23. Kapitel

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„Ist das immer so?", frage ich lachend, als wir ein paar Gänge entlang gehumpelt sind und die anderen nicht mehr hören.
Dass ich mich damit nur vom anhaltenden Schmerz in meinem Fußgelenk ablenken will, gestehe ich mir selbst nicht ein.
„Mitch und Phips? Ja. Aber wir haben sonst noch ein paar mehr aus dem Team dabei, die haben heute nur einen freien Abend eingefordert", erzählt Avi.
„Verständlich", sage ich leise, doch der Basssänger hört mich.
„Findest du uns auch so anstrengend?", gluckst er und schiebt mich sanft um eine Ecke, wobei er darauf achtet, dass ich nicht stolpere und auf meinem kaputten Fuß lande.
„Das hast du jetzt gesagt", grinse ich.
„Nein, eigentlich finde ich eher das Reisen an sich anstrengend", seufze ich nach einer Weile.
„Kann ich verstehen. Aber gleichzeitig hat es auch gute Seiten", meint Avi und klopft an einer Tür.
„Ich komme gleich", ruft jemand und ich versuche nochmal, meinen Fuß zu bewegen, weil ich eigentlich nicht vorhatte, jemanden damit zu belästigen, doch ich habe eher das Gefühl, dass es schlimmer geworden ist.
Der Schmerz zieht sich ungefähr durch meinen gesamten Körper.
„Sie packt bestimmt gerade", meint Avi, der meinen gequälten Gesichtsausdruck sieht, und öffnet einfach die Tür.
„Ich habe gesagt, ich komme gleich", seufzt die Stimme und ich entdecke eine Frau, die mit dem Rücken zu uns steht und versucht, einen Stapel Papiere zu ordnen.
„Esther, das ist ein Notfall", sagt Avi ruhig und führt mich zu einem Stuhl, auf den ich mich dankbar fallen lasse.
Erst jetzt fällt mir auf, dass mein Fuß wahrscheinlich nicht nur streikt, weil er eben ein Plakat abbekommen hat. Das stundenlange Stehen hat bestimmt auch seinen Teil dazu beigetragen.
„Avi, kann ich dich kurz sprechen?", fragt Esther leise, nachdem sie mich gesehen hat.
„Esther, bitte! Phips hat ihr den Fuß gebrochen oder so", seufzt Avi und macht sich selbst auf die Suche nach etwas, mit dem er meinen Fuß verarzten kann, als seine Schwester weiterhin skeptisch bleibt.
„Ich hab es schon eingepackt, das Paket ist im Bus", gibt sie schließlich nach.
„Wir sind gleich wieder da", meint Avi zu ihr und stützt mich wieder, als ich aufstehe.
Ich komme mir komisch vor, fast wie ein Verbrecher, als sie mich anschaut, die Stirn in Falten gelegt.
Bis mir in den Sinn kommt, dass sie mich nicht kennt und wahrscheinlich für einen einfachen Fan hält, der Aufmerksamkeit bekommen will.
„Ich komme mit, ich muss sowieso noch was wegbringen", sagt Esther und hebt den Stapel Papier hoch.
„Sie ist müde und weiß nicht, wer du bist, nimm es ihr nicht übel", murmelt Avi mir leise zu und bestätigt damit meine Gedanken.

Kurze Zeit später stehen wir vor dem Tourbus und mir wird übel.
Das hier ist so surreal.
Würde ich Lucia hiervon erzählen, würde sie mich auf direktem Weg in die nächste Psychiatrie bringen.
Selbst mir scheint es unglaubwürdig.
Avi behandelt mich so normal, die anderen sind auch nichts weiter als normale Wesen, die vielleicht etwas durchgeknallter sind als normale Menschen, aber auch sie sind nicht so unnahbar, wie ich bis jetzt dachte.
„Kommst du da alleine hoch?", fragt Avi und deutet zweifelnd auf die enge Treppe, die in den Bus führt.
„Ich versuche es", meine ich und beiße die Zähne zusammen, um nicht aufzuschreien, als ich mich die Treppe nach oben quäle.
Der enge Raum, der mich empfängt, zeigt mir deutlich, wo ich hier gelandet bin.
Überall hängen Fotos, Zeichnungen, Plakate von Fans.
Ehrfürchtig sehe ich mich um und vergesse darüber fast den Schmerz, bis Avi mir den Weg nach hinten weist, wo ein wenig mehr Platz ist.
Ich setze mich hin und versuche, ihn davon abzuhalten, mich zu verarzten, bis er seufzend seine Schwester ruft.
„Ich glaube, sie hat was gegen mich. Kannst du das machen?", fragt er sie.
„Ich habe nichts gegen dich, ich halte das nur für sinnlos, außerdem muss ich noch zurück ins Hotel, und die machen irgendwann zu", protestiere ich müde.
„Avi, kann ich dich bitte kurz sprechen?", drängt Esther leise und zieht Avi zur Seite.
Der wirft mir einen letzten entschuldigenden Blick zu und verschwindet dann mit seiner Schwester.
Ich kann ihre Stimmen gedämpft hören, doch ich bekomme nicht mehr mit, wie sie zurückkommen.
Denn davor wird alles um mich herum langsam dunkel.

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