16. Kapitel

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„Wie geht es euch?", ruft Mitch grinsend, nachdem die letzten Töne von Cracked in der Halle verklungen sind und auch der Applaus nachgelassen hat.
Auf meinem Gesicht macht sich ein Lächeln breit.
Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich die Stimmung hier schon vermisst habe, dabei war es nur ein einziges Konzert, welches ich verpasst habe.
„Ich hör nichts!", merkt Scott vom Hintergrund der Bühne an, woraufhin das Geschrei nur noch lauter wird.
„Schon besser!", lacht Kirstie.
„Es ist unglaublich, dass wir schon wieder zurück in Amerika sind. Ganz ehrlich, mir kommt es so vor, als wären wir gestern erst losgefahren. Auch wenn ich mir jetzt schon kein Leben ohne Tour mehr vorstellen kann. Ist das nicht komisch?", erzählt Scott und ich lächele über die verwirrten Blicke, die er dafür erntet.
Nein, ich kann den blonden Sänger durchaus verstehen.
Mir geht es ganz genau so.
Ich könnte schwören, dass ich erst gestern mit Lucia meinen Koffer gepackt habe, und doch sind die buntesten Erinnerung an all diese unglaublichen Konzerte da.
„Ja, das ist komisch", beschließt Avi, der kurz überlegend den Kopf schief gelegt hat, „Aber mir geht es auch so."
„Gruppenkuscheln!", ruft Kevin lachend und zieht seine Bandmitglieder in eine Umarmung.
Von der Seite legt jemand kichernd die Arme um mich, während ich jetzt wirklich verwirrt bin.
Habe ich was verpasst?
Was ist passiert, dass alle so in Erinnerungen schwelgen und sich umarmen müssen?
„Ist heute was Besonderes?", rufe ich meiner Nachbarin zu, als Pentatonix die ersten Töne des nächsten Lieds anstimmt.
Sie schüttelt den Kopf, nachdem sie kurz nachdenklich eine Pause eingelegt hat.
„Nicht, dass ich wüsste", schreit sie dann zurück.
Jetzt bin ich nur noch verwirrter.

„Wir brauchen fünf Mutige", fängt Avi geheimnisvoll an, doch bevor er weitererzählen kann, weiß schon jeder, worum es geht, und kreischt los.
Ich lasse mich lachend ein wenig mitreißen, doch auf die Bühne will ich heute nicht, ich habe inzwischen andere Mittel, Pentatonix zu treffen, und ich will die Chance niemandem wegnehmen.
Scott, Mitch und Kevin stürmen von der Bühne, um Leute - „Mutige" - zu suchen, während Kirstie schnell ihre Flasche schnappt, um etwas zu trinken.
Avi steht einfach nur auf der Bühne und beobachtet das Treiben.
„Das war nicht nett. Ihr habt mich unterbrochen", sagt er dann leicht schmollend, bevor er ebenfalls die wenigen Stufen nach unten geht.

Avi kommt in meine Richtung.
Kirstie folgt ihm schnell, da die anderen drei schon fertig sind und umständlich versuchen, die Plätze zuzuteilen.
Ich weiß nicht, ob ich Angst haben oder glücklich sein soll.
Mein Körper entscheidet sich für Angst.
Ich beiße auf meine Unterlippe und bin kurz davor, die Luft anzuhalten, bevor ich mich besinne und normal weiteratme.
Ganz durchdrehen muss ich jetzt doch nicht.
Kirstie findet fast sofort jemanden, wahrscheinlich hat sie sich vorher schon umgeschaut, doch Avi lässt sich Zeit und läuft langsam immer weiter.
„Ihr seid ja schon wieder so ruhig", stellt er fest und entfacht damit neuen Jubel.
Ich lache und stoße einen grellen Pfiff aus.
Wenn er es laut haben will, bitteschön.
Was ich nicht bedacht habe: Ich wollte seine Aufmerksamkeit gar nicht wirklich.
Aber genau die habe ich jetzt.
Avi braucht keine zwei Sekunden, um mich zu finden und als Störenfried auszumachen.
Doch er braucht mindestens fünf Sekunden, um zu überlegen, was er jetzt tun soll.

Dann hebt er das Mikrofon an seine Lippen.
„War das eine Herausforderung?", fragt er grinsend, lässt das Mikrofon sinken und pfeift.

Was kann dieser Mann eigentlich noch?

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