Kapitel 39: „Schwelgen in Erinnerungen"

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„Ich geb's auf!", grinste Rose und verdrehte die Augen. „Jetzt runter da, ich wollte den noch benutzen!" Sie scheuchte Eugene vom Tisch und lachte auf, „Ist ja widerlich!"
Rose nahm Eugene den Stoff wieder ab, rollte alle Stoffe wieder auf und verstaute sie im Regal. „So, ich denke, viel länger kann ich euch nicht mehr bei Laune halten. Ich sollte mich dransetzen, wenn ich bis nächste Woche fertig werden will." Sie klemmte sich das Kästchen mit dem Nähgarn unter den Arm und steckte sich ein paar Nadeln in ihren Haarknödel, „Noah führt dich sicherlich noch zur Tür, nicht wahr?"
Noah nickte und hielt Eugene sein Hemd und die Weste hin. „Aber erst, wenn er sich wieder angezogen hat!" Die beiden Männer folgten Rose in den Vorraum, wo diese alles, was sie unterm Arm trug, auf den runden Tisch ablegte und sich dann an diesen setzte. Verträumt sah sie aus dem Fenster und legte ihr Kinn auf ihren Händen ab. „Hach, ist die Welt nicht schön? Es ist alles so farbenfroh und fröhlich!"
„Oh ja, sehr fröhlich!", murmelte Noah ironisch, „Unser Königspaar ist tot und ich will gar nicht wissen, wie's Rapunzel geht."
„Aber gerade das ist doch das tolle!", sagte Rose enthusiastisch und begann mit ihrer Arbeit. „Bist du jetzt Sadistin geworden?"
„Eugene, versteht mich sicher!", murmelte die Braunhaarige, „Manchmal ist Trauer und Schmerz etwas Schönes. Wenn man richtig damit umgeht, fühlt es sich wundervoll an, besonders, wenn man sich später davon befreien kann." Als sie vom Stoff aufsah, waren ihre Augen glasig und Tränen hatten sich in ihnen gesammelt. „Deswegen bin ich froh, dass Rapunzel diese Freude endlich erfahren kann!"
Noah starrte seine Schwester eine Weile an, ehe er sich Eugene schnappte und ihn zur Tür drückte. „Ich begleite ihn noch ein Stück." Als er die Tür hinter sich schloss, atmete er erleichtert auf. „Mann, in letzter Zeit ist sie echt komisch!" Fragend sah er zu dem Prinzen hinüber. „Wie geht es Rapunzel eigentlich? Ach, und bevor du dich wunderst: Manimus kam vorbei und hat uns vom Tot des Königs und seiner Frau erzählt. Es stimmt, dass der Rest des Volkes keine Ahnung hat."
Eugene zog gerade noch seine Weste über, als er Noah ins Dorf hinein folgte. „Hm? Oh, Rose ist schon ein wenig komisch, aber gerade das macht sie ja so nett und wir würden doch nicht wollen, dass sie anders ist, oder? Und was Rapunzel angeht... Ihr geht es momentan eher, ich würde mal sagen, nicht so gut. Aber ich bin mir sicher, wenn sie den Tod ihrer Eltern erst richtig verarbeitet hat, ist sie wieder ganz die Alte.", meinte er zuversichtlich und fügte noch leise hinzu, „Hoffe ich jedenfalls..."
Als die beiden Männer dann an der Schmiede vorbei kamen, stoppte Eugene und lief an die offene Werkstatt heran, wo ein kräftiger Mann gerade ein Schwert schleifte.
„Ich bin gleich wieder bei dir, Noah!", rief Eugene dem Schwarzhaarigen zu und wandte sich an den Mann in der Schmiede. „Ähm, entschuldigen Sie, ich würde gerne einen Ring bestellen! Könnten Sie den bis nächste Woche fertigmachen?" Er beugte sich über den kleinen, rundlichen, kahlköpfigen Mann und räusperte sich, „Bitte!" Der Glatzköpfige stöhnte hörbar auf, ohne Eugene auch nur eines Blickes zu würdigen.
„Sonst noch Wünsche, junger Herr?"
„Äh, ja! Also, wenn es keine Umstände macht, würde ich noch eine Eingravierung in dem Ring haben wollen."
„Und die hieße?"
„Nun, ich würde ganz gerne, dass sie ‚Du bist mein neuer Traum' eingravieren."
„Gut!"
Der Mann zog einen kleinen Zettel aus seiner Hosentasche und kritzelte darauf die Wünsche von Eugene in einer krakeligen Schrift nieder. „Für wen soll ich das denn...?", doch da schaute der Mann in das Gesicht des ehemaligen Diebes und verstummte augenblicklich. Rasch rückte er von Eugene ab und spuckte ihm nur abschätzig folgende Wörter entgegen: „Flynn Rider?! Für dich erledige ich überhaupt nichts!"
„Ach, komm schon, zählt das denn immer noch! Ich hab' mich doch längst geändert. Außerdem heiße ich jetzt Eugene." Er betonte seinen neuen beziehungsweise alten Namen diesmal eindeutig. „Der Ring soll für Rapunzel sein, deine...", jetzt hätte er beinahe Königin gesagt, „Der Ehering der Prinzessin ist verloren gegangen und deshalb wollte ich nun für meine Frau einen neuen machen lassen. Also, was sagst du, Schmiedi? Machst du ihn, für die Prinzessin?" Verwundert musterte der Schmied den Prinzen und gab letztlich nach. „Na gut, unsere Prinzessin kriegt den Ring! Aber damit das klar ist, ich mach' ihn nicht für dich. Er ist nur für unsere süße, liebe Rapunzel. Du wirst dich nicht damit bereichern?"
„Nein, das würde ich doch niemals tun!"
Eugene verschränkte grinsend seine Arme vor der Brust. „Übrigens wollte ich ja nur, dass du den Ring anfertigst, mehr wollte ich nicht von dir, Schmiedlein!"
„Ach, geh' weg, Rider!"
Der Kahlkopf wedelte nur abfällig mit der Hand. „Ich liefere den Ring dann schon am Schloss ab, wenn er fertig ist. Musst dir also nicht die Mühe machen, nochmal hier vorbei zu schauen. Bleib' mir einfach vom Leib!"
Er packte Eugene und schubste ihn aus seiner Werkstatt heraus, woraufhin dieser fast mit Noah zusammengestoßen wäre. „Hey, Noah! Da bin ich wieder." Er schlang einen Arm um die Schultern von Roses Bruder, wobei sich ein breites Grinsen auf seinen Lippen bildete.
„Und damit ist der zweite Auftrag erledigt, jetzt muss ich nur noch zur Beichte!" Eugene strubbelte Noah durchs schwarze Haar und lachte herzlich auf. „Na dann, viel Spaß!", murmelte Noah und strich sich die Haare wieder glatt, „In der Kirche ist bestimmt grad' die Hölle los, schließlich ist da heute Abend die Beerdigung, nicht?" Er warf dem Kirchturm einen Blick zu und seufzte. „Hoffen wir mal, die sind so schlau und schaffen es die Beerdigung zu vertuschen. Ich hab' keinen Bock auf einen riesigen Massenauflauf, bei dem vor lauter Angst, Panik ausbricht. Mein ja nur, aber irgendwie war's 'ne ziemlich bescheuerte Idee, dem Volk nichts zu erzählen. Früher oder später finden sie's eh raus und dann bricht vermutlich Panik aus, weil sich alle Sorgen machen."
Er verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete das ferne Schloss. „Weißt du, manchmal frag' ich mich echt, was sich da drinnen abspielt? Kommt mir vor, als hätte sich ein Haufen Adliger gegen das arme, wehrlose Volk verschworen und warten nur auf seine Zerstörung." Doch langsam fiel ihm wieder ein, dass Eugene ja nun im Schloss lebte. Also war die Verschwörungstheorie wohl nicht sehr angebracht. „Nichts gegen dich, Kumpel!", murmelte er dann rasch, „Aber irgendwie sind Adlige komisch."
„Eugene, mein alter Freund!" Die beiden Männer fuhren herum und sahen, wie ein Mann wild mit den Armen wedelte. Als er vor ihnen stehenblieb, musterte Noah ihn fragend. Er sah nicht schlecht aus, das musste er zugeben. Seine Haut war braungebrannt, seine Augen meeresblau und sein blondes Haar fiel in Wellen bis kurz über seine Schultern. Der Mann nahm den blauen Hut, der sich auf seinem Kopf befand, ab und verbeugte sich kurz vor den beiden. Dann sah er wieder auf und nahm Eugenes Hand. „Mein herzliches Beileid! Ich möchte mir nicht ausdenken, wie es Euch nun geht."
„Verzeiht die Frage, aber wer ist der Kerl?", fragte Noah. Der Blonde sah auf und lachte verlegen. „Verzeiht, ich vergaß ganz mich vorzustellen. Mein Name ist Lord David, ich bin ein guter Freund von Eugene." Dann wandte er sich wieder Besagtem zu, „Ist Rapunzel im Schloss? Wie geht es ihr? Ist sie in Ordnung?"
„Ähm, Rapunzel ist momentan in einer schwierigen Phase, aber... D-Das ist ja nur selbstverständlich, bei dem, was sie gerade durchmacht." Eugene hatte Mühe seine Stimme aufrecht zu erhalten, da er mit Lord David so früh gar nicht gerechnet hatte.
Er sieht echt gut aus! Jetzt fühle ich mich gleich so klein und unbedeutend neben diesem geborenen Prinzen, diesem ‚Prince Charming'. Oh man, Rose hat Recht! Es wird Zeit, dass ich mich langsam mal ‚Prinzgerecht' verhalte. Doch an David werde ich nie rankommen können, dazu ist er einfach zu gut – zu perfekt.
„I-ich kann dich leider nicht begleiten, David, denn ich hab' noch 'was zu tun, aber geh' doch schon mal vor! Du findest dich im Palast sicher besser zurecht, als ich, deshalb hast du Rapunzel bestimmt schnell gefunden. Ich denke, sie kann im Augenblick alle Gesellschaft gebrauchen, die sie kriegen kann. Denn wie mir vor gar nicht allzu langer Zeit jemand sagte, sollte Niemand alleine sein!"
Nun wollte sich Eugene auf den Weg zur Kirche machen, um seine monatliche Beichte schnell hinter sich bringen zu können, damit auch er Rapunzel für den Rest des Tages nicht mehr alleine lassen musste.
„Bis dann, Noah!", rief er dem Bruder der Schneiderin lächelnd zu, doch vor dem blonden Prinzen verbeugte er sich rasch, „Lord David, wir sehen uns dann sicher im Palast!"
David nickte höflich und sah Eugene noch nach, ehe er in Richtung Schloss verschwand. Dort erkannten ihn die Wachen natürlich direkt und ließen ihn ohne zu zögern eintreten. Er nickte ihnen höflich zu, ehe er das prunkvolle Schloss betrat. Corona würde er mittlerweile als sein zweites Zuhause betrachten, so oft war er schon hier gewesen. Der Kronleuchter an der hohen Decke, das hölzerne Treppengeländer, die Portraits an den Wänden. Alles kam ihm so vertraut vor.
„David?" Als er aufsah, entdeckte er den wunderschönsten Engel, den er je gesehen hatte. Ihre langen goldenen Haare waren teils geflochten, teils offen, sodass sie nur noch halb so lang wie sonst waren.
„Sonnenschein!" Lächelnd kam er ihr entgegen, umfasste ihre Hüften und wirbelte sie durch die Luft. „Hallo!", kicherte sie leise und schlang ihre Beine um seinen Oberkörper.
„Hallo!", erwiderte er leise und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Ich hab' dich vermisst...", murmelte Rapunzel leise und drückte seinen Kopf gegen ihr, vergleichsweise kleines, Dekolleté.

Frozen & Tangled I: Beware the frozen HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt