unvergesslich - unutulmaz

K A P I T E L 72 - Das Essen

Okan
Egal, wie viel Zeit vergeht, wird dich deine Vergangenheit immer verfolgen. Manche verfolgt sie weniger, manche mehr. Aber eins ist sicher, jede Vergangenheit hinterlässt ihre Spuren.
Kein Schicksalsschlag vergeht stumm und still. Manchmal schreit die Vergangenheit in deinem Kopf. Manchmal verstummt sie immer mehr mit der Zeit. Doch sie wird nie ganz vergehen. Ein Teil wird immer in dir bleiben. Vielleicht als Erinnerung, um aus den Fehlern zu lernen. Wie ein Brandmal - es wird nie ganz heilen...

Eray ist am Leben. Es gibt Beweise. Diese Information beruhigte mich, denn wenn ich wie Eylem es gesagt hat es beweisen kann, wird meine Unschuld auffliegen. Doch wer weiß wie ich es machen kann? Und ob ich es überhaupt hinkriege.
Schon die ganze Fahrt lang war mein Kopf bei dem Thema.
Als ich endlich zuhause ankam, versuchte ich mich mit anderen Gedanken abzulenken. Ich will mir nicht den Kopf über Eray zerbrechen.
Nachdem ich die Wohnung betrat, zog ich meine Jacke aus und ging ohne länger Zeit zu verlieren in mein Zimmer. Nach einer Stunde muss ich bei Eylem auftreten.
Was soll ich überhaupt anziehen? Es darf nicht zu lässig sein, aber auch nicht zu streng. Nachdenklich zog ich ein schwarzes Hemd raus und schaute mich weiter um.
„Akşam yemeği hazır. Gelmiyor musun? (Das Abendessen ist fertig. Kommst du nicht?)", hörte ich Özge im nächsten Moment.
„Hayır, bugün davetliyim. (Nein, ich bin heute eingeladen).", erklärte ich.
„Kim davet etti? Arkadaşların mı? (Wer hat dich eingeladen? Deine Freunde?)", fragte sie und trat näher.
„Eylem'de davetliyim. Ailesiyle tanışacam bugün. (Ich bin bei Eylem eingeladen. Heute werde ich ihre Familie kennenlernen.)"
„Gerçekten mi? (Wirklich?)", gab die schockiert und erfreut von sich.
„Evet, gerçekten. (Ja, wirklich.)", bestätigte ich lachend.
„Ama ne giyeceğimi bilmiyorum. (Ich weiß aber nicht, was ich anziehen soll.)", zweifelte ich und wandte mich wieder an mein Kleiderschrank.
„O zaman ben hemen bi el atayım. Bana güven. (Dann helfe ich dir mal schnell. Vertraue mir.)", meinte Özge. Ich konnte ihr immer vertrauen, also ließ ich sie mein Outfit aussuchen.

Nachdem ich mich angezogen hatte und mit allem fertig war, machte ich mich wieder fort.
„Nereye gidiyorsun Okan? Bugün bizimle yemiyor musun? (Wohin gehst du Okan? Isst du heute nicht mit uns?)", fragte meine Mutter verwirrt, als sie mich sah. Wir hatten heute telefoniert und sie hatte mich extra gefragt, was sie heute kochen sollte. Das hatte ich natürlich total vergessen und Eylem zugesagt. Seit Tagen saßen wir nicht zu viert am Esstisch, mir war bewusst, dass ich meine Familie vernachlässigte. Aber Eylems Einladung war wichtiger.
„Size afiyet olsun. Bugün davetliyim. (Euch noch einen guten Appetit. Ich bin heute eingeladen.)", gab ich bescheid.
„Kim davet etti? (Wer hat dich eingeladen?)", fragte mein Vater skeptisch. Ich ging selten draußen Essen. Nur ab und zu mit Rüzgar und Elnur, aber von meinem Outfit erkannten sie, dass es sich um etwas Anderes handelte. Gespannt wartete er auf meine Antwort.
„Eylemin ailesi. (Eylems Familie.)", sagte ich letztendlich.
„Ne? (Was?)", gab meine Mutter entsetzt von sich.
„Evet, doğru duydunuz. (Ja, ihr habt es richtig gehört.)", sicherte ich und machte mich Absatz kehrt.
Im Auto angekommen, atmete ich draußen tief die Luft ein.
Alles wird gut Okan, mach dir keine Sorgen. Alles wird gut...
Eylem ist die einzige, die mir momentan gut tut. Wer auch immer gegen uns ist, will ich sie nicht loslassen. Denn ich will mich wieder am Leben festhalten. Ich will in die lebensfrohen Augen blicken, die meine düstere Seele erwärmt.
Mein Herz hat wieder gelernt zu lieben. Ich liebe sie. Ich liebe Eylem.
Du sieht Selin sehr ähnlich aus, vielleicht war das der Grund, weshalb er sich für dich entschieden hat. Wahrscheinlich konnte er die Sehnsucht nicht länger aushalten, fielen mir plötzlich Mirays Worte ein.
Sie log. Das hat sie nur aus Provokation gesagt! Eylem sieht Selin ähnlich aus, das stimmt. Das war aber nicht der Grund, um mich für Eylem zu entscheiden. Ich will eine neue Seite in meinem Leben öffnen. Ich will die Vergangenheit dort lassen, wo sie hingehört. Und heute mache ich den ersten Schritt für eine gute Zukunft. Für unsere Zukunft.