30. Kapitel

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„So viel dazu. Ich glaube, da habe ich beschlossen, dass ihr normale Menschen seid", murmele ich verlegen.
Es ist der endlos lange Text, in dem ich geschrieben habe, dass man sie nicht verurteilen soll, wenn sie menschlich sind.
Die nächsten Bilder stammen aus Bangkok und erinnern mich an den jungen Mann, der von Su dazu aufgefordert wurde, mich zu küssen.
Ich beiße mir auf die Unterlippe und entschuldige mich kurz, um ins winzige Bad verschwinden zu können.
Wenige Tage nachdem ich gemerkt habe, dass sie normal sind, war ich immer noch so sehr... auf Avi fixiert.
Ich weiß nicht, wieso er mich so anzieht, immerhin kenne ich ihn nicht mal richtig.
Aber schon von Anfang an gut genug.


„Kommst du mit raus, Amari? Wir sind morgen lange genug hier drin. Natürlich nur, wenn dein Fuß wieder geheilt ist", lächelt Avi einige Stunden später. Es wird langsam dunkel draußen, aber das scheint ihn nicht zu stören.
„Klar", sage ich und stehe auf, um ihm aus dem Tourbus zu folgen.
Erst dann fällt mir auf, dass wir alleine sind.
Ich frage nicht, was mit den anderen ist, da es ihm gar nicht aufzufallen scheint, dass wir zu zweit das Gelände verlassen.
„Hast du ein bestimmtes Ziel?", frage ich nach einer Weile.
„Dich besser kennenlernen?", antwortet er schmunzelnd.
Er weiß genau, dass ich das nicht meinte.
„Irgendwas Konkretes?", lache ich.
Avi zuckt mit den Schultern und sieht mich von der Seite an.
Ich laufe mit gesenktem Blick weiter.
Es ist unglaublich komisch, neben seinem früheren Idol abends durch die Straßen zu ziehen.
„An was denkst du?", fragt er in dem Moment.
Ich lache auf.
Das kommt jetzt unglaublich komisch rüber.
„Daran, dass ihr früher meine absoluten Vorbilder ward", entscheide ich mich, die Wahrheit zu sagen.
„Und jetzt nicht mehr?", fragt Avi gespielt empört.
„Jetzt erst recht", grinse ich.
„Richtige Antwort", schmunzelt Avi und biegt plötzlich ab.
„Okay, entführst du mich jetzt?", frage ich skeptisch, als der Weg immer schmaler wird.
„Nein. Ich zeige dir nur, wer ich bin. Wenn du mir schon nicht sagen willst, der du bist", zwinkert er mir zu und biegt noch einmal ab.
Die Stille tritt beinahe plötzlich ein, gleichzeitig mit Avis Lächeln.
Ich bekomme Gänsehaut.
„Überraschung", sagt Avi unglaublich leise.
„Woher kennst du das hier?", wispere ich, ich traue mich nicht, die Stille zu durchbrechen.
„Das hier ist meine Inspiration. Wenn ich nicht einmal am Tag in die Natur komme, gehe ich kaputt", antwortet er und lässt mich seine Ehrlichkeit beinahe spüren.
Oder seine Sorge, weil er nicht weiß, ob es mir gut geht, denke ich und wende mich von ihm ab, tue so, als würde ich den Pfad beobachten.
„Wenn du nicht schon müde bist, können wir hier noch lang gehen", schlägt Avi vor.
Seit ich das hier gesehen habe, bin ich gar nicht mehr müde.
„Morgen können wir doch lange genug schlafen", lächele ich und gehe langsam los.
Avi läuft neben mir her, und für eine Weile durchbricht keiner von uns das Schweigen.
„Und, was ist jetzt mit dir?", fragt Avi dann leise.
„Ich weiß es nicht", antworte ich seufzend.
Und das ist der Moment, in dem ich realisiere, dass ich auch deswegen aus Deutschland raus wollte – um mich selbst kennenzulernen.
Und der Moment, in dem Avi anfängt, leise zu singen.


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Weiter gehts! Diesmal sogar extra früh, damit ihr nicht zu lange warten müsst. ;D

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