter ein und hielt mein Vater zurück.
„In all den Jahren, bin ich vor allen weggeflohen! Ich habe mich immer versteckt! Ich will nicht mehr so leben Mama! Ich will leben und nicht nur atmen! Ich will für mein Glück kämpfen Papa! Es gibt jemand, die an mich glaubt und diese Hoffnung erleuchtet meine Welt! Ja, jemand glaubt an mich, während ihr schon alle die Hoffnung aufgegeben habt! Ich will leben, versteht ihr das?", platzen mir die Worte aus der Seele raus. Entsetzt blickten sie mich an.

„Weißt du überhaupt was du willst?! Was ist dein Lebensziel mein Junge? Mal willst du gehen, mal nicht! Mal fliehst du vor uns, mal stellst du dich gegen uns! Es reicht Okan! Ich habe all die Jahre geschwiegen, aber jetzt reicht's mir! Wer ist außerdem die Person, wovon du sprichst! Kann sie alles verbessern, oder was?", kam mir mein Vater entgegen.
Tränen sammelten sich in meinen Augen an. Wollten mich meine Eltern nicht mehr, oder kam es mir so vor? Verzweifelt blickte meine Mutter zwischen meinem Vater und mir.
„Ich weiß, dass ich euch enttäuscht habe! Ich wollte gehen, ja! Aber ihr wusstest, dass es mir bei euch am besten ging! Ich habe euch oft strapaziert, tut mir leid! Es tut mir für all die Fehler leid! Ich weiß nicht, was ich vom Leben will! Mein Verhalten ist nicht erwachsen! Ihr wisst alles besser! Wenn ihr wollt, dann sieht ihr mich nie wieder!", wurde ich lauter und drehte mich abrupt um. Mit hastigen Schritten ging ich zur Türe.
„Okan!", rief mir mein Vater hinterher.
„Das war doch nicht so gemeint!", fügte er hinzu. Wie dann? Ihr wollt mich eben nicht!
Bevor ich ging, drehte ich mich nochmal um.

An der Treppe sah ich Özge. Sie lächelte, doch hatte Tränen im Gesicht. Sie hatte wohl alles gesehen. Ich lächelte sie auch an. Özge, meine Liebe, diese Welt ist grauer, als du denkst. Ich wandte mich wieder zur Türe und drückte die Klinke runter.
Ich betrat wieder die Kälte. Mein Körper war taub und nahm die Windzüge gar nicht wahr.
Ich will leben. Diese graue Welt ließ es mir nicht zu.
Ich stieg in mein Auto ein und fuhr los. Es tut weh in die Augen deines Vaters zu blicken und Leere zu begegnen. Er hatte seinen Glauben an mich schon längst vergessen. Das tat so weh...

Ich drückte die Augen zu und atmete tief die Luft ein. Bei jedem Atemzug entstanden Wolken. Die Kälte war schon eingedrungen. Ich spürte sie, doch der Schmerz in mir unterdrückte es.
Ich schloss die Augen wieder auf und blickte die Aussicht an. Der Weg brachte mich zum Hügel. Hunderte Lichter leuchteten in der Stadt. Die frische Luft hatte mir gut getan.
Im nächsten Moment fing mein Handy an zu klingeln. Genervt griff ich es aus meiner Jackentasche raus und schaute nach, wer mich Anrief.
Özge
Ohne länger zu Zögern nahm ich ab.
„Abi (Bruder) wo bist du?", hörte ich daraufhin ihre Stimme.
„Ich bin draußen."
„Wo draußen? Komm bitte nachhause!", bat sie.
„Ich brauche bisschen frische Luft Özge. Wieso sollte ich außerdem dort hin gehen, wo ich unerwünscht bin?", versuchte ich zu erklären.
„Sag nicht so! Unsere Eltern lieben dich... Sie waren schockiert. Du wolltest immer gehen und hattest die Möglichkeit. Du weißt, mein Vater kann Unschlüssigkeit nicht ausstehen. Nachdem du gegangen bist haben sie geweint! Würden sie das tun, wenn sie dich nicht mögen würden?"
Tränen sammelten sich in meinen Augen an. Ich wusste nicht mehr, an was ich glauben sollte. Widersprach mir mein Verstand?
„Lütfen benim için gel! (Bitte komm für mich!)", bat sie mich brüchiger Stimme.

Mein Kopf war gar nicht bei mir, während ich das Auto fuhr. Ich war zu schnell. Obwohl ich nicht sicher fuhr, ging ich nicht vom Gas runter. Ich musste bei Özge ankommen. Ich darf sie nicht länger weinen lassen. Sie war an schlechten Tagen immer bei mir. Jetzt muss ich bei ihr sein.
Als ich ankam, parkte ich wieder in der Garage ein und ging durch den Hintereingang ins Haus. Mit leisen Schritten ging ich in Özges Zimmer hoch. Es war still und dunkel im Haus.
Ohne länger Zeit zu verlieren, betrat ich das Zimmer meiner Schwester.
„Abi! (Bruder!)", fiel sie mir um den Hals.
„Özgem! (Meine Özge!)"
Fest umarmte ich sie. Sie fing an innig zu weinen. Ich konnte bei ihren Tränen nie standhaft bleiben! Tränen drangen zu kommen.
„Bir daha asla gitme! Beni yalnız bırakma! (Gehe niemals wieder! Lass mich niemals allein!)", bat sie. Das forderte sie eher.
„Gitmeyeceğim! Burdayım! (Ich werde nicht gehen! Ich bin hier!)", sicherte ich und wischte mit einem Lächeln die Tränen auf ihrem Gesicht weg. Ich zeige zwar nicht so oft meine Gefühle. Ich unterdrücke sie oft, doch wenn ich  mal meine Gefühle zeige, kann ich mich nicht wieder aufraffen. Ich hasste es, dass ich so sensibel sein konnte...

Wir setzten uns auf ihr Bett hin.
„Hätte ich nicht eingetreten, wärst du schon längst weg.", sagte Özge.
„Ja, ich wäre weg von euch allen."
„Du gehörst hier hin! Ich konnte das nicht zulassen. Während es dir so schlecht ging, konnte ich es nicht über's Herz bringen, dich nach Köln zu schicken."
„Ja, dort wäre ich womöglich nur noch mehr untergegangen. Aber der Kampf hat erneut angefangen, dieses mal muss ich standhaft gegen alle stehen."
„Ich glaube, mit Eylem wird das klappen. Sie hat ein starkes Kämpferherz.", meinte Özge plötzlich. Ja, ich hatte noch nie jemand so starkes gesehen. Und vor allem jemand, die an mich glaubte.
„Woher wusstest du, dass Eylem der Schlüssel zur Sache war?", fragte ich letztendlich.
Kurz hielt sie inne.
„Ich habe eure Blicke gesehen. Sie sagten mehr als nur eine Bekanntschaft aus. Ihr seid eure fehlenden Puzzleteile.", sagte sie.
Ihr seid eure fehlenden Puzzleteile...

1485 Wörter

Fortsetzung folgt

unvergesslich - unutulmazWo Geschichten leben. Entdecke jetzt