Wie Rapunzel vermutet hatte, schlief ihr Ehemann tatsächlich schon, als Pascal in dessen Zimmer schlüpfte. Das kleine Chamäleon legte die herausgerissene Seite auf dem Nachtisch ab, der links vom Bett stand, in dem Eugene schlief. Dann machte es sich Pascal auch bequem und schlummerte wenige Minuten später auf dem Kissen neben dem Braunhaarigen ein.
Am nächsten Tag merkten beide nicht, wie die Sonne aufging und die warmen Strahlen durch das Glas des Fensters, wo Eugene die Vorhänge aufgezogen hatte, hereinfiel. Das Chamäleon erwachte als erstes und wollte nun auch den Braunhaarigen wecken, damit er die geschriebenen Worte seiner Frau las.
Pascal spuckte seine Zunge in das Ohr von Eugene und wartete ab. Dieser würde bestimmt dadurch sehr bald sogar erwachen, da war er sich sicher. Und er irrte nicht, denn Eugene brauchte nicht lange, um die feuchte, mit Chamäleonspeichel bedeckte Zunge zu spüren. „Ah!!", schrie er und rückte an die Lehne des Himmelbettes heran, sodass Pascal von ihm wegflog, „Ich dachte, das wolltest du nie wieder machen. Was sollte das?"
Eugene bekam eine Gänsehaut, wenn er nur an diese feuchte Zunge in seinem Ohr dachte und schüttelte sich ein paar Mal daraufhin. Das grüne Chamäleon dagegen schüttelte nur den kleinen Kopf und wies auf den Nachtisch, worauf die Seite aus Rapunzels Notizbuch lag. Der Braunhaarige folgte widerwillig dem Blick von Pascal, dann wurde seine Miene jedoch fragwürdig. „Ist das von Rapunzel? Wieso...", fragte er, endete nicht und griff stattdessen nach dem Stück Pergament. Dennoch faltete er es nicht auseinander, sondern zündete zu Pascals Verwunderung eine Kerze an. Das Chamäleon sprang auf den Nachtisch, um die Seite zu retten, aber es war zu spät, Eugene hatte sie längst an die kleine Flamme des Kerzenstummels gehalten. Das Pergament fing Feuer und die Worte darauf verschwanden, ohne dass sie auch nur irgendjemand gelesen hatte.
„Tut mir Leid, Pascal!", meinte der Braunhaarige, als er den Blick des Chamäleons bemerkte, „Aber wenn sie mir etwas zu sagen hat, dann kann sie mir das auch von Angesicht zu Angesicht erzählen! Das habe ich doch auch getan... teilweise... Zumindest würde ich es auch tun." Er ging zum Kamin hinüber und warf die verkohlte Seite hinein. Eine Weile lang betrachtete er die letzten Funken, die verglühten, dann lief er zum Bett zurück und warf sich seine Kleidung über, wobei sein Oberkörper nackt blieb, denn leider hatte er in diesem Zimmer keine Kleidungsstücke, die waren alle im Schrank, in dessen Raum sich Rapunzel jetzt wohlmöglich aufhielt.
Das kleine Chamäleon quickte aufgeregt, so als würde es schimpfen, doch Eugene beachtete es nicht. Er schenkte seine Aufmerksamkeit nun der Tür, durch die ein sehr aufgelöster Adam hereingerannt kam.
„Eugene!" Die braunen Haare klebten dem Priester auf der schweißnassen Stirn. Begleitet wurde Adam von der kleinen Elfe, die noch recht gelassen wirkte.
„Du musst mitkommen, unbedingt! Es ist etwas Schreckliches passiert!" Adam erfasste Eugenes Arm und zog ihn mit sich. Dabei erklärte er im Laufen: „Als ich gestern nach der Beerdigung die Kirche aufgeräumt habe – für die Hochzeit eurer Freunde –, da bin ich an dem Sarg von Rapunzels Eltern vorbeigekommen und du willst mir nicht glauben, was ich da gesehen habe." Auf dem Flur hielt er inne, sah nach rechts und links und beugte sich dann vor, damit ja niemand sie hören konnte. „Da war jemand an dem Sarg. Und dieser Jemand...", er sah sich noch einmal um, „...war David. Ich habe keine Ahnung, was er da wollte, aber als er mich gesehen hat, ist er fortgerannt. Ich bin ihm nicht hinterher, aber ich hatte eine ganz schlimme Vorahnung, also bin ich zurück und... Eugene, dem König..." –
„Hey-Ho, alle miteinander!" Die junge Schneiderin hüpfte von hinten auf die beiden Männer zu, was Adam vor Schreck aufschreien ließ. „Alles gut, ich bin's nur!", machte Rose und sah dann zu Eugene, „Na, wie war die Nacht? Schön heiß?" Sie zwinkerte ihm zu und grinste breit, während Fulvia an ihrer Seite auftauchte und ein eher schüchternes ‚Guten Morgen' hören ließ.
„Ich hab' geschlafen. Wie soll denn da 'ne Nacht heiß sein? Fieber hatte ich zumindest nicht, das würde noch fehlen, wenn ich krank würde!", schnaufte Eugene an Rose gewandt und wünschte Fulvia ebenfalls einen guten Morgen. Er zog das Jackett zu, sodass die Anwesenden seinem nackten Oberkörper keinen Blick schenken konnten und drehte sich dann wieder zu Adam herum. „Erzähl' mir ganz genau, was du gesehen hast, okay?", flüsterte der Braunhaarige dem jungen Priester alarmiert zu. Eigentlich konnte er es nicht so recht glauben, dass David etwas dergleichen tun könnte – er war doch so perfekt, so hemmungslos edel wie kokett – und da sollte er jetzt also etwas tun, dass einem toten König die Ehre nimmt?
In welchem Zusammenhang würde das denn stehen, für wen würde er das tun? Rapunzel würde er so etwas doch nicht antun, nicht ihrem Vater, oder?
„Kein Sex?", fragte Rose jetzt verwundert und erhielt dafür einen belehrenden Blick von Fulvia. „Komm mit Rose, wir machen mal Frühstück!" Sie hakte sich bei der Schneiderin unter und zerrte sie fort in Richtung Speisesaal. „Verräter!", jammerte Rose noch, bevor sie zusammen mit Fulvia im nächsten Seitengang verschwand.
„Nun...", der Priester holte tief Luft und lehnte sich gegen eine Fensterbank. Er zog einen Zettel unter seinem Gewand hervor. „Den hat er fallen lassen, als er die Kirche verlassen hat. Ich habe ihn noch nicht gelesen, weil ich mich nicht getraut habe...", erklärte er und reichte dem Prinzen den Zettel, „Aber das ist nicht das, was mir Sorgen bereitet. Eugene, als er weggerannt ist, war seine Kleidung voller Blut. Ich habe nachgesehen und..."
Der Braunhaarige machte eine Pause, weil er spürte, wie ihm schlecht wurde, als er sich an das gestrige Bild erinnerte. „Dem König... dem König... er... er hat ihm..." –
„Verzeiht, Euer Hoheit, aber ihr steht im Weg!" Die beiden Männer sahen auf, nur um eine stämmige Frau zu sehen, die ihnen einen wütenden Blick schenkte. Ihr folgte eine Karawane von jungen Dienerinnen, die alle Berge von Kleidung auf ihren Armen trugen und zwar Männerkleidung; Eugenes Kleidung.
Hinter den Dienerinnen hatte sich Rapunzel verborgen, die mit einem spargeldünnen, alten Mann am Diskutieren war. Dieser Mann, namens Johann, war der Hofschreiber und bis zu seinem Tod der Kammerdiener des Königs gewesen. „Ihr könnt doch euren Mann nicht vor die Tür setzen!"
„Ich kann tun und lassen, was ich will!", erwiderte Rapunzel, „Außerdem setzte ich ihn nicht vor die Tür, ich setzte ihn nur hinter eine andere."
„Aber...!", doch Johann verstummte, als er sah wie sich Eugene vor ihnen aufbaute. Erschrocken nahm der Mann sein Monokel und drehte es zwischen seinen Fingern. „Oh! Euer Ho... Euer Majestät, welch' Überraschung!"
Rapunzels Mann räusperte sich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ähm, dürfte man fragen, was Sie da tun?" Er sah den Kammerdiener ernst an und schenkte seiner Frau dann ein kleines Lächeln, das ihr einen guten Morgen wünschen sollte. Eugene wusste zwar nicht, wie es Rapunzel gerade ging – ob sie immer noch schlecht auf ihn zu sprechen war, wie gestern Nacht –, er hatte sie ja auch deutlich mitgenommen, aber er dachte einfach, gegen ein Lächeln war keiner immun. Und so wurde sein Lächeln ihr gegenüber wieder etwas breiter.
Johann sah zu Rapunzel hinüber und dachte, sie würde ihrem Mann antworten, aber stattdessen verschränkte sie nur trotzig die Arme vor der Brust. „Nun...", räusperte er sich, „Eure Frau möchte Euch gerne auf... ein Einzelzimmer verlegen." Er warf Rapunzel einen Blick zu und diese nickte bestätigend. „Sie meinte, sie könne es nicht ertragen, mit Euch in-in einem Zimmer zu schlafen."
„Ach, ja? Meinte sie das?", erwiderte Eugene und wandte sich fragend an Rapunzel, die nur mit den Achseln zuckte. „Wenn sie das möchte, dann werde ich ihr nicht im Weg steh'n, aber ich möchte trotzdem, dass sie nicht alleine bleibt. Gäbe es da Möglichkeiten, wie man das regeln könnte?", fragte er nun an Johann gewandt, der gerade ein Tuch zur Hand genommen hatte und sein Monokel putzte. „Nun, also..." Johann sah kurz auf und warf der Blonden einen Blick zu. Diese funkelte Eugene nur böse an und verschwand wieder hinter ihrer Zimmertür.
Kaum hatte sich die Prinzessin entfernt, entspannte sich Johann merklich. Er steckte sein Monokel zurück in die Hosentasche und blickte den Prinzen vor sich an. „Ich weiß ja, dass mich das nichts angeht, aber ich denke, Ihr solltet einmal vernünftig mit ihr reden. Wenn die Festlichkeiten vorbei sind, selbstverständlich!"
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Frozen & Tangled I: Beware the frozen Heart
FanfictionRapunzel und Flynn sind zur Krönung von Elsa eingeladen und reisen nach Arendelle. Dort werden die beiden in die sich überschlagenen Ereignisse verwickelt, besonders dadurch, dass Rapunzel sich mit Anna gemeinsam auf die Suche nach Elsa begibt. Doch...