Eugene hatte Raymond nur stumm gemustert, als dieser dabei gewesen war, ihm die Termine für die kommende Woche vorzulesen und zu erklären.
Er nickte nur abwesend und musste die Furcht, die wieder in ihm aufgekeimte, hinunterschlucken, während der Berater die Schriftrolle, worauf die Liste geschrieben war, zusammenrollte.
Doch ehe er etwas erwidern konnte, sprang Anna zwischen die beiden. „Also, wisst ihr, wo ihr schon dabei seid, einen Plan für die nächsten Wochen zu besprechen, wir hätten da auch noch 'was, was wir euch voller Freude verkünden wollen. Oder wohl eher, womit wir euch nun überraschen wollen!" Die rothaarige Prinzessin grinste die zwei Männer nur verlegen an und wandte sich dann an ihren Verlobten, der jetzt das Wort ergriff.
„Anna und ich, wir hatten nämlich überlegt, wann unsere Hochzeit denn stattfinden könnte? Da wir ja erst besprochen hatten, sie kurzfristig zu planen, waren die Vorbereitungen allesamt so gut wie erledigt, aber dann erzählte sie mir von ihrem Plan, euch zu folgen und in Corona beizustehen, dadurch kam uns die Idee, wie wir beides miteinander verbinden könnten. Naja, es würde uns auf jeden Fall freuen, wenn unsere Hochzeit mit euch hier in Corona stattfinden würde!"
„Und das noch am morgigen Tag!", bemerkte Anna und hakte sich nun wieder bei Kristoff unter, „Ihr bräuchtet auch nichts mehr erledigen, denn die gesamte Hochzeitgesellschaft, plus Kristoffs Steintrollfamilie, hat uns bereits begleitet, somit könnt ihr euch einfach zurücklehnen und diesen Tag mit uns genießen."
„Genau, das bringt es auf den Punkt!"
Kristoff schlang seinen Arm um Annas Schultern und lächelte ihre beiden Gegenüber überglücklich an.
„Und, was meint ihr? Wäre das machbar?", fragte die Prinzessin aufgeregt und kratzte sich unsicher im Nacken. Sie blickte Eugene und Raymond hoffnungsvoll an und wünschte sich so sehr, dass sie zustimmen würden, denn lange konnte sie nicht mehr warten; Sie wollte Kristoff endlich ihren Ehemann nennen dürfen. Sie liebte ihn einfach so sehr, mehr sogar noch als ihre Schwester Elsa. Er war ihr Ein und Alles, das sie nun nie mehr wieder verlieren wollte. Sie hatten sich dank Rapunzel und Eugene gefunden, deshalb mussten diese beiden dabei sein, wenn sie sich das Jawort geben würden. Sie waren es gewesen, die ihnen die Augen geöffnet hatten und von diesem Zeitpunkt an, wollten sie so verbunden und glücklich sein, wie diese beiden.
„Steht nicht nur so bedeppert herum, sagt doch etwas! Haltet ihr es nun für möglich, dass unsere Hochzeit hier morgen stattfinden kann oder nicht?" In Anna huschten Zweifel auf, doch sie wischte diese rasch beiseite, da sie sich dachte, dass diese ganze Hochzeitsgeschichte vermutlich schon etwas überraschend kam und es verständlich war, dass sich die beiden so viel Zeit ließen, um darüber nachzudenken. Doch als Eugene sich bemerkbar machte, kroch Hoffnung in ihr auf.
„Ja?", meinte Anna und sah mit großen Augen von Raymond zu Eugene.
„Also...", räusperte Eugene sich, doch ehe er fortfahren konnte, fiel ihm Raymond ins Wort. „Ich möchte mich nur ungern in private Angelegenheiten einmischen, aber ich finde diese Entscheidung etwas übereifrig. Prinz Eugene weiß gut, was jetzt in seiner Frau vorgeht und ich bin mir sicher, Ihr wisst das auch, Prinzessin Anna. Was sie jetzt braucht, ist Vertrautheit und einen festen Alltag. Sie braucht keine großen Feste. Sicherlich weiß ich nichts von eurer gemeinsamen Vorgeschichte, aber Ihr habt sie bestimmt so kennengelernt, wie ich auch, oder? Als fröhliches, lebensfrohes Mädchen! Ihr habt bereits gesehen, was aus ihr geworden ist."
Raymond ließ die Worte eine Weile wirken. Als eine Dienerin vorbeikam, nahm er das Tablett ab und reichte jedem der Beistehenden ein Glas Rotwein.
„Habt Ihr euch nie gefragt, wie man etwas Vergangenes vergangen machen kann? Gewiss' doch schon einmal, oder?" Raymond nahm einen der Eiswürfel aus dem Glas und legte diesen auf seine Handfläche, „Standhaft und massiv, aber schon eine kleine Aktion bringt ihn zum Schmelzen und es gibt nichts, was ihn wiederherstellen kann. Ich schweife ab, nicht wahr? Aber bedenkt, der Eiswürfel ist sie, wer oder was die Wärme ist – wer oder was sie zerstört – das ist Eure Wahl. Vielleicht irre ich mich ja, aber das Wohl von Rapunzel dürfte uns allen doch am Herzen liegen. Also warum macht Ihr nicht das, was für alle Beteiligten am besten ist und reist wieder ab?" Er trank einen kräftigen Schluck Wein und wandte sich zum Gehen. Doch neben Anna machte er Halt, und flüsterte ihr etwas ins Ohr, „Ach, und übrigens: Ihr zerstört sie gewiss. Gratulation zur Verlobung!"
„Aber wir... Wir wollten doch nur...!", weiter kam sie nicht, da sie schlucken musste, um nicht in Tränen auszubrechen. Anna vergrub ihr Gesicht in Kristoffs Brust und schluchzte auf. „Wir haben es doch nur gut gemeint! Das ist doch ein außerordentlich besonderer Moment für uns, ganz im Gegenteil zum heutigen Tag."
Ihr Verlobter strich beruhigend über ihren roten Schopf und hielt den schwarzhaarigen Berater dabei zurück, denn er gab sich noch nicht geschlagen: „Anna hat Recht! Ein so freudiges Ereignis, wie eine Hochzeit, kann einen keineswegs traurig oder unglücklich stimmen. Also was spricht dagegen, dass unsere Hochzeit morgen stattfindet?" Nun meldete sich auch Eugene zu Wort. „Ich denke, die beiden haben Recht! Außerdem habe ich ja schon bereits in Arendelle die Meinung gehabt, dass es einen Versuch wert ist, sie somit wieder zu unserer alten und so innig geliebten Rapunzel werden zu lassen...", flüsterte er Raymond zu und wandte sich sogleich an Anna und Kristoff, „Also, ich würde mich in der Tat freuen, morgen eure Hochzeit miterleben zu können, liebe Freunde!" Er verbeugte sich vor dem Paar aus Arendelle und bemerkte, dass sich viele Augenpaare von den Menschen im Saal auf sie gerichtet hatten.
Eugene dachte, dass es auch eine gute Entscheidung für das Wohl des Volkes sein würde, denn so könnte dieses sehen, dass Arendelle nicht mehr als Feind Coronas angesehen wurde.
„Wirklich? Unsere Hochzeit kann morgen stattfinden?" Anna blickte fragend zu Kristoff hoch, lächelte breit und war jetzt wieder außer sich vor Freude, „Wir werden heiraten, Kristoff. Ich kann es kaum glauben!" „Ich doch auch, Anna, aber wir verdanken das alleine Eugene. Vielen Dank!" Er nickte Eugene zu und Anna tat es ihrem Verlobten gleich. „Ich danke dir ebenfalls, Eugene – Mehr als ich in Worte fassen kann! Ich bin so überglücklich. Nur noch einen Tag, nicht mal einen Tag, und dann bin schon ich Kristoffs Frau. Habe ich schon erwähnt, wie überglücklich ich bin?" Sie kicherte und knickste vor dem zukünftigen König von Corona.
Das war nun ihr Märchen und Kristoff war ihr Traumprinz, auch wenn er eigentlich gar kein Prinz war, aber alleine der Gedanke daran, dass sie ihre wahre Liebe gefunden hatte, zählte.
Im Nachhinein betrachtet, war es nicht gerade leicht gewesen, das zu erkennen, doch Kristoff und sie hatten sich letztlich gefunden und nur das war es, was zählte.
„Ja, das hast du schon erwähnt! Und ihr braucht mir nicht zu danken. Wer sich liebt, der soll auch heiraten dürfen. Wann, wo und mit wem er will. Raymond denkt das sicher auch, er kann es nur nicht so gut zeigen. Nehmt es ihm nicht übel, ihm... wurde nur einst die Liebe genommen, darum ist er ein wenig ‚verbittert'. Aber wer wäre das in solchen Umständen nicht?" Eugene senkte den Blick und konnte dem Berater nicht in die Augen sehen, da er genau wusste, dass dieser ihm nur vernichtende Blicke schenkte.
Doch schließlich war es Prinzessin Anna, die das Schweigen brach, wobei sie dem Schwarzhaarigen eine Hand auf die Schulter legte und ihn mitleidig ansah. „Oh, jetzt verstehe ich natürlich, warum Sie erst dagegen waren, dass unsere Hochzeit stattfindet. Es tut mir ja so Leid für Sie, Raymond! Es muss furchtbar sein, seine Liebe zu verlieren. Ja, es ist gar nicht auszudenken! Wer immer Sie Ihrer Liebe auch beraubt hat, ist ein schrecklicher und egoistischer Mensch, der ins Jenseits gehört, denn das Leben hätte dieser Mensch, der es wagt eine Liebe zu zerstören, so oder so nicht verdient! Die Liebe ist doch etwas, was man schützen muss – Etwas, wofür es sich lohnt zu kämpfen. Das sollte einem Niemand nehmen!"
Als Eugene dies hörte, musste er unausweichlich schlucken. Anna hatte ja Recht, dennoch hatte sie keine Ahnung, dass dieser Jemand, der Raymond diese Gräueltat angetan hatte, genau neben ihr stand.
Raymond schwieg eine ganze Weile. Er musste sich eingestehen, dass er genau das hatte hören wollen – Mitgefühl. Seit Velvelas Tod hatte er ständig alleine gelebt, sich seinen eigenen Weg durchs Leben gebahnt und so mit der Zeit vergessen, wie sich Liebe anfühlte. Doch er konnte sich jetzt nicht mehr ändern. Sein Herz war dunkel und verdorben, darin befand sich keine Liebe mehr, das wusste er selbst.
Er könnte genauso gut tot umfallen, aber wahrscheinlich wäre sein toter Körper wärmer, als es sein Herz je wieder werden könnte.
„Wisst Ihr...", räusperte er sich nun und warf Eugene einen verachtungsvollen Blick zu, „Ihr habt Recht! Dieser Mensch ist wirklich ganz fürchterlich und egoistisch! Und es ist schwer zu glauben, dass dieser tatsächlich einmal unser König sein wird." Nun hellte sich die Miene des Beraters auf und er erhob sein Glas. „Also stoßen wir doch auf diesen Menschen an! Auf unseren geliebten Prinz Eugene, auf das er ewig herrschen möchte." Dies sprach er so laut, dass alle Anwesenden es hören konnten. Diese erhoben nun auch ihre Gläser und stimmten in einen fröhlichen Singsang ein: „Lang lebe der König!"
Raymond schlang einen Arm um Eugenes Schultern und lachte amüsiert auf: „Ja, lang lebe der König...!"
„Eugene!" Die Gäste verstummten und blickten zur großen Tür hinüber, in der Rapunzel in ihrem Krönungskleid stand und sie alle konnten nicht anders, als Rose' Meisterwerk zu bestaunen.
„Ich sehe aus wie eine Prinzessin!", freute sich Rapunzel, als sie vor ihrem Mann zum Stehen kam, „Oder, äh, wie eine Königin?" Sie kicherte leicht und für einen kurzen Augenblick war da wieder dieses Leuchten in ihren Augen, das alle Freunde, ins Besondere Eugene, vermisst hatten.
„Du bist viel mehr als nur das, mein Schatz! Du bist der hellste Stern an meinem Himmel, mein einziger und ewiger Traum und das tiefe Glück für mich. Du bist meine Königin, Rapunzel! Und ich hoffe, ich kann ein König sein, der dir ebenbürtig ist." Eugene lächelte sie ebenfalls an und erhob nun auch sein Glas. „Lang lebe die Königin!", rief er aus und die Menschenmenge im Saal stimmte wieder mit ein.
„Du, Kristoff?", flüsterte Anna ihrem Verlobten zu und sah ihn fragend an, „Hast du von Eugenes Vergangenheit gewusst?" Dieser schaute sie nur verblüfft an. „Nein, wieso?"
„Naja, ich dachte nur, da ich ihn für schrecklich und egoistisch erklärt habe... Denkst du, er ist mir böse? Ich meine, hätte ich gewusst, dass er es gewesen war, der Raymonds Liebe ausgelöscht hat, hätte ich ihn nie so beschimpft. Ich habe ihn einfach anders kennengelernt, denn gegenüber mir war Eugene so lieb. Ich hätte nicht erwartet, dass er in der Vergangenheit mal zu so etwas fähig war?", murmelte sie und lehnte sich gegen Kristoffs breite Schulter, woraufhin er erneut tröstend einen Arm um ihre Schultern legte. „Ich auch nicht, Anna, aber lassen wir die Vergangenheit vergangen sein und konzentrieren wir uns auf die Zukunft, in Ordnung?"
„Ist gut! Du hast wahrscheinlich Recht..."
Daraufhin erhoben auch die beiden Verlobten ihre Gläser und stimmten in den Singsang der Menge im Saal mit ein. „Lang lebe die Königin!", sagten sie im gemeinsamen Rhythmus.
Rapunzel lief ganz rot an und versteckte ihre glühend roten Wangen rasch mit ihren Händen. Als sie sich nun im Saal umblickte, bemerkte sie, wie voll dieser tatsächlich war. Freunde und Bekannte saßen dort am Tisch und unterhielten sich mit Leuten, die Rapunzel noch nie gesehen hatte. „Pascal, ist das nicht...?", doch weiter kam sie nicht, da bemerkte sie, dass ihr Chamäleon gar nicht mehr auf ihrer Schulter saß.
Als sie sich nach ihm umsah, entdeckte sie ihn und Diantha, die um einen Becher Käfer stritten. Da wollte sie sich besser nicht einmischen, also hakte sie sich bei Eugene unter und beäugte ihn ganz verträumt. „Rose hat mir erzählt, was du auf der Krönung tragen sollst. Du siehst dann bestimmt wie ein richtiger König aus!"
Langsam klang der Jubel ab und der Raum wurde still. Die Blicke der Leute schweiften ziellos umher und blieben schließlich an dem jungen Prinzenpaar hängen. Rapunzel wollte schon die Stimme erheben, doch Raymond schüttelte den Kopf. „Darum geht's nicht...", meinte er, „Das hier ist nachher alles Klatsch und Tratsch unter den Adligen. Sie wollen sich nur alles genau einprägen, um sich später die Mäuler drüber zu zerreißen."
„Oh, ach so...", murmelte Rapunzel und schluckte. Eigentlich wusste sie mittlerweile ja wie das läuft, aber sie hatte das ganze Prinzip nie verstanden und würde es wahrscheinlich nie verstehen. Also gab sie es auf, lehnte ihren Kopf gegen Eugenes Schulter und betrachtete den Wein, der immer mehr in der Kehle ihres Mannes verschwand. „Eugene, Schatz? Betrink' dich bitte nicht wieder!"
Rapunzel hatte ihren Ehemann zwar nur einmal betrunken gesehen, doch zugegeben, hatte er ihr in der Zeit etwas Angst gemacht. Schlicht und ergreifend, weil sie ihn so gar nicht kannte.
„Keine Sorge, das wird heute sicherlich nicht passieren. Ich pass' schon auf!" Er lachte und kratzte sich verlegen im Nacken. „Übrigens haben wir morgen ein berauschendes Fest vor uns, das die Stimmung wieder ein bisschen heben sollte, denn Anna und Kristoff werden morgen heiraten, hier in Corona." Eugene erhob nun erneut sein Glas und wies mit einem Kopfnicken in die Richtung des Paares aus Arendelle. „So lasst uns nun auch auf Prinzessin Anna und Sir Kristoff anstoßen, die sich am morgigen Tag schon vermählen werden. Gratulieren wir ihnen zu ihrer Verlobung, auf das sie immer so glücklich sein mögen, wie jetzt, da sie sich gefunden haben!", murmelte er und kippte sich noch den letzten Rest Rotwein, der sich in seinem Glas befand, in den Rachen hinein und lehrte es damit in einem Zug.
Anna schaute beachtlich zu ihm hinüber und knickste dankend, was Kristoff in einer leichten Verbeugung ihr gleich tat. „Vielen Dank, wir sind selbst sehr glücklich darüber und sogar schon ein wenig nervös, da man ja nicht alle Tage heiratet...!", wandte sich Kristoff verlegen an die Menge im Saal und letztlich an ihre Freunde aus Corona. Er nippte nun auch an seinem Wein, doch er presste sich danach eine Hand an den Mund und musste husten, weil er so ein starkes Getränk einfach nicht gewöhnt war. Darum stellte er das Glas rasch auf einem Tablett ab, als eine Dienerin an ihnen vorbeikam. Anna kicherte daraufhin berührt auf und umarmte ihn breit grinsend, wobei der Blonde ebenfalls seine kräftigen Arme um sie schlang und sie so an sich drückte.
„Also, was ich noch sagen wollte...!", begann Anna, als sie sich von Kristoff gelöst hatte. Sie wandte sich an Eugene und Rapunzel, wobei sie verlegen mit den Spitzen ihres einen Zopfes spielte.
„Für die Hochzeit bräuchten wir noch zwei Freunde als Trauzeugen und da hätten wir an euch gedacht, da ihr ja letztendlich diejenigen gewesen wart, die uns sozusagen ‚verkuppelt' haben. Oh, und nicht zu vergessen, die Blumentiere! Die werden Sven, euer weißer Schimmel Maximus und Rapunzels Chamäleon Pascal sein, wobei Sven noch unsere Ringe tragen wird, da Kristoff meinte, dass sein Freund das unbedingt wolle. Und Elsa wird mich, wenn ich sie hoffentlich überzeugen kann, zum Altar führen. Ja, ich denke, das war's auch!"
Ein aufgeregtes Funkeln hatte sich in den blauen Augen der Prinzessin gebildet.
Das Lächeln, das sie erst Eugene und dann Rapunzel schenkte, strahlte Wärme und Glück aus. Dennoch bemühte sich Anna, Rapunzel nicht zu überfordern, weil sie nur zu gut wusste, was sie gerade durchmachte.
Schließlich hatten Elsa und sie ihre Eltern ebenfalls viel zu früh verloren und das war ein Schmerz, der sie zwar nicht mehr quälte, aber noch immer traurig stimmte.
Rapunzel lächelte breit. „Gerne, ich hab' zwar überhaupt keine Ahnung, was ich machen muss, aber das wird schon!" Sie kicherte leise und zog eine Blume aus ihrem Zopf. Nach und nach zog sie die Blütenblätter ab und ließ sie auf den Boden fallen. Eine merkwürdige Stille trat ein, die Anna aber rasch mit ein paar Fragen durchbrach. Auf die meisten antworteten Eugene und Raymond; Rapunzel war sowieso halb anwesend.
In Gedanken war sie schon viel weiter. Verloren irgendwo in der Zukunft. In all' den grauen Tagen, die noch kommen würden. Sie konnte sich das noch gar nicht vorstellen. So ganz ohne ihre Eltern zu leben. Ja, sie hatte sie nicht lange gekannt, aber in diesem einen Jahr waren sie so wichtig für sie geworden.
Rapunzels Blick schweifte umher, blieb an der Balkontür hängen und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Auf ihrem ersten Ball hatte sie versehentlich etwas Wein getrunken und war nachher gegen sämtliche Wände gelaufen. Als sie gegen die Balkontür gelaufen war, hatte sich ihr Vater bei ihr untergehakt und hatte sie ins Bett gebracht. Sie wusste, dass sich in dem Schlafzimmer ihrer Eltern Bilder hinter jedem Schrank befanden. Bilder, die sie in diesem einen Jahr gemalt hatte, um ihrem königlichen Alltag zu entfliehen.
Langsam fand sie in die Realität zurück. Ihr war nicht aufgefallen, wie die Tränen sich angesammelt hatten, oder dass sie über ihre Wangen liefen. Sie lachte verlegen auf und wischte ein paar Tränen weg.
„Tut mir Leid...", unterbrach sie die laufende Unterhaltung, „Ich muss unbedingt an die frische Luft. Entschuldigt mich, ich komm' gleich wieder!"
Sie wandte sich zum Gehen, doch da hielt Raymond sie zurück. „Du gehst nicht allein!"
Da reagierte auch Eugene und schaltete sich ein.
„Raymond hat Recht, momentan ist es vielleicht nicht gut, wenn du alleine bist; Wir wollen nur dein Bestes! Hast du also vielleicht einen Wunsch, wer dich begleiten sollte? Oder willst du, dass ich mit dir mitkomme?", fragte Eugene behutsam, denn er wusste, nur ein falsches Wort und es war zu spät.
Worte hatten schließlich Macht, nicht so viel Macht wie gute Taten, aber dennoch eine ganz besondere Macht, die einen zerstören und gleichzeitig aufbauen konnte.
„Also, ähm..." Rapunzel schob sich eine Strähne hinters Ohr und lächelte verlegen. „D-Dann hätte ich gerne, dass du mitkommst. Ich will etwas mit dir reden und, naja... mit dir kuscheln." Sie sah zu Anna und Kristoff hinüber. „Stört euch das? Ich muss nicht gehen! Also doch... Aber Eugene kann hier bleiben!" Abwesend griff sie nach der Hand ihres Mannes und hoffte, noch etwas Zweisamkeit mit ihm haben zu können.
„Nein, nein, geht ruhig, wir kommen schon zurecht!", winkte Anna nur ab. Sie zwinkerte Rapunzel noch zu, ehe sie sich bei Kristoff unterhakte und sich mit ihm unters Volk mischte, wobei ihre Schwester Elsa den beiden wieder Gesellschaft leistete.
Während Rapunzel ihren Freunden aus Arendelle noch nachschaute, beugte sich Eugene ihr entgegen. „Na, sollen wir jetzt nach Draußen gehen?", fragte er und musste unwiderruflich grinsen. Rapunzel nickte und hakte sich bei ihm unter. „Können... wir in den Wald?", fragte sie und spielte nervös mit einer Haarsträhne. „Ich will so weit weg wie möglich und da kommt bestimmt Niemand hin. Wir könnten ja vielleicht zum Quietscheentchen!" Die Prinzessin freute sich schon darauf die Raufbolde wiederzusehen.
Jetzt kicherte sie leise und strich über seinen Bart. „Und du hast mir 'was versprochen!"
„Hm, ach ja, was denn?", meinte Eugene fragend, während er mit seiner Frau durch die Flure des Palastes lief und letztlich die große Treppe im Eingangsbereich hinab schritt. Dabei bemerkten die beiden jedoch nicht, dass der königliche Berater ihnen auf den Fuß folgte. Nicht, weil dieser dem Prinzen nicht vertraute – gut, vielleicht teilweise deshalb – aber besonders, weil er sich ebenfalls auf dem Weg zu genannter Gaststätte befand. Wenn auch aus einem anderen Grund, als das Prinzenpaar.
Rapunzel boxte ihrem Mann leicht in die Seite und sah ihn empört an. „Du bist fies, das solltest du noch wissen!", doch dann schüttelte sie nur den Kopf und zog ihn mit die Treppe hinauf, „Ich möchte mich erst noch umziehen, du doch bestimmt auch, oder?" Als sie an Eugene vorbei sah, erblickte sie Raymond.
„Ah, Raymond! Kannst du den Dienern sagen, dass sie bitte Maximus satteln sollen?" Raymond sah kurz auf und nickte dann, ehe er nach draußen verschwand.
„Und du weißt es echt nicht mehr?", fragte Rapunzel jetzt, während sie mit ihrem Ehemann die Treppe hinauf schlenderte. „Sollte ich denn?", meinte Eugene daraufhin peinlich berührt, weil er sich tatsächlich dafür schämte, dass er nicht mehr wusste, von welchem Versprechen sie eigentlich gerade sprachen.
Rapunzel öffnete die Tür zu ihrem gemeinsamen Zimmer, schritt hinein und schloss sie hinter sich. „Du hast versprochen, dass wir unser zweites Mal mit allem Drum und Dran haben!" Sie lachte kurz auf und schüttelte dann den Kopf, „Tut mir leid, entschuldige, ich versuche nur echt, auf andere Gedanken zu kommen." Sie ging zum Kleiderschrank hinüber, fischte ein leichtes, gelb-rosa kariertes Kleid heraus und zog sich dann ihr Krönungskleid aus. Dieses legte sie behutsam auf das Himmelbett, bevor sie in das andere Kleid schlüpfte.
„Ist schon gut, das ist selbstverständlich in dieser Situation. Es ging mir selbst auch nicht anders, auch wenn ich... Naja, du weißt schon... Schuld an dem Tod meiner Mutter bin." Eugene kamen die Worte noch immer schwerfällig über die Lippen, aber er war froh darüber, es endlich seiner Frau anvertraut zu haben.
Das verkleinerte die Last seiner verschwiegenen Taten um einiges, aber es war auch noch so genug übrig, das er ihr nie erzählen würde können.
Nun ging er ebenfalls zum Schrank hinüber und kramte eine braune Hose, ein weißes Leinenhemd und eine braune Weste mit grünen Akzenten hervor. Dazu zog er natürlich wieder seine braunen Lederstiefel an, die er sich einst von einem jungen Edelmann geklaut hatte, als er bereits einige Zeit im Waisenhaus gelebt hatte.
„So, ich denke, wir können los!", meinte Eugene, während er gerade die Weste schloss. Als er die Schranktüren zumachen wollte, bemerkte er die zwei platten Laternen, die unter seiner Kleidung hervorlugten. Er hatte sie vorhin, als Fulvia ihn gebeten hatte mit ihr zu kommen, schnell darunter geschoben. Jetzt jedoch steckte er sie rasch unter seine Weste, sodass sie nicht mehr zu sehen waren. Damit hatte er noch eine Überraschung für Rapunzel im Fittich. Dann wandte er sich wieder der Blonden zu. „Und wir holen unser zweites Mal auf jeden Fall nach, versprochen, diesmal vergesse ich es sicher nicht!" Eugene grinste sie an. Er strich Rapunzel sanft über die Wange und küsste sie einmal flüchtig, ehe er auch schon die Tür ihres Gemachs aufzog und hinaustrat. Rapunzel kam hinterher, schloss die Tür und hakte sich bei ihm unter.
Zusammen gingen die beiden nach draußen zu den Stallungen, wo der weiße Hengst schon auf sie wartete. Der Stalljunge Tobias, hielt Maximus' Zügel und unterhielt sich mit dem Weißen, schwieg jedoch, sobald er Rapunzel und Eugene erblickte. „Eure Hoheiten!" Höflich verbeugte er sich und überreichte Eugene dann die Zügel. Rapunzel lächelte warmherzig und knickste leicht vor dem Jungen. „Danke!"
„Ähm, ja, bitte doch?"
Die Blonde ließ sich von Eugene aufs Pferd helfen und legte sich dann ihren geflochtenen Zopf auf die Oberschenkel. Eugene schwang sich nun ebenfalls auf den Rücken des Schimmels und nahm so vor Rapunzel Platz. Über seine Schulter blickte er noch einmal fragend zu seiner Frau und als diese nickte, trieb er den Hengst an.
Wenige Minuten später fanden sie sich zwischen dunklen Tannen und festem Unterholz wieder. Das hohe Gras kitzelte Rapunzels Zehen und sie musste leise kichern.
Seufzend schlang sie die Arme um ihren Vordermann und musterte das ferne Schloss, das man noch über die Baumwipfel hinweg sehen konnte. „Kaum zu glauben, dass wir wirklich da leben?", seufzte Rapunzel leise und begann abwesend zu summen.
Seit ihrem Einzug im Schloss – also ihrem 18. Geburtstag – waren sie nicht mehr im Wald gewesen. Beide war es verboten die schützenden Stadtmauern zu verlassen, sehr zum Leidwesen von Rapunzel.
Eugene hingegen teilte die Meinung ihrer Eltern. Er wollte sie auch in Sicherheit wissen, allerdings fand er die Vorgehensweise ihrer Eltern falsch; Sie führten sich fast auf wie Gothel, sagten ihr, dass alles außerhalb der Stadtmauern schlecht war. Aber vielleicht war es gut, ihr dies einzureden?
Was die beiden Verliebten jedoch nicht bemerkten, war das verdächtige Rascheln von Blättern, dass Maximus dazu veranlasste, anzuhalten. Nun sah auch Rapunzel auf.
„Was ist denn?", murmelte sie fragend. „Ich weiß es nicht...", meinte Eugene genauso verwundert, „Ich sehe mal nach!" Während seine Augen sich zu Schlitzen formierten, stieg er von Maximus ab und ergriff das Zaumzeug von diesem. Rapunzel bat er dabei, mit nur einem flehenden Blick, auf dem Schimmel zu verweilen, damit sie im Notfall schnell flüchten konnte.
Dann ging er auf den Busch vor ihnen zu und bewegte die Zweige mit einer Hand zur Seite.
In genau diesem Moment blitzte etwas Silbernes zwischen den Zweigen auf. Alles geschah ganz schnell und in dem Bruchteil einer Sekunde spielte sich vor Rapunzels Augen ein Horrorszenario ab.
Maximus stieg, wieherte laut und mit rasender Geschwindigkeit flog dieses Etwas genau auf Eugene zu; Der Pfeil eines Langbogens, der sich auf direktem Wege durch seine rechte Schulter bohrte.
Um sich zu halten, klammerte Rapunzel sich an die weiße Mähne, doch als sie den Pfeil sah, schrie sie voller Entsetzen auf und sprang von Maximus' Rücken hinunter. „Eugene!!"
Er war noch etwas benommen, als Rapunzels Stimme ihn in die Wirklichkeit zurückkatapultierte.
Die Überraschung des Angriffes hatte ihn einfach überrumpelt und der Schmerz, der jetzt in seiner Schulter pulsierte, brachte ihn fast um.
Dickes, klebriges Blut strömte aus der Wunde, in der der Pfeil noch immer steckte.
Eugene führte seine Hand langsam dorthin, wobei sie stark zitterte.
Damit er nicht zu viel Blut verlor, presste er diese auf die Wunde und rappelte sich mit noch zittrigen Knien auf. „Geht es dir gut, Rapunzel?", murmelte Eugene und selbst diese Worte kamen nur schwerfällig über seine Lippen. Er stolperte zu ihr hinüber und legte einen Arm um ihre schlanken Schultern, um sie so vor einem möglichen, weiteren Angriff schützen zu können.
Trotz dessen, das er verletzt war und sie wohlauf, war er immer noch um ihre Sicherheit besorgt. Fast so wie damals, als er beinahe in ihren Armen gestorben wäre.
Rapunzels Lippen zitterten, als sie versuchte, etwas hervor zu bringen, doch aus ihrer Kehle kam kein Wort und so nickte sie nur. Dann jedoch begann sie rasch ihren Zopf zu öffnen und legte ein paar ihrer Haare auf seine Schulter. „Wer... Wer tut denn so etwas Schreckliches?", fragte sie, während in ihrem Kopf alles durcheinander war. Verwirrt suchte sie eine Antwort auf die Frage, aber ihr fiel beim besten Willen nichts ein. Genauso wenig, wie ihr der Zauberspruch einfiel.
„Verzeih...!", murmelte sie leise und atmete einmal tief durch, doch dann schüttelte sie nur den Kopf und lehnte sich gegen einen Baumstamm, „Bei mir ist alles durcheinander, mir fällt der Zauberspruch nicht ein..."
Fest presste sie ihre Augen zu, um Eugene nicht anblicken zu müssen. Doch stattdessen fiel ihr Blick auf eine der Baumkronen, in denen sie etwas Weiteres schimmern sah.
Ohne groß nachzudenken, schnappte sie Eugenes Hand und zog ihn hinter den nächsten Baum. Der Pfeil verfehlte sie nur um ein Haar und hinterließ dabei eine kleine Wunde an Rapunzels Oberarm.
„Schatz! Nein, du...", fuhr Eugene zu seiner Frau herum und riss rasch ein Stück von seinem Hemd ab. Als er mit seinem Arm den ihren fasste, hatte er nicht bemerkt, dass es der Arm gewesen war, in dessen Schulter immer noch der Pfeil steckte, der sein Blut pulsieren ließ. Deshalb entfuhr ihm ein leiser Schmerzenslaut, den er erstickte, indem er sich auf die Unterlippe biss. Nun band Eugene den kleinen, weißen Stofffetzen um Rapunzels Oberarm, damit sich die Wunde nicht infizierte. Er schmeckte bereits Blut, als er endete, da seine Lippe blutete, weil er zu stark darauf gebissen hatte, um den Schmerz in seinem Arm zu ignorieren. Doch jetzt holte ihn dieser wieder ein und er war stärker als erwartet, weshalb sein ganzer Körper erbebte.
Eugene presste nun wieder seine andere Hand auf die Wunde, aber diesmal half es nicht sonderlich viel. Er brauchte ärztliche Versorgung und zwar schnell. „Wir sollten... Argh!" Der Schmerz zuckte durch seinen Körper, sodass er verstummte.
Nach einer langen Pause versuchte er es jedoch erneut. „Wir schaffen es so nicht zum Palast zurück. Das Quitscheentchen ist unsere einzige Chance; Meine einzige Chance!"
Eugene umfasste Rapunzels Gesicht und sah sie direkt an, dabei hatte er nicht vergessen, dass sie ihn ganz einfach heilen könnte, aber er konnte auch verstehen, dass sie bei diesem Schock den Zauberspruch dafür vergessen hatte. Also erhob er sich mit schlotternden Beinen und half seiner aufgelösten Frau auf.
Er wusste, dass sie so etwas nicht gewohnt war, für ihn dagegen war es eine Zeit lang Alltag gewesen, solche Situationen zu bewältigen.
Rapunzel nickte langsam, atmete tief durch und ging dann mit ihm gemeinsam zu Maximus hinüber. Der Hengst stand wie angewurzelt da und musterte die Wunden des Ehepaares. Er wollte erst Reiß aus nehmen, doch Rapunzels flehenden Blick verstand er. Gehorsam legte er sich auf den Boden, damit die beiden aufsitzen konnten. Diesmal setzte sich Rapunzel zwar wieder nach hinten, ergriff jedoch die Zügel mit einer Hand und schlang den anderen Arm mit der freien Hand um Eugene.
„Es tut mir so leid!", murmelte sie noch, ehe sie dem Hengst das Zeichen gab, loszureiten.

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Frozen & Tangled I: Beware the frozen Heart
FanfictionRapunzel und Flynn sind zur Krönung von Elsa eingeladen und reisen nach Arendelle. Dort werden die beiden in die sich überschlagenen Ereignisse verwickelt, besonders dadurch, dass Rapunzel sich mit Anna gemeinsam auf die Suche nach Elsa begibt. Doch...