56. Kapitel

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„Es gibt Leute, die dir noch nicht so sehr vertrauen", schmunzelt Avi, „Und normalerweise ist Scott derjenige, der immer etwas länger braucht, um wirklich mit anderen über Scömìche zu sprechen. Offen und ehrlich, meine ich."
Kevin und Kirstie.
Sich selbst kann Avi nicht meinen, immerhin hat er mir bereits gesagt, dass er aus Pentatonix austreten wird.
Ob sie wirklich zusammen sind?
„Wie geht es dir?", fragt Avi in dem Moment.
„Kompliziert."
Er lacht leise.
„Sehr verständlich. Hast du Heimweh?"
Einen Monat noch. Danach wollte ich eigentlich zurück, ich habe nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, dass ich nach der Tour mit Pentatonix befreundet sein könnte.
„Ich würde nach dem hier nicht mehr in mein normales Leben zurück passen... Aber ich vermisse meine Freundin. Sie macht gerade ihren Abschluss und wir schreiben kaum noch", seufze ich.
Und ich denke fast nicht mehr an sie, weil hier so viel passiert.
Wenn Avi nicht wäre, hätte ich ihr wahrscheinlich erst wieder geschrieben, wenn ich eine Nachricht von ihr bekommen hätte.
So überlege ich, ob ich nicht gleich mein Handy aus der Tasche ziehen soll.
Dass Avi das Gesicht verzogen hat, merke ich erst, als er seufzt.
„Das kenne ich viel zu gut."
Fragend sehe ich ihn an.
„Ich versuche, täglich mit meinen Eltern zu telefonieren, aber oft geht das im Trubel einfach unter... Meistens muss mich Esther daran erinnern, und dann verstehe ich mich selbst nicht mehr, weil es mir eigentlich so wichtig ist, ich aber nie Zeit dazu habe."
„Ist das auch ein Grund, wieso du aufhören willst?", frage ich vorsichtig.
Eigentlich wollte ich dieses Thema vermeiden, tut es uns beiden doch so offensichtlich weh, aber ich will ihn verstehen, um ihn unterstützen zu können.
Avi nickt nur.
Ich greife nach seiner Hand und drücke sie.
„Es liegt nicht an dir, Avi. Das Leben als Sänger kann ich mir gar nicht vorstellen, das muss unglaublich anstrengend sein", lächele ich aufmunternd.
„Wenn uns so jemand sieht, geht es uns wie Scömìche", gluckst Avi, nachdem wir eine Weile schweigend und händchenhaltend nebeneinander hergelaufen sind.
Ich will ihm sagen, dass die Beziehung von Scott und Mitch garantiert komplizierter ist als unsere, doch bin still, als ich merke, dass das ganz und gar nicht der Fall ist.
Ich habe nämlich keine Ahnung, was das zwischen dem Basssänger und mir ist.
Also zucke ich nur mit den Schultern und grinse ihn an.
„Woran denkst du?", fragt er sofort.
Mir muss unbedingt jemand beibringen, wie man seine Gefühle besser versteckt.
„Was wird nach der Tour passieren?"
Er ist nicht zufrieden mit meiner Antwort, das sehe ich ihm an, doch er hakt nicht nach.
„Ich werde noch eine Weile dabei bleiben, wir werden ein paar Lieder aufnehmen, Videos drehen, Interviews und Konzerte geben,... Ich weiß noch nicht, wann ich aufhöre. Ob ich es überhaupt machen kann."
„Du hast mit Esther darüber gesprochen, nicht wahr?"
Avi nickt seufzend.
„Sie wusste schon vorher, dass irgendwas nicht stimmt. Ich habe es ihr nicht freiwillig erzählt, eigentlich wollte ich ein paar Wochen warten, um zu schauen, ob es nach der Tour nicht wieder besser wird" erklärt er.
„Avi."
Ich bleibe stehen, um ihn besser anschauen zu können.
„Ja, ihr habt tausende Fans, die enttäuscht sein werden. Aber sie werden nur enttäuscht sein und dich nicht umbringen! Ihr habt die verständnisvollste Community, die ich je in meinem Leben kennengelernt habe. Niemand wird dich dafür verurteilen, man kann doch sehen, dass du nicht mehr glücklich bist hiermit. Ich liebe dich dafür, dass du dich erst um andere kümmern willst, aber das geht nicht mehr, wenn du davon krank wirst! Als du mir im Wald das Lied vorgesungen hast, konnte ich spüren, wie glücklich du warst. Es war ganz anders als auf den Konzerten, obwohl du da auch übers ganze Gesicht strahlst, weil ihr von so vielen Leuten unterstützt werdet und weil du in deinem Element bist. Damals im Wald, da war nichts mehr in dir, was du nicht mochtest. Das warst nur noch du."

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