K A P I T E L 15 - Ich verblute

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Wer bin ich auch? Ein Nichts. Ein kleines Nichts in seiner dunklen Welt ...

Es wurde schon langsam dunkel. In ein paar Minuten würde die Sonne gleich untergehen.
Er stand am Fenster und schaute ausdruckslos raus. Hier fühlte er sich wohl, hier zog er sich zurück. Ein kleines Jägerhaus am Waldrand.

Erinnerungen trafen auf Erinnerungen. Tränen drangen zu kommen, doch er war schon daran gewöhnt. Gewöhnt an den Schmerz, der Einsamkeit und der Trauer ...
Das Fotoalbum, das er vorhin lange angeguckt hatte, lag auf dem Tisch. Jedes mal strich er über das selbe Bild an der selben Stelle. Was von vor Jahren übrig blieb, waren nur noch Bilder. Erinnerungen auf ein Stück Papier. Zwei lächelnde Gesichter, die die Trennung nicht verdient hätten ...

Auf einmal legte jemand seine Hand auf seine Schulter. Er wusste schon wer gekommen war und drehte sich nicht um.
"Ich wusste, dass ich dich hier finden werde!", sagte der Neuankömmling genervt und auch besorgt.
"Wo warst du so lange? Es ist schon Dienstag und seit dem Wochenende bist du weg! Alle machen sich Sorgen um dich!", fragte er danach.
Doch er schwieg noch.
"Du siehst nicht gut aus! Wo warst du so lange?", fragte er weiter.
Er hielt inne. Ihm war es nicht nach reden. Wo war er drei Tage lang?

Die Wirkung der Bilder waren wie immer stark. Sein Freund schaute sich um und bemerkte das Album. 'Nicht schon wieder!', dachte er innerlich und klappte es zu.
"Was ist schon wieder?", bemerkte der Neuankömmling die Trauer.
"Sie sind letztens wieder gekommen ...", fing er an zu reden.
"Sie haben wie immer die Balkontüre vollgekritzelt. Ich halte das nicht mehr aus!", beendete er sein Satz.
Die Randale ist nichts Neues. Jeden Monat kommen sie ein mal vorbei. Wenn es ihnen Spaß macht und sie Lust und Laune haben, mehrmals ...
"Es tut mir weh.", sagte er endgültig.
"Es tut mir weh zu sehen, dass sie vor mir ist ..."
Sein Freund wusste dass. Es tat ihm auch weh.
"Ihre Blicke, ihre Haltung, ihre Art, ihr Charakter - alles gleich! Das verkrafte ich nicht, Bruder!", sagte er und wandte sich zu seinem Freund.
Tief schaute sein Freund in die roten verweinten Augen vor ihm.
Er senkte die Blicke. Sein Freund kannte diese Blicke zu gut. Ein Blick aus Trauer, Sehnsucht und Reue ...
"İçim kanıyor! Kabuk bağlamaya başlayan yaram her gün daha çok açılıyor! (Ich verblute! Die Wunde, die sich langsam schloss, geht an jedem Tag mehr auf!)", sagte er mit einem zittrigen Unterton.
"Herşeyi unutmaya hazırken, yine karşıma geliyor! (Gerade, als ich bereit war, alles zu vergessen, steht sie wieder vor mir!)"
"Görüyorum ... Gözümün önünde bitip gidiyorsun! (Ich sehe es ... Du verschwindest vor meinen Augen!)", zweifelte sein Freund.
"Es ist als ob sie bei mir wäre, aber das ist sie nicht! Und niemand wird die Lücke füllen können!", sagte er.
Ein Schweigen entstand zwischen den Beiden.

"Das ist so seltsam nach Jahren.", sagte sein Freund nach einer Zeit.
Vielleicht ist sie doch die Richtige, dachte sein Freund. Eine Stille entstand wieder.
"Ich kann das Risiko nicht eingehen. Ich will niemanden in meine dunkle Seite mit einziehen.", unterbrach er die Stille.
"Ich kann sie nicht mehr sehen! So kränke ich mich nur noch selber!", dachte er und setzte sich hin. Sein Freund ließ sich neben ihn nieder.
"Ich weiß, dass es dir wehtut, aber sie ist anders. Fast ein Geschenk ...", meinte sein Freund und blickte zu ihm. Er war nicht bereit, sich wieder an jemanden zu binden. Die Angst und die Erfahrung war zu groß.
"Es tut mir weh in ihre Augen zu schauen! Meine linke Hälfte wird immer weiterbluten, bis ich daran ertrinken werde ...", sagte er zuletzt.

Freitag
Die Sozialpsychologielesung war endlich um. Dieses mal hatte ich mich bemüht gut zuzuhören und Notizen zu machen. Ich packte meine Sachen zusammen und wartete auf meine Freunde. Zusammen verließen wir den Lesesaal.
"Ich fand die Lesung heute sehr interessant.", meinte Esra beeindruckt.
"Genau!", stimmte ihr Demet zu.
Während meine Freunde ins Gespräch verfielen, fiel ich in Gedanken.
Ich spürte eine Leere in mir, die mich seit Tagen begleitete. Ich wusste, dass er nicht mehr kommen würde ...
Ich würde ihn nie wieder mehr sehen. Ist er wirklich verschwunden? Wo hält er sich auf? Seit einer Woche sehe ich ihn nicht mehr! Müde atmete ich aus.
Ich war müde vom Denken.

"Eylem yine başka diyarlarda! (Eylem ist wieder in anderen Welten!)", ärgerte sich Esra und riss mich von meinen Gedanken weg, als wird draußen ankamen.
"Ich bin müde.", sagte ich. Das stimmte auch. "Wir machen uns langsam Sorgen um dich!", zweifelte Demet.
Ich atmete tief aus nichts und ging weiter. Ich mache mir langsam auch Sorgen!
"Also dann, bis morgen.", verabschiedete ich mich und umarmte meine Freunde. Kurz sah ihnen noch zu, wie sie zum Parkplatz liefen und drehte mich dann um.
Heute fand ich kein Platz vor der Schule, weswegen ich außerhalb des Gebäudes parken musste.
Mir fiel auf, dass ich Rüzgar und Elnur nicht mehr sah. Waren sie auch verschwunden? Ich würde sie gerne über Okan ansprechen. Vielleicht gibt es Neuigkeiten über ihn ...

"Oh, sieh mal wer da kommt.", hörte ich plötzlich jemanden hinter mir und blieb stehen. Kurz schloss ich die Augen und ging wieder weiter. Ignoriere diesen Unverschämten einfach!, redete ich mich ein.
Mit gesenktem Blick ging ich fort. Als ich mein Kopf erhob, bekam ich ein Schock und erstarrte. Emirs Komplize, der mich eingesperrt hatte, stand vor mir.
Emir lachte amüsiert los und kam mit trägen Schritten auf mich zu.
"Lass mich vorbei!", zischte ich wütend. Was wollten sie jetzt von mir!
Auf einmal war ich von drei 1 Meter 90 Männern umzingelt. Vor mir der Einsperrer und hinter Emir ein weiterer Komplize. Das wird nicht gut enden!

"Was hast du dieses mal vor Emir? Mich zusammenschlagen?", fragte ich und wandte mich zu ihm.
"Ah, das hatte ich nicht vor, doch keine schlechte Idee.", meinte er und spielte ein nachdenkliches Gesicht vor.
"Gut, dann lass mich gehen!", sagte ich und wollte gehen, doch wurde am Oberarm abgehalten.
"Keine Angst Kleine! Ich werde dich nur warnen!", zischte er dicht an meinem Ohr. Wie verwurzelt blieb ich stehen und wusste nicht was ich machen sollte. Ihm konnte ich alles zutrauen!
Ich hatte Angst, doch auch Mut. Es war ein komisches Gefühl!

"Schau dich um! Du bist allein. Deine Beschützer sind auch nicht da ...", sagte er. Ja, ich war alleine und fühlte mich unsicher.
"Und wie mutig von deinem Held, dass er dich gerettet hat, nicht wahr? Aber schade, dass er nicht mehr kommt! Jetzt ist es langweilig!", meinte Emir unschuldig. Es machte ihn Spaß mich runterzumachen!
"Du bist so falsch Emir! Geh mal zum Psychologen, sie helfen dir bestimmt! Du bist nicht normal!", sagte ich und versuchte den Griff loszuwerden. Mein Oberarm tat weh!
Wieder lachte er auf, als ob ich ein Spaß gemacht hätte. "Habt ihr es gehört? Ich bin nicht normal!", fragte er in die Runde und lachte weiter.
Abrupt hörte er auf zu lachen und drehte mich zu ihm, sodass ich ihn direkt in die Augen schaute.
"Wenn du nochmal, irgendetwas machst, dass mir nicht passt, dann bist du erledigt. Verstanden?", bedrohte er mich und erfror mich mit finsteren Blicken. "Dann können wir dir hinterherbeten, dass du ins Paradies kommst ...", meinte einer von Emirs Komplizen und kam ein Schritt auf und zu. Der Einsperrer.
"Und wenn ich wegen dir nochmal Probleme mit Ilayda bekommen werde, bist du sowieso tot. Verstanden?", fuhr er fort.

Mein Herz drohte rauszuspringen. Bloß keine Schwäche gegenüber dem Psycho Emir zeigen!
"Was soll das Emir? Bist du ein Bandit, oder was?", fragte ich und bekam seine kalte Hand endlich weg.
Ich setzte mich in Bewegung und entfernte schnellen Schritten von ihm.
Was denkt er, wer er ist?
Was kann ich dafür, wenn er Probleme mit Ilayda hat!
Er hat mir Angst gemacht, das stimmt.

Als ich an meinem Auto ankam, stieg ich schnell ein und fuhr weg.
Wo bist du bloß Okan? Wieso bist du nicht bei mir? Was habe ich dir angetan, dass du mich so sehr hasst? Mir wurde es schwer ums Herz. Ein Schluchzer verließ meine Kehle. Meine Augen füllten sich wieder.
Bleibe stark Eylem! Du musst ihn vergessen!

1355 Wörter

Fortsetzung folgt

unvergesslich - unutulmazWo Geschichten leben. Entdecke jetzt