39. Kapitel

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„Sag bitte, dass das nicht dein Ernst ist"
Das ist das Erste, was ich am nächsten Morgen sehe, als ich an mein Handy gehe und WhatsApp öffne.
Lucia hat bestimmt um die hundert Nachrichten geschrieben, und nachdem ich mir alles durchgelesen habe, sind schon 20 Minuten vergangen.
„Frühstück!", ruft jemand durch den Bus, doch ich reagiere nicht.
In Deutschland ist es jetzt Abend, ich könnte sie anrufen, doch nach all den Nachrichten habe ich Angst davor.
Erst war sie stolz auf mich, dann verwirrt, dann wütend, dann traurig, und anschließend wieder wütend.
Die letzte Nachricht hat sie mir wahrscheinlich eher in Verzweiflung geschrieben.
Und doch hat sie kein einziges Mal angesprochen, was sie so durcheinandergebracht hat.
„Kommst du?", fragt Kevin, der heute als letztes aufgestanden ist, was bis jetzt noch nie vorgekommen ist. Normalerweise ist er als Erster auf den Beinen.
„Eine Sekunde", meine ich, schicke ein Fragezeichen mit einem schockierten Smiley an Lucia und stehe auf, um dem Beatboxer in den vorderen Busteil zu folgen.
„Da ist die Frau, der wir unser gemeinsames Frühstück zu verdanken haben", grinst Phips, als sie mich sieht.
„Das ist gar nicht wahr, früher haben wir auch manchmal zusammen gegessen", protestiert Kirstie halbherzig.
„Du meinst, sobald sich Mitch etwas zu essen geholt hat, haben wir es ihm schnell nachgemacht, um wenigstens ansatzweise zusammen zu frühstücken?", lacht Avi.
Daraufhin erwidert Kirstie nichts mehr.
Mitch scheint überhaupt der Einzige zu sein, der eine größere Reaktion zeigt.
Empört schaut er Avi an, der das gelassen nimmt.
„Sie ist halt unsere Diva", grinst Scott und schlichtet damit Mitchs einseitigen Kampf mit dem Basssänger. Stattdessen verdreht er nur die Augen und widmet sich wieder seinem Obstsalat.
„Hey. Wieso bekomme ich keinen?", frage ich und deute auf Mitchs Schüssel.
„Wieso haben wir überhaupt welchen?", fragt Esther und runzelt die Stirn.
„Genau, wo kommt der her?", fragt Kevin verwirrt.
„Bist du sicher, dass du das essen willst? Obst überlebt hier entweder zwei Minuten oder... zu lange", wirft Phips besorgt ein und ich muss lachen.
Das stimmt allerdings.
Entweder stürzen sich alle darauf, oder es verschimmelt in der Ecke.
Kirstie nutzt die Verwirrung, um ein Stück Ananas aus Mitchs Schüssel zu klauen.
„Wir waren heute Nacht einkaufen", erklärt Scott schließlich.
„Heute Nacht."
Esther wirft ihm einen amüsierten Blick zu, sagt aber nichts.
Sie muss schon lange an die geballte Verrücktheit gewöhnt sein, die in diesem Bus herrscht.
Und wieder fällt mir ein, dass ich Scömìche noch nicht zur Rede gestellt habe.
„Mitch", fange ich also an, während sich in meinem Kopf ein genialer Plan formt, „Ich sollte doch Bilder von dir machen, nicht wahr?"
Scheinheilig lächele ich ihn an.
Jeder andere würde sofort skeptisch werden - jeder andere Anwesende ist auch spürbar skeptisch - doch Mitch schaut mich nur begeistert an.
„Klar! Wann?"
„Wenn wir angekommen sind. Wir fahren gleich nämlich weiter", meint Phips und ich schaue sie verblüfft an.
Von ihr hätte ich eher lautstarken Jubel erwartet. Als sie mir zuzwinkert, wird mir klar, dass sie einfach nur wissen will, was ich vorhabe.


Lucia hat mir einen Link geschickt.
Nichts anderes.
Einen Link.
Und sie weiß, dass ich ihn gesehen habe, ich kann ihn nicht einfach ignorieren.
Ich schließe mich im Bad ein, will nicht, dass die anderen meine Reaktion sehen, wenn schon Lucia so ausgeflippt ist.


Aber auf das, was ich sehe, hätte ich mich nie richtig vorbereiten können.

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Surprise! Zur Feier von Vorschreib-Kapitel 50 und Vorschreib-Seite 100 gibt es jetzt noch ein Kapitel. Und noch ein Cliffhanger. Viel Spaß. ;P <3

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