Kapitel 43

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J u l i e

Es ist nun Dienstag. Gestern Mittag habe ich Riley zum letzten Mal gesehen. Ich habe vorhin mit den anderen geredet und Matt meinte, er ist heute nicht zur Schule gekommen.

Ich weiß nicht ob es daran liegt, dass er mich meiden will oder wegen seiner Mom. Die Nachricht was er gestern gesagt, dass seine Mom schon seit zwei Monaten im Koma liegt, hat mich ziemlich überrumpelt. Ich wusste in dem Moment nicht was ich sagen sollte. Aber ich kann mir gut vorstellen, was er alles durchmacht. Ich habe eine lange Zeit meinen Dad im Krankenhaus besucht, zwar lag er nicht im Koma. Aber ich hätte ihm gewünscht, dass er schlafen kann und von all den Schmerzen nichts spürt. Die Schmerzen waren das Schlimmste. Ich stand hinter ihm, als er sich nach den vielen Chemos übergeben musste und ich habe seine graue, dünne Hand gehalten, als er nur auf die Decke starrte, weil er zu schwach zum Reden war. Aber ich habe es durchgehalten und ich bin mir sicher Riley wird das auch schaffen. Und ich fest davon überzeigt, dass seine Mom aufwachen wird.

Und nun stehe ich vor seiner Haustüre und warte, dass er aufmacht. Ich weiß ich sollte auf Abstand gehen, weil es uns guttun würde und weil er es selbst so will. Aber ich bin mir sicher, dass wir es auch so schaffen. Zwar weiß ich nicht ganz ob ich es schaffe mich ihm nicht noch mehr hingezogen zu fühlen. Aber das spielt jetzt keine Rolle. Riley braucht jemanden, der für ihn da ist, weil seine Mom im Koma liegt.

Endlich öffnet sich die Türe und ein verschlafener Riley blickt mir entgegen. Als ich mich von seinem Gesicht losreisen kann, bemerke ich, dass er kein Shirt trägt. Hastig wende ich den Blick davon ab und konzentriere mich wieder auf sein Gesicht. Aber ich merke, wie ich scheitere und meine Beine zu zittern beginnen.

Riley fährt sich verschlafen durch die braunen Haare. „Was willst du denn hier?", fragt er und lässt seinen Blick über mein Gesicht gleiten.

„Ich ähm ... wollte nach dir sehen.", sage ich vorsichtig und ringe mich zu einem Lächeln.

„Keine Sorge. Mir geht's gut.", sagt er. „Ich hatte heute Morgen einfach nur Kopfschmerzen, das ist alles."

„Kann ich trotzdem reinkommen?", frage ich. Wenn ich mir seinen Oberkörper so ansehe, weiß ich nicht mehr ob das so eine gute Idee ist. Eins weiß ich nun sicher, ich stehe auf Surfer.

„Ja, klar.", sagt er und macht auf dem Absatz kehrt. Ich folge ihm ins Haus und schließe hinter mir die Türe. Als ich meine Sandaletten abgestreift habe, betrete ich hinter Riley den Wohnraum. Er ist offen gestaltet und hell. Die Sonne prallt ins Innere und ich blinzle kurz etwas dagegen an. Riley geht nach links in die Küche.

„Willst du was trinken?", fragt er mich und ich reiße meinen Blick von dieser herrlichen Aussicht los.

Ich schüttle den Kopf. „Nein, danke." Er öffnet den Kühlschrank und nimmt eine kleine Wasserflasche heraus. Ich beobachte ihn, wie er sie öffnet, einen großen Schluck davon nimmt und sie auf die Kochinsel vor uns stellt. Als sich unsere Blicke treffen, senke ich sofort den Kopf.

„Also ich wollte nicht, dass du hier alleine rumsitzt.", beginne ich. Ich merke, wie zurückhaltend und unsicher er ist. Verdammt ich bin mir genauso unsicher, weil ich überhaupt keinen Plan habe wo wir stehen. Gestern wurde noch nicht alles gesagt, ich habe ihm noch nicht alles gesagt. Ich finde er sollte wissen, was ich über uns denke. Aber ich will nicht mit der Tür ins Haus fallen.

Doch dann beginnt er zu lächeln. Wenn auch nur schwach, aber ich konnte es sehen. „Du machst dir über alles Sorgen, was?"

Ich zucke mit den Schultern und muss auch grinsen. „Nein, nur über Leute, die mir wichtig sind.", sage ich. Bevor ich es zurückhalten kann, sprudeln die Worte aus mir heraus, die ich mir auf den Weg hier zurecht gereimt habe. „Okay hör zu. Ich bin heute hierhergekommen, weil ich Zeit mit dir verbringen wollte. Und ich weiß, was du gestern alles gesagt hast es nicht so meinst. Ich bin gerne mit dir zusammen, weil ich mich durch dich besser fühle. Du gibst mir ein gutes Gefühl, wenn wir zusammen lachen und lässt mich Dinge vergessen, an dich ich nie wieder erinnert werden möchte."

Riley nickt langsam. „Es tut mir leid, wegen Sonntagabend."

„Es muss dir nicht leidtun.", entgegne ich sofort und lächle. „Also, ich habe mir da was überlegt. Ich habe heute nichts mehr vor und du wie es aussieht, auch nichts Besseres zu tun hast, als in Gammelklamotten zu Hause herumzulungern, dachte ich mir wir unternehmen was." Energisch klatsche ich in die Hände und sehe ihn mit großen Augen an.

Riley mustert mein Gesicht. „Meinst du, das ist eine gute Idee?"

„Klar, wir sind zwei armselige junge Menschen, die Gesellschaft brauchen können.", sage ich voller Überzeugung und verschränke die Arme vor der Brust.

„Ich bin nicht armselig. Nur müde." Aber Riley beginnt im nächsten Moment breiter zu grinsen und lässt die Wasserflasche los. „Okay gib mir ein paar Minuten, ich zieh mir nur was Anderes an.", sagt er und verschwindet nach oben.

Nach zehn Minuten, die ich bei meinem Auto auf ihn gewartet habe, taucht er wieder auf. Er trägt ein weißes Shirt, eine dunkle Jeans, seine Boots und er hat wie immer seine Sonnenbrille in dem T-Shirt Ausschnitt gesteckt.

Ich reiße den Blick los, krame in meiner Tasche herum und hole die Autoschlüssel hervor. Im nächsten Moment fliegt der Schlüssel zu Riley hinüber, der ihn gerade noch auffängt. Etwas irritiert sieht er mich an. „Du kennst dich hier besser aus. Fahr du.", sage ich knapp, grinse frech und steige ein. Riley schüttelt lachend den Kopf und macht es mir gleich.

„Also, wo solls hingehen?", fragt er und startet den Motor.

Ich drehe mich zu ihm und stütze meinen linken Ellbogen auf der Lehne zwischen uns ab. „Lass mal überlegen. Ich war auf dem Hollywood Boulevard, habe den Schriftzug berührt.", beginne ich und starre an ihm vorbei aus dem Fenster. „Oh, was ist mit dem Santa Monica Pier?"

„Du willst wirklich diesen ganzen Touristenscheiß machen, was?", lacht Riley und fährt los.

„Oh ja, allerdings.", sage ich amüsiert. Ich drehe den Radio lauter und streife meine Sandaletten ab. Dann lege ich meine nackten Füße auf das Armaturenbrett und lehne mich zurück. Als das nächste Lied aus den Lautsprechen dröhnt, summe ich mit und klopfe im Takt leicht auf meinem Knie mit. 

SAVE ME (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt