1. Kapitel - Nullpunkt

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Ich fühlte mich seltsam ... ungefähr so, als sei ich auf den Kopf gefallen und beim Aufwachen waren alle Erinnerungen weg; einfach spurlos verschwunden. Ja, ungefähr so könnte man dieses Gefühl wohl beschreiben, nur dass ich keine Kopfschmerzen hatte. Als ich wieder ... sagen wir, zu mir gekommen war, fühlte ich mich ganz normal - gesund, fit und munter, das war es, das mein kurzer Systemcheck ergab. Alles schien ganz normal, aber das war, bevor ich die Augen öffnete...

Das erste was ich sah, war goldenes Licht, das sich als weite Kuppel über mir wölbte. Es waberte, bewegte sich; fast so, als bewegten sich überall Schatten und huschende Gestalten aus Licht. Dann kehrte mein Gehör zurück und ich hörte dieses Singen - das Wort trifft es nicht wirklich, denn es war keine menschliche Stimme, von der dieser überirdische Gesang kam. Die Stimme, ob menschlich oder nicht, rührte etwas in mir an, gab mir Kraft und plötzlich erwachte in mir Hoffnung, mehr noch Glaube an eine Zukunft und der Wille dafür zu kämpfen; mit allem zu kämpfen, das ich hatte. Etwas in mir loderte auf, mein Kampfgeist, und wie kochendes Wasser strömte Entschlossenheit durch meine Arme. Stolz hob ich mein Kinn, stand aus meiner kauernden Haltung auf und sah mich um.

Das Umschauen brachte nicht wirklich etwas - meine Umgebung war noch immer seltsam und verwirrend. Ich stand irgendwo auf einem Stück Rasen, über mir wölbte sich diese wabernde Kuppel aus goldenem Licht und darüber spannte sich, nur von winzigen, glühenden Sternen erleuchtet, das Himmelszelt. So unendlich weit. Ich schloss kurz die Augen und spürte wie mein Geist dem Himmel und seiner unendlichen Freiheit zuströmte. Ich war frei. Jetzt endlich war ich frei.

Um mich herum, der Innenseite der Kuppel folgend, huschten Gestalten aus Licht, die andere, dunkle Gestalten auf der Aussenseite der Kuppel belauerten. Hinter den dunklen Gestalten erstreckten sich seltsam geformte Steinquader in alle Richtungen. Der Anblick war derart verstörend, dass er mich erst einmal vom Mittelpunkt des Geschehens ablenkte - erst nach einem kurzen, heftigen Kopfschütteln konnte ich mich auf das konzentrieren, das direkt vor mir lag: Unter der Kuppel standen ein Junge und ein Mann. Der Mann war seltsam missgestaltet, sein Anblick furchteinflössend, fast unmenschlich; er kam mir vage bekannt vor, doch ich konnte mich nicht erinnern, alles vor diesem Moment lag in tiefer Dunkelheit, was mich verwirrte und verstörte, doch meine Aufmerksamkeit wurde schnell wieder auf das Geschehen gelenkt. Der Junge, der mir ganz gewöhnlich schien, und der seltsame Mann standen sich gegenüber. Der Abstand zwischen ihnen wurde von einem ausfasernden Faden goldenen Lichts überwunden, das von Holzstäben in ihren Händen ausging. Zauberstäbe, korrigierte mein Unterbewusstsein. Dieses Licht war es, das die goldene Kuppel bildete. Den Ursprung des Gesangs konnte ich nicht entdecken. Beide starrten mehr oder weniger entsetzt auf das Geschehen vor ihnen - auf das ausfasernde Licht und die Lichtgestalten um sie herum. Auch mich starrten sie an und erst das veranlasste mich, an mir hinabzusehen. Ein leiser Schrei entwich meiner Kehle: Mein Körper bestand aus reinem, goldenen Licht und war genauso durchscheinend wie der, der anderen Lichtgestalten. Erst jetzt betrachtete ich diese eingehender: Es waren ein Junge mit zerzausten Haar, wohl etwas älter als der andere Junge, der dem seltsamen Mann gegenüber stand, eine mittelalte Frau, von etwas massigerem Leibumfang, die einen etwas dämlichen Eindruck machte, ein alter Mann, der auf einem Bein hinkte, eine junge Frau mit flammend rotem Haar und ein junger Mann, mit strubbeligem dunklen Haar - die beiden kamen mir vage bekannt vor. Und dann war da noch ich; an mein Aussehen konnte ich mich genauso wenig erinnern wie an alles andere, das vor diesem Zeitpunkt geschehen war. Ich wusste nicht einmal meinen Namen. Ich erstarrte. Panik drückte mir die Luft ab. Ich wusste nicht einmal meinen Namen!

An der Zauberstabspitze des seltsamen Mannes bildete sich jetzt eine Blase, die sich aufblähte und dann zu Boden fiel, bevor sie sich leicht verwirrt aufrichtete und den Blick auf einen weiteren jungen Mann preisgab. Ich verstand nicht was hier geschah, aber es machte mir Angst.

"Löse die Verbindung, Harry! Jetzt!", rief der junge Mann mit dem strubbeligen, schwarzen Haar dem Jungen mit dem Zauberstab zu, der daraufhin den Stab leicht zur Seite schwenkte. Die Verbindung zwischen den beiden Zauberstäben brach ab, der überirdische Gesang verstummte, die Lichtgestalten stürmten auf die dunklen Gestalten zu, während der Junge, Harry, in die andere Richtung davonstürmte.

Er floh, erkannte ich, vor dem anderen Zauberer, aber warum machte keiner der anderen anstalten, ihm zu folgen und ihn zu beschützen? Kurz entschlossen setzte ich dem Jungen nach. Wenn keiner der anderen das tat, würde ich diese Aufgabe übernehmen.

Ich folgte dem Jungen zwischen den seltsamen Steinquadern hindurch. Grabsteine, ein Friedhof, erkannte ich. Welch makabrer Ort für dieses seltsame Geschehen. Der Junge spurtete auf eine liegende Gestalt zu, einen anderen Jungen. Es war derjenige, den ich unter den Lichtgestalten gesehen hatte.

"Harry Potter!", donnerte eine kalte, schrille Stimme über den Friedhof, "Harry Potter, komm zurück um zu sterben!"

Der Junge sah auf, Angst und Entsetzen in seinem Blick, aber auch ein eiserner, unbeugsamer Trotz. Er würde nicht gehorchen. Der Junge wollte Leben.

Lichtblitze schossen zwischen den Grabsteinen hindurch auf uns zu. Ich reagierte einfach, ein Reflex. "Protego!", schrie ich, ohne darüber nachzudenken. Zwischen dem Jungen und mir und seinen Angreifern bildete sich ein durchscheinender Wall, der die Zauber ablenkte. Fassungslos sah ich auf den Schutzschild zwischen uns und den Angreiffern. Was hatte ich da gerade getan? Du hast gezaubert, erklärte mir mein Unterbewusstsein wenig hilfreich.

Ich wandte mich wieder dem Jungen zu, der mich mit leicht geöffnetem Mund anstarrte, offenbar genauso geschockt wie ich. "Wie kommen wir von hier weg?", fragte ich ihn nachdrücklich.

"Der Pokal ... kommen Sie hierher Ma'am", der Junge, Harry, winkte mich heran und streckte dann seinen Zauberstab nach einem schimmernden Etwas in einiger Entfernung aus. "Accio!", rief er und das silberne Ding schoss auf uns zu. Bevor ich erkennen konnte, was es war, erreichte es uns auch schon und ich wurde von den Füssen gerissen. Alles versank in Dunkelheit.

Lucy Adria - Die Kräfte des Wassers (HP FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt