Kapitel 49

1.6K 64 3
                                    

Es kam mir fast so vor, als hätte von einer Sekunde auf die andere der Sommer aufgehört. Wie als hätte ich nicht nur meine Freunde in Bar Harbor zurücklassen müssen, sondern auch die Sonne und Wärme. Als ich nämlich aus dem Zug in Detroit stieg, schlug mir ein stürmischer Wind entgegen und es regnete leicht. 

Alles ist anders, ging es mir durch den Kopf.

Ich blickte mich um und es kam mir so unwirklich vor, dass ich gerade auf diesem überfüllten Bahnhof in Detroit stand. Alles war so unübersichtlich und das laute Stimmengewirr fing an mich zu nerven. 

,,Cole!''

Mein Blick glitt in die Richtung aus der die Stimme kam, und schon sah ich wie meine Mutter mit einem strahlenden Lächeln auf mich zugelaufen kam. Hinter ihr schlenderte mein Vater, doch bevor ich weiter denken konnte, hatte mich meine Mutter auch schon in den Arm genommen. 

,,Mum.''

Ich lächelte, da mir auffiel, dass ich sie echt vermisst hatte. Und als ich sie so in meinen Armen hielt, vergaß ich für einen Moment Bar Harbor und die Zeit dort. Aber auch nur ganz kurz, denn als sich meine Mutter von mir löste, erschien Katie's Gesicht vor meinen Augen. Doch schon nahm mich mein Vater kurz den Arm und begrüßte mich etwas unbeholfen. 

,,Gut siehst du aus.'', sagte meine Mutter und betrachtete mich, während wir zum Auto gingen.,,Wie geht's denn Adam?''

,,Ganz gut.'', antwortete ich und wusste, dass dies eigentlich gelogen war. Seit Sophia weg war, ging es Adam sogar ziemlich beschissen. Doch um diese ganze Geschichte zu erklären hatte ich echt keine Lust. 

,,Das freut mich. Und sonst so? Wie wars? Anscheinend hast du dort auch ein paar Kontakte geknüpft, was ich da so auf unseren Telefonaten rausgehört habe.'', erkundigte sich meine Mutter weiter und als wir alle im Auto saßen begann ich einiges zu erzählen. 

Ich redete von meinen ersten Tagen dort und auch wie ich alle meine Freunde kennengelernt hatte. Die Party von Marc ließ ich aus, doch dafür erzählte ich ihnen vom Sommerfest, wenn auch nur kurz. Ich sagte meist nichts ausführliches über die Ereignisse, aber so viel, dass meine Mutter glücklich war und hoffentlich keine Fragen mehr stellte. 

Als wir bei unserem Haus ankamen war es still im Auto, und wir stiegen alle aus. Meine Mutter redete irgendwas vom Mittagessen und, dass ich mich ruhig ausruhen sollte, doch ich hörte ich gar nicht richtig zu, da ich mich umsah.

Unser Haus hatte sich kein Stück verändert und doch kam mir alles so fremd vor. Für einen kurzen Moment wusste ich nicht mal mehr wie mein richtiges Zimmer aussah, da ich so sehr an das Zimmer in Adams Haus gewohnt war. Unwillkürlich blickte ich die Straße runter, doch wie zu erwarten entdeckte ich dort nicht Katie's Haus, sondern ringsherum standen nur Hochhäuser, die einen kalten Eindruck machten. 

,,Cole? Kommst du?'', die Stimme meines Vaters holte mich aus meiner Starre zurück und ich wandte mich ihm zu. Es fühlte sich so an, als würde mich mein Vater das erste Mal seit meiner Ankunft wieder richtig ansehen. In seinem Blick lag etwas, was ich nicht richtig deuten konnte. Doch ich wusste, dass es etwas mit der Auseinandersetzung vor dem Sommer ging. Der Grund warum ich überhaupt nach Bar Harbor gefahren bin. 

So folgte ich den Beiden ins Haus und die Erinnerungen prasselten auf mich ein, wie Regen. Der Flur hing voll mit irgendwelchen Bildern aus der Kindheit und ich fragte mich ernsthaft, ob sie schon immer dort gehangen haben. Doch ich wusste im tiefsten Inneren, dass es so war. Ich war früher hier lang gelaufen und hatte mich währenddessen mit meinem Bruder unterhalten. Als ich die Küche betrat sah ich Bilder vor mir, wie ich an diesem Küchentisch mit meinen Eltern diskutiert hatte. Oder wie ein friedliches Mittagessen in irgendeinem Streit zwischen mir und meiner Schwester geendet hatte. Und zuletzt sah ich die Szene vor mir, wie meine Eltern mir mitteilten, dass ich nach Bar Harbor gehen würde. An diesem Tag bin ich ich nicht mehr nach Hause gekommen und auch die darauffolgenden Tage, bis zur Abreise nicht mehr. Dies war meine letzte Erinnerung an diese Küche. 

Und das war alles gewesen, bevor ich Katie kennengelernt hatte. Es schien alles so weit weg, dass ich fast glaubte in Bar Harbor, bei Katie, wär ich ein anderer Mensch gewesen. Ich stellte meine Tasche ab und betrachtete meine Mum, wie sie sich gerade am Herd zu schaffen machte. Mein Vater zog gerade seine Jacke aus und kam dann ebenfalls in die Küche. 

Ich setzte mich an den Küchentisch und es herrschte eine Stille, die im Grunde gar nicht üblich war, für Eltern, die ihren Sohn einen ganzen Sommer nicht gesehen hatten. Eigentlich sollten wir uns unbefangen über unsere Erlebnisse in diesem Sommer unterhalten. Eigentlich könnte ich ihnen von Katie erzählen. Stattdessen schlug ich ein anderes Thema an. 

,,Wie geht es Chris und Celia?'', fragte ich. 

,,Gut. Die beiden sollten eigentlich auch bald da sein, doch Chris ist gerade bei Kara und Celia bei einer Freundin. Ich habe den beiden aber gesagt, dass sie Abends zuhause sein sollen, damit wir gemeinsam essen können. Chris freut sich ja wieder dich zu sehen, und Celia auch, obwohl sie das bestreiten würde.'', antwortete meine Mutter und lächelte leicht. 

Ich nickte. 

,,Ähm..'', fing ich nach kurzem Luftholen an.,,Ich wollte mich entschuldigen. Einfach dafür, dass ich so ein Scheiß Sohn war und...mich so beschissen verhalten habe. Mir ist klar geworden, dass ihr nur das Beste für mich wolltet und deswegen wollte ich mich entschuldigen und euch sagen, dass ihr recht hattet.''

Meine Mutter hatte sich umgedreht und blickte mich mit einem liebevollen Lächeln auf den Lippen an. Doch es war nicht sie, die dann sprach, sondern mein Vater. 

,,Ach, Cole...ich muss mich entschuldigen. Nicht deine Mutter oder du...ich muss es tun. Ich habe dir das Gefühl gegeben, dass du nutzlos und wertlos bist und das nur, weil du schon wieder so ein schlechtes Zeugnis Nachhause gebracht hast. Mir tut es leid, dass ich dich angebrüllt habe und zu dieser Reise gezwungen habe.'', er sah mir in die Augen und in seinen lag so viel Schmerz, dass es mich überraschte. Anscheinend hatte er diese Schuld den ganzen Sommer rum getragen. 

,,Dad, es ist nicht deine Schuld.'', sagte ich langsam, doch er schüttelte den Kopf.,,Nein, Dad, vielleicht sind wir beide Schuld, wer weiß, doch du hast nicht die alleinige Schuld. Und um ehrlich zu sein, war dieser Sommer gar nicht so schlimm. Nein, er war das Beste was mir passieren konnte.''

Ich blickte zu meiner Mutter, und sah wie sie Tränen in den Augen hatte. Bei dem Anblick spürte ich einen Kloß im Hals, also sah ich wieder zu meinem Vater, der sich gerade mit der Hand übers Gesicht fuhr. 

,,Mum....Dad..'', ich blickte kurz von einem zum anderen.,,Ihr müsst euch nicht mehr schuldig fühlen oder sonst was. Ich müsste euch eigentlich danken, dass ihr mich nach Bar Harbor geschickt habt, ehrlich. Außerdem, ich hasse euch nicht, falls ihr das denkt. Ihr seid meine Eltern und was passiert ist, ist passiert.'', ich stand auf und ging auf meine Mutter zu, der jetzt eine Träne über die Wange rollte. 

,,Wir dachten, wir hätten dich nach dem Streit verloren. Und als wir dich heute abgeholt haben, habe ich doch deine Blicke gesehen, Cole. Es kam mir so vor, als würdest du all das nicht mehr als dein Zuhause ansehen. Als würdest du uns nicht mehr als deine Eltern ansehen.'', sie schluchzte und ich nahm sie in den Arm. Ich spürte wie mir mein Vater seine Hand auf die Schulter legte und ich drehte meinen Kopf in seine Richtung. Sein Blick reichte aus, um mir zu sagen, dass er dankbar und gleichzeitig erleichtert war. Ich nickte ihm lächelnd zu und so stand wir einige Zeit da. Meine Mutter, die in meinen Armen leise weinte und meine Vater der daneben, mit einer Hand auf meiner Schulter, stand. 

Und in diesem Moment schien die Sehnsucht nach Bar Harbor, Katie, Adam und allen anderen gar nicht mehr so groß. Denn ich wusste, dass ich hier, in Detroit, meiner Heimat, gerade wieder eine ganz neue Verbindung zu meiner Familie geschaffen hatte. 

A summer to rememberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt