2. Kapitel - Würgende Wasserspeier

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Das Nächste was ich wahrnahm, war weiches feuchtes Gras unter meinen Händen und Knien und ein gewaltiger Tumult, der um uns herum losbrach, als seien die Tore der Hölle geöffnet worden. Im Augenblick kümmerte mich das allerdings herzlich wenig, denn ich war gerade dabei, Galle aus meinem Magen hoch zu würgen. Mehr als Galle gab er jedoch nicht her. Wann immer ich meine letzte Mahlzeit eingenommen hatte, es musste jedenfalls schon eine Weile her sein; erinnern konnte ich mich nicht.

Als ich wieder in der Lage war, auf meine Umgebung zu achten, war der Junge vom Friedhof verschwunden, da lag nur noch der andere Junge, den ich als Lichtgestalt gesehen hatte. Er regte sich nicht, obwohl die Leute um ihn herum sichtlich ausser sich waren - sie schrien, weinten und liefen panisch durcheinander. Doch der Junge lag einfach nur reglos da und starrte blicklos in den Himmel. Und erst da begriff ich es: Er war ... tot.

Wieder krümmte ich mich würgend zusammen, doch mein ohnehin schon leerer Magen wollte jetzt erst recht nichts mehr hergeben. Trotzdem konnte ich nicht aufhören zu würgen.

Eine energische Stimme brachte langsam etwas Ordnung in das Chaos um mich herum. Der tote Junge wurde hochgehoben und weggebracht und die Menge schien sich langsam zu zerstreuen. Eine warme Hand strich beruhigend über meine zitternden Schultern und eine beruhigende Stimme erklang direkt neben meinem Ohr: "Schsch, alles wird gut. Keine Angst, alles wird gut."

"Wer sie wohl ist, was meinen Sie, Albus?", wandte sich die Stimme jetzt an jemand anderen, "Schauen Sie sie sich doch nur einmal an, sie ist klitschnass, als wäre sie in den Schwarzen See gefallen. Und sie trägt nur diese Lumpen am Leib..."

"Wir werden schon herausfinden, wer sie ist. Tun Sie mir einen gefallen und bringen Sie die junge Frau in den Krankenflügel, Minerva. Ich werde mich derweil um die Diggorys kümmern", erwiderte eine andere, tiefere Stimme.

Schritte entfernten sich, dann spürte ich, wie die warmen Hände meine Schultern umfassten und mich vorsichtig in eine sitzende Position zogen. Ich hob meinen Kopf und blickte in das strenge, aber freundliche Gesicht einer älteren Frau. An ihrer Kleidung war sie unzweifelhaft als Hexe zu erkennen, eine Muggelfrau hätte niemals einen Umgang getragen, schon gar nicht in Kombination mit dem Spitzhut. Bitte was? Hexen? Muggel? Langsam begann mein Kopf zu schmerzen. Und dann war da noch etwas, wie bei dem seltsamen Mann auf dem Friedhof, hatte ich das Gefühl, sie zu kennen, aber ich konnte mich nicht erinnern.

Auch die Frau schien dieses Gefühl zu haben, denn sie runzelte die Stirn und legte den Kopf leicht schräg: "Ich bin mir sicher, dass wir uns schon begegnet sind. Wie heissen Sie, Kind?"

"Mein Name ist ...", wollte ich mich vorstellen, hielt dann aber abrupt inne. Ich konnte mich nicht erinnern – nicht einmal an meinen eigenen Namen. Wie konnte man seinen eigenen Namen vergessen?

"Tut mir leid, ich weiss es nicht mehr", gestand ich schliesslich ein.

Der Gesichtsausdruck der Frau wechselte von freundlich zu besorgt.

"Nun denn, ich bin Professor McGonagall", stellte sich die Frau vor, "Ich bringe Sie dann wohl am besten hoch in den Krankenflügel. Wenn Sie sich ausruhen und wieder etwas zu Kräften kommen, erinnern Sie sich sicher wieder."

"Danke, Professor", murmelte ich und liess mir von ihr aufhelfen. Schwer auf sie gestützt, wankte ich vorwärts. Während unseres schwerfälligen Ganges liess ich meinen Blick über meine Umgebung schwenken und verzog wieder nachdenklich das Gesicht. Ein grosser dunkler See, in dem sich die Sterne spiegelten, breitete sich rechts von uns aus, links zeichneten sich die gezackten Umrisse von Bäumen vor dem Horizont ab und vor uns erhob sich ein gewaltiges Gebäude: duzende Türme, hunderte hell erleuchte Fenster und Mauerzinnen hoben die Burg vom dunkeln Horizont ab. Nur wenig von uns entfernt stand das grosse Tor weit offen und liess warmes Licht nach draussen scheinen.

Lucy Adria - Die Kräfte des Wassers (HP FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt