Yoongi P.o.V.
"Man, Yoongi, du kannst nicht schon wieder die Schule schwänzen!" Erneut hämmerte mein Bruder hoffnungslos gegen meine abgeschlossene Zimmertür.
Ich antwortete nicht, blieb weiter mit geschlossenen Augen auf dem Bett liegen.
Ich war wieder in mein altes Muster verfallen. Ich hatte gedacht, mein Leben hätte sich tatsächlich endlich zum Guten gewendet. Doch anscheinend war ich falsch gelegen.
Immer wieder stellte ich mir diese Fragen: Was hatte ich falsch gemacht? Mochte er mich von Anfang an nicht? Warum hat er ohne eine Erklärung komplett den Kontakt abgebrochen?
Wieder hob ich mein Handy hoch, welches neben mir lag, ging auf Jimin's Profil. Alle meine Nachrichten gelesen, doch nicht geantwortet. Anscheinend hatte er mich jetzt auch noch blockiert.
Meine Hand sank wieder nieder auf die Matratze und ich starrte schweigend an die Decke, während sich eine stumme Träne den Weg über mein Gesicht bahnte. Sie brannte auf meiner kühlen Wange.
"Yoongi! Bitte, fang nicht wieder wie früher an...", Jin verzweifelte langsam. "Lass mich einfach in Ruhe", sprach ich monoton, worauf ich einen weiteren tiefen Seufzer vernahm. "Yoongi, ernsthaft. Ich... will doch nur helfen..." "Du kannst mir nicht helfen und jetzt geh!", ich ballte meine Hände zu Fäusten.
Ich vernahm Schritte, welche sich entfernten. Seufzend fuhr ich mir durch die Haare. Ich war wieder ein erbärmliches Wrack geworden. Seit drei Tagen tat ich nichts mehr. Rein gar nicht. Ein ironisches Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus, je größer es wurde, desto mehr Tränen bahnten sich den Weg aus meinen Augen. Das Grinsen wurde zu einem psychophatischen Lachen und ich erhob mich und trat vor den Spiegel in meinem Zimmer.
Amüsiert betrachtete ich meinen dünnen Körper, meine geschwollenen Augen, die fettigen Haare, die aufgeplatzten Lippen. Hatte ich ernsthaft gedacht, jemand würde mich mögen? Alleine mein Aussehen, mein Charakter... alles! Schon lustig, alleine einen Gedanken darüber verschwendet zu haben. Ich legte meine Finger auf meinen Hals und kratzte langsam mit den spitzen Fingernägeln daran herunter bis zu meinem Schlüsselbein. Er hinterließ eine rote Spur, doch den Schmerz spürte ich nurnoch kaum.
Ich wandt meinen Blick ab und er fiel zu meinem Schreibtisch. Langsam bewegte ich mich auf ihn zu und zog mit zitternden, schwachen Händen eine Schublade auf. Sofort sprang mir etwas glänzendes ins Blickfeld.
Ich erinnerte mich wieder an diesen angenehmen Schmerz, welcher mich wenigstens kurz daran erinnerte, wie es war, zu fühlen. War ich wirklich schon wieder so weit?
Ich wusste genau, dass es schwer war, daraus wieder herauszukommen. Doch das Verlangen wurde wieder in mir geweckt, mein Blick haftete auf dem kleinen glänzenden Gegenstand.
Vorsichtig streckte ich meine Hand aus und nahm die Scherbe in die Hand. Ich schob meinen Ärmel nach oben.
Die Wunden waren größtenteils verheilt, nur ein paar fast schon unsichtbare Narben waren zu sehen. Sollte ich es wieder tun?
Ohne weiter darüber nachzudenken, setzte ich an meinem Arm an und übte leicht Druck aus. Ich zischte auf und verzog mein Gesicht ein wenig, doch ließ mich nicht davon abhalten, die scharfe Kante über meine Haut zu ziehen. Erst vorsichtig, dann glitt die kalte Scherbe tiefer in mein Fleisch.
Er mochte mich, hatte mich nie gemocht. Niemand mochte mich, sorgte sich um mich, wollte etwas mit mir zu tun haben. Warum auch?
Mit zusammengepressten Zähnen entfernte ich den Gegenstand wieder etwas und mein Arm begann zu zittern, worauf ich mich an den Schreibtisch setzte und den Arm auf der Tischplatte ablegte. Bluttropfen bildeten sich in dem Schnitt und quollen langsam hervor. Eine salzige Träne tropfte darauf und vermischte sich so mit dem davor dickflüssigen Blut. Erneut zog ich scharf die Luft ein und spannte den Arm an.
Noch ein Schnitt. Leise aufschreiend warf ich die Scherbe auf den Boden und kniff die Augen zusammen. Meine Fingernägel bohrten sich in meine Hand und die ersten Tropfen liefen auf den Holztisch. Ich war den Schmerz nicht mehr gewohnt.
Trotz des höllischen Brennens, welches gerade durch meinen Körper rauschte, war ich mir einer Sache zu hundert Prozent sicher: Der physische Schmerz war lange nicht so schlimm wie der psychische.
Meinetwegen könnte ich nächtelang gefoltert werden, solange ich wenigstens Freunde hatte, welche an meiner Seite standen. Wahre Freunde.
Doch in Welcher Welt lebte ich? Ich konnte langsam nicht mal mehr meinen eigenen Anblick im Spiegel ertragen, wie sollte es also jemand anderes?
Ich nahm mir ein Taschentuch und drückte es auf die Wunden. Alleine in meinem Zimmer, da war es am schlimmsten. Da konnten mich meine düsteren Gedanken und Zweifel immer überfallen, mir einreden, wie erbärmlich und unnütz ich doch wäre. Und ich ließ es zu. Hatte es für eine Zeit geschafft, sie fast komplett zu unterdrücken.
Doch nun waren sie wieder da. Sie waren zurückgekommen, nur sollte man aus Fehlern lernen. Sie waren stärker geworden.
Ich fühlte mich noch schwächer, noch schlechter. "Jimin...", murmelte ich leise und drückte das Taschentuch stärker auf die brennenden Wunden.
Warum hatte er mir das angetan? Warum machte ich mir so viel daraus? Warum ließ ich mich von meinen inneren Gegnern wieder auffressen, mein Unterbewusstsein regieren?
Nur wegen einem Jungen. Einen fast unbekannten, kleinen Jungen, welcher vorgegeben hatte, mein Freund zu sein. Welcher mir tatsächlich Hoffnung und Fröhlichkeit geschenkt hatte. Er hatte mir weh getan. Alles, was ich mir aufgebaut hatte, das Selbstbewusstsein, Stärke, Mut. Alles hatte er zerrissen, alles in einer Sekunde.
In der Sekunde, in der er sich umgedreht hatte und einfach wegrannte. Und ich wissend, dass er diesmal wohl nicht mehr zurück kommen würde. Nicht zu mir.
"Es gibt Essen!" Ich starrte weiterhin vor mir auf die Wand, mein Herzschlag sich langsam wieder regulierend, der Druck auf meinen Arm nachlassend. "Yoongi wenn du spätestens morgen nicht da raus kommst, trete ich die Tür höchst persönlich ein!"
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I Know Your Brother || Yoonmin || Jimin schreibt...
Hayran Kurgu[ABGESCHLOSSEN] Texting • Story • Yoonmin Er hatte mich mehr oder weniger zufällig angeschrieben, eher um mich loszuwerden. Und trotzdem hatten wir begonnen, weiter miteinander zu schreiben, uns wichtig zu werden. Ja, er wurde mir wichtig, sehr soga...