K A P I T E L 63 - Geheilte Schnittwunden

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Nach einer zwanzig minütigen Fahrt, blieb das Auto stehen. Wir waren in der Stadt vor einem Restaurant angekommen. Hier war ich zuvor noch nie gewesen, doch die Einrichtung sah von weitem gut aus.
Drinnen empfing uns gleich ein freundlicher Kellner und führte uns zu einem freien Tisch. Danach gaben wir unsere Bestellungen.
„Es ist schön hier. Gut, dass wir gekommen sind.", wandte ich mich zu Okan.
„Ja, ich war hier früher gerne mit meinen Freunden... Das letzte mal war ich vor zwei Jahren hier.", erzählte er.
Rasch zog ich die Braue in die Höhe.
„Naja, seit der Sache habe ich mich nicht raus getraut. Ich gehe immer dann raus, wenn es sein muss.", fügte er hinzu. Er lächelte mich an, doch ich erkannte Trauer in seinen Augen.
„Vor mir musst du dich nicht verstellen Okan. Ich kann deine Augen lesen.", machte ich ihm klar.
Er schaute runter auf den Tisch und holte tief Luft. Danach blickte er mich wieder an.
„Ich weiß nicht, ob ich gut genug für dich sein kann. Meine Vergangenheit hat mich geprägt, hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin... Es fällt mir verdammt schwer hier in der Menge zu sein, aber - dir ist es Wert.", sagte er.
Aber dir ist es Wert. Ein Lächeln zierte sich auf meinem Gesicht. Ich spürte, dass er während dem Gespräch seine Hände auf meine Hände gelegt hatte.
„Du sollst wissen, dass ich dich so akzeptiere, wie du bist. Ich nehme dich mit deinen Fehlern und Mängeln an. Sonst hätte ich den Weg nicht mit dir gewagt.", versuchte ich zu erklären.
Der Griff um meine Hände wurde fester. Er nahm mein Gesicht in seine rechte Hand und lächelte mich müde an. Ich bin mir sicher, dass er kaum geschlafen hatte.
„Weißt du was?", fragte ich daraufhin.
„Was?"
„Ich liebe deine Grübchen und freue mich immer wieder sie zu sehen.", sagte ich letztendlich. Dieses mal lachte er auf und die Grübchen wurden tiefer.
„Dann bringe mich öfters zum Lachen.", meinte er.
„Wenn ich wüsste wie, hätte ich das öfters gemacht, glaube mir.", sicherte ich. Kurz entstand eine Stille zwischen uns.
„Du bringst mein gebrochenes Herz zum Lachen. Du hast alle Scherben aufgehoben, auch wie oft du dich daran geschnitten hast... Lass mich jetzt die Schnittwunden behandeln.", hörte ich plötzlich im nächsten Moment.
Das war der Zeitpunkt, in dem ich mich erneut in ihn verliebte. Er hatte schon unbewusst die Schnittwunden mit seinen Worten geheilt...

Nach einer kurzen Zeit kamen die Bestellungen und wir fingen mit dem Frühstück an. Währenddessen unterhielten wir uns über unzählige Themen. Ich führte besser gesagt das Gespräch. Okan hörte mir zu und sagte ab und zu ein paar Worte dazu. Ich bemerkte, dass er sich in den letzten zwei Jahren sehr in sich verschlossen hatte. Er war mal ein ganz anderer Mensch. Das wusste ich. Und ich wollte sein altes Ich wieder rausholen. Das wird aber Zeit nehmen, mit der Zeit wird sich alles hoffentlich verbessern.
Im Gespräch rutschte sein Blick immer wieder zu den Tischen hinter mir. War etwa jemand, den er kannte hinter mir? Oder warum blickte er immer wieder nach hinten...
„Bis jetzt habe ich immer etwas von mir erzählt. Was kannst du mir erzählen?", fragte ich Okan nach einer Zeit. Kurz erstarrte er. Er überlegte sich wohl, wie er antworten sollte.
„Naja, ich weiß nicht, was ich alles erzählen soll. Was willst du wissen?", unterbrach er die Stille.
„Das sollte keine Fragerunde werden... Ich will dich einfach nur mehr kennenlernen.", machte ich deutlich. Er zog die Braue in die Höhe.
„Na gut, dann fasse ich ein Steckbrief für dich zusammen... Ich bin Okan Derin. Werde bald 23. Meine Größe ist 1,87... Ich habe ein gutes Gedächtnis und bemerke Angewohnheiten von Menschen ziemlich schnell. Zum Beispiel ist mir aufgefallen, dass du immer mit den Händen spielst und starr auf einen Punkt guckst, wenn du vertieft an etwas denkst. Oder wenn du schreibst bist du manchmal so pingelig, dass du Buchstaben, die dir nicht gefallen weg radierst und von neu aufschreibst. Und wenn du aufgeregt bist, legst du deine Haare immer hinter deinem Ohr... Ich war ein Mensch, der gerne draußen unterwegs war. Als Kind habe ich ziemlich viel Unsinn draußen gebaut. Obwohl ich Angst vor dem Arzt hatte, verletzte ich mich oft und musste anschließend zum Krankenhaus. Ich studiere Bauingenieurwesen. Ab und zu schaue ich Fußball mit meinen Freunden an und ich bin für das Team Beşiktaş... Ich glaube an Schicksal und ich kann sagen, dass du zum richtigen Zeitpunkt in meinem Leben aufgetreten bist. Ich bin Allah dafür dankbar.", erzählte Okan.
Ich könnte ihm stundenlang zuhören.
Wie konnte der Anblick auf einen Mensch so fesselnd sein?
„Reichen diese Infos?", fragte er lächelnd.
„Auch, wenn du über die sinnlosesten Themen sprechen würdest, könnte ich dir zuhören.", sicherte ich. Darüber lachten wir zusammen.

unvergesslich - unutulmazWo Geschichten leben. Entdecke jetzt