32. Kapitel

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„Wir haben zwei Nächte in Memphis, ich habe uns Zimmer gebucht", meint Esther beim Frühstück.
Scott seufzt erleichtert.
Ich kann mir vorstellen, wie sehr er die Betten im Bus hassen muss, immerhin sind sie selbst mir fast zu klein.
„Wenn es für dich okay ist, kannst du dir mit Phips und mir ein Zimmer teilen", wendet sich Avis Schwester mir zu.
„Quatsch, ich habe für mich ja auch was gebucht. Woher hätte ich vor ein paar Monaten wissen sollen, dass ich euch so schnell kennenlerne?", lächele ich, bedanke mich aber trotzdem.
„In welchem Hotel kommst du denn unter? Ich bin mir nämlich nicht so sicher, ob wir dich besuchen würden, wenn zwischen uns tausende Kilometer liegen", meldet sich Scott zu Wort.
„So groß ist Memphis auch wieder nicht", belehrt Esther ihn und gibt mir damit die Gelegenheit, zu schweigen – ich habe nämlich selbst keine Ahnung, in welchem Hotel ich bin. Für einen kurzen Moment kommt es mir so vor, als wäre nicht Avi, sondern sie die Kindergärtnerin hier.
Eine ziemlich gute noch dazu.
Wahrscheinlich stimmt das auch – oder sie sind beide damit beschäftigt, die anderen vier in Schach zu halten und zu belehren.
Grinsend stehe ich auf und räume mit Kirstie und Phips den Tisch ab, bevor ich mich zu den anderen ins Hintere des Busses geselle.
„Wo ist denn eigentlich der Rest des Teams?", frage ich, nachdem ich mich zwischen Kirstie und Mitch fallen gelassen habe.
„Gute Frage", meint Scott und bekommt dafür einen Schlag von Mitch, der anscheinend aber nicht sehr kräftig ist, denn der Blonde lacht nur.
„Die kommen nach. Phips hat dir bestimmt gesagt, dass sie freie Tage eingefordert haben", erklärt der Tenor dann.
Ich nicke und schaue aus dem Fenster, um die vorbeiziehende Natur zu beobachten.
Bis mir siedend heiß einfällt, dass Lucia noch rein gar nichts von meiner jetzigen Situation weiß.
Ein Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht, als ich mein Handy aus der Tasche ziehe und die Landschaft draußen fotografiere.
Zusammen mit einer kleinen Nachricht, die besagt, dass Lucia meinen Aufenthaltsort erraten soll, schicke ich meiner besten Freundin das Bild.
Keine fünf Minuten später kommt die Antwort.
Ich überlege nicht, wie viel Uhr es bei ihr sein muss, und grinse stumm vor mich hin, weil sie mindestens fünfhundert Kilometer daneben liegt.
„Können wir vielleicht kurz ein Foto machen?", frage ich die Anderen, die jeder für sich in ihren eigenen Welten versunken sind, scheinheilig.
„Musst du kurz angeben?", grinst Mitch, der sich zu mir beugt und die Nachrichten zwischen Lucia und mir sieht.
Verstehen kann er sie schlecht, es sei denn, er hat über Nacht Deutsch gelernt.
„Nein, Lucia ist kein Pentaholic. Aber sie ist meine beste Freundin und hat mir hierbei ziemlich geholfen, es wäre doch gemein, wenn sie hiervon nichts wüsste, denkst du nicht?", verteidige ich mich.
„Dass ich das noch miterlebe, dass du tatsächlich ein Foto mit uns machen willst", meint Mitch kopfschüttelnd, zieht dann aber doch Scott zu sich, damit er auch auf dem Bild zu sehen ist.
Kirstie ist eingeschlafen und Kevin und Avi unterhalten sich angeregt über irgendwelche Musiktheorien, wobei wir sie nicht stören wollen, deswegen mache ich schließlich einfach ein Foto von Scömìche und mir.
Als ich es mir anschaue, muss ich mich stark zurückhalten, um nicht loszuprusten.
Als hätten sich die Beiden abgesprochen posieren sie exakt gleich.
Kurz überlege ich, ob ich mich nicht einfach aus dem Bild schneiden soll, aber dann entscheide ich mich dagegen – Lucia soll immer noch wissen, wo ich bin.
„Das. Ist. Nicht. Dein. Ernst.", schreibt sie wenige Sekunden später.
Grinsend schreibe ich ihr, dass es sehr wohl mein Ernst ist, und dass es eigentlich weniger meine Idee als die von Phips war.
Und dass sie mich jetzt einfach nicht mehr gehen lassen.
„Und was ist jetzt dein Plan?", fragt Lucia.
Das ist eine sehr gute Frage.
„Leute? Wie stellt ihr euch das hier vor?", frage ich in die Runde.
Sogar Kevin und Avi unterbrechen ihr Gespräch, nur Kirstie schläft seelenruhig weiter, den Kopf auf Kevins Schulter gelegt.
„Wie stellen wir uns was vor?", entgegnet Kevin.
„Ich werde euch garantiert nicht die restliche Tour über hier begleiten. Ich stehe total im Weg rum, und das ist kein schönes Gefühl", seufze ich.
Wenn ich alleine reise, bin ich auch ziemlich tatenlos, aber immerhin belästige ich dann niemanden.
Außer mich selbst vielleicht.
„Du stehst nicht im Weg rum. Du wirst sehen, nach ein paar Konzerten kommt es dir eher so vor, als würden wir im Weg rumstehen", grinst Scott unschuldig.
Ich werfe ihm einen vernichtenden Blick zu.
„Aber was mache ich denn dann den ganzen Tag? Aufbauen, abbauen, euch das Wasser reichen? Das ist nichts für mich", meine ich und verziehe das Gesicht, als ich merke, wie eingebildet das klingt.
„Unser Wasser reichen wir uns normalerweise selber", murmelt Kirstie schlaftrunken.
„Ich habe eine gute Idee. Wir können dir doch vertrauen, oder?", schmunzelt Esther, die in diesem Moment zu uns kommt.

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