38. Kapitel - Die Wahrheit, Lucy!

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Eigentlich hatte ich vorgehabt, mich irgendwie aus dem Staub zu machen oder auf einen Korridor mit vielen Schülern auszuweichen oder etwas in derart, aber es waren nicht mehr viele Schüler unterwegs und Mór hatte mich ohnehin schon durchschaut und so gelang es mir nicht, ihr zu entkommen. Meinen Unterarm mit einer Kraft umschliessend, die ich ihr gar nicht zugetraut hätte, zog sie mich zum Raum der Wünsche. Sie schleifte mich dreimal vor dem Wandteppich von Barnabas dem Bekloppten und den Trollen auf und ab, dann erschien die Tür und sie zerrte mich hindurch. Mór war ganz verwirrt, als sie nicht wie erwartet den DA-Raum vorfand, sondern einen hellausgeleuchteten, sterilen Raum in dessen Mitte ein Tisch stand und an beiden Seiten des Tisches je einen Stuhl.

«Ein Verhörraum, wie passend», kommentierte ich das Ergebnis von Mórs unbewusstem Wunsch. «Handschellen bekomm ich aber keine, oder?»

«Ha-ha, sehr witzig.»

Mór drückte mich auf einen der beiden Stühle, ging dann um den Tisch herum und setze sich auf den anderen.

Sie durchbohrte mich mit ihren sturmgrauen Augen, in denen gerade ein mächtiges Gewitter aufzog.

«Also los, Lucy. Ich warte», sagte sie, die Arme vor der Brust verschränkt und leicht auf dem Stuhl zurückgelehnt.

«Vielleicht solltest du überlegen, zur magischen Strafverfolgung zu gehen, wenn du mit Hogwarts fertig bist. Das mit dem Verhören scheinst du ziemlich gut draufzuhaben», versuchte ich Zeit zu schinden.

«Jetzt lenk nicht ab. Sag endlich was Sache ist, Lucy.»

«Also ... «Sache» ist ein Synonym für «Ding», würde ich sagen –»

«Hör auf damit, Lucy!», fauchte Mór. «Bei dir gibt es jede Menge Ungereimtheiten und ich bin es satt, mich von dir verarschen zu lassen. Ich mag dich und bin gerne mit dir befreundet ... wirklich, ich habe keine Ahnung, wie du das geschafft hast, aber du bist mir in diesem halben Jahr, dass ich dich jetzt kenne, wichtiger geworden als die drei andern Mädels. Du bist meine beste Freundin, Lucy.»

Ich sah auf meine Hände. Beste Freundin. Ich war Mórs beste Freundin. Was war sie für mich? Eine Freundin, ja. Eine gute Freundin sogar. Aber eine beste Freundin? Hatte ich überhaupt eine beste Freundin oder einen besten Freund? Remus vielleicht, obwohl ich mir da nicht ganz sicher war. Severus könnte man vielleicht als besten Freund bezeichnen, aber für mich war mehr als nur ein Freund. Er war mein Bruder. War das vielleicht die Definition für einen besten Freund? Wenn er für einen wie ein Bruder war? Ich hob meinen Blick und sah Mór an. War sie für mich wie eine Schwester? Nein. Nein, war sie nicht.

«Bitte Lucy. Was auf immer es ist, ich werde es für mich behalten. Wenn du willst, schwöre ich dir auch einen unbrechbaren Schwur», Mór sah mich ernst an und ich wusste, dass sie jedes Wort ernst meinte.

Vielleicht ...vielleicht konnte sie ja meine beste Freundin werden. Vielleicht war es für mich auch gut, wenn ich mich mit jemandem anfreundete, den ich nicht schon seit ... seit bevor-das-alles-passiert-war kannte. Vielleicht war es gut, wenn ich mich jemandem anvertrauen konnte, der nichts mit alle dem zu tun hatte, der eine Perspektive von aussen einnehmen konnte.

«Ich ...ich weiss nicht, wo ich anfangen soll.» Ich warf Mór ein schiefes Lächeln zu, das diese mit einem Seufzer quittierte.

«Am Anfang, würde ich sagen.»

«Ähm ... das ist ja das Problem. Ich weiss nicht, was der Anfang ist.»

Mór seufzte wieder. «Wie meinst du das, du weisst nicht, was der Anfang ist?»

«Nun ja, seit ich ... ach verdammt! Ich kann mich nicht erinnern. Das meiste, dass ich vor meiner Zeit hier in Hogwarts erlebt habe, was ich gewusst habe, weiss ich nicht mehr. Es ist ... ich weiss nicht was genau passiert ist. Ich bin auf diesem Friedhof aufgetaucht und ... », plötzlich kullerten die Worte aus meinem Mund wie Wasser von einem Wasserfall, «... da war Harry und dieser Junge, Cedric. Und er war tot und dann waren da die Todessser und Voldemort. Er und Harry standen unter irgendso einer Kuppel aus Licht und haben sich duelliert. Und da waren überall Gestalten aus Licht. Und ich war auch aus Licht. Und dann plötzlich nicht mehr, als ich zusammen mit Harry hier ankam –»

Lucy Adria - Die Kräfte des Wassers (HP FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt