11. Kapitel

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„Du hast nicht gesagt, dass wir dich hier nochmal sehen werden", lacht Scott und umarmt mich kurz.
Die anderen Sänger haben sich in der Halle verteilt und werden von kleinen Grüppchen belagert.
Auch neben mir stehen noch einige andere, die der Bariton ebenfalls kurz an sich drückt.
„Ich stand unter Zeitdruck", meine ich und verdrehe grinsend die Augen.
Meinen Namen kennt er auch noch nicht.
Eigentlich könnte ich ihn jetzt sagen, aber ich will nicht, dass er von so vielen anderen gehört wird.
Gegenüber Pentatonix ist er so privat, auch wenn es nur ein Name ist.
Wie alt ich bin, wissen sie auch nicht.
Was meine Hobbies sind.
Sie kennen mich überhaupt nicht, während ich von fast jedem von ihnen behaupten kann, dass ich alles über ihn weiß.
Lieblingsessen, Lieblingsfarbe, Lieblingsdinge.
Jetzt sogar die Lieblingshaarfarbe.
Ich kenne sogar ihre Eltern besser als meine eigenen.
Ich verziehe das Gesicht, als mir das auffällt, und bekomme einen belustigten Blick von Scott zugeworfen, der sich gerade mit zwei jungen Frauen unterhält.
Daraus, dass er mich in diesem Moment erwischt hat, schließe ich allerdings, dass er mich beobachtet.
Ein klein wenig komisch ist das ja schon.
Aber was soll er sonst tun, um mich kennenzulernen?
Fragen, ob ich mit ihnen im Tourbus fahre, ohne zu wissen, ob ich nicht doch ein Stalker bin, der auf genau das wartet?
Unsere einzigen Chancen, Kontakt aufzunehmen, sind die Meet & Greets, die Soundchecks und privaten Performances.
Soziale Medien wären unglaublich komisch, oder Nummern austauschen, oder was auch immer.
Sie sind immer noch Stars.
Sänger.
Weltberühmt.
Die Gewinner der dritten Staffel des Sing Off.
Also keine Leute, mit denen man einfach so über WhatsApp schreibt.
Ich frage mich, ob es durch den Anschlag leichter oder schwerer für mich wurde, mit ihnen Kontakt aufzunehmen.
Die Spannung zwischen uns allen wird wahrscheinlich für immer so komisch sein, weil wir einfach nicht wissen, wie wir miteinander umgehen sollen.
Die Antworten auf meine Fragen kann ich wahrscheinlich auch vergessen.
Zwei Minuten, drei, wenn ich Glück habe vier.
Keine Zeit, um sich besser kennenzulernen.
„Darf ich dich kurz aus deiner Traumwelt reißen?", fragt Scott, wedelt mit seiner Hand vor meinen Augen herum und grinst belustigt.
Verwirrt schaue ich ihn an.
Wie lange war ich weg?
Was ist passiert?
Wie habe ich es geschafft, so sehr in meinen Gedanken zu versinken?
„Wir müssen gleich weiter, aber davor... Ich denke, du kennst die ganzen Social Media Seiten von uns, schreib uns einfach mal an, ja? Das ist wahrscheinlich erst mal ein ganz guter Anfang", meint er und ich nicke nachdenklich.
Wenn ich nicht untergehe zwischen all den Leuten, die täglich womöglich versuchen, Kontakt zu Pentatonix aufzunehmen.
„Schon wieder du!", ruft Nathan kopfschüttelnd, als er mich als Letzte in der Halle sieht.
Ich verziehe das Gesicht, winke den Sängern kurz zu und gehe zu dem VIP-Host, der mir lachend zuzwinkert.
„Danke", sagt er, als wir einige Schritte von der Halle entfernt sind.
„Wofür?", frage ich verwundert und versuche, mit ihm mithalten zu können.
„Dass du dich endlich gemeldet hast. Oder dass du endlich Kontakt zu ihnen hast, jedenfalls mehr oder weniger. Avi ist in den letzten Wochen immer fast durchgedreht, wenn er einen Artikel zu dem Anschlag gesehen hat und die Rede von dem geheimnisvollen Mädchen war. Einfach weil er es auch nicht kannte. Nicht wirklich."
Ich schlucke.
Avi Kaplan hat sich die ganze Zeit an mich erinnert.


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