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Ich stand wie angewurzelt da und wusste nicht, was ich sagen sollte. Mein Herz klopfte und in meinem Kopf sprangen die Gedanken von der Wahrheit, bis zu einer Ausrede, die ich ihr hätte auftischen können. An sich war es ja eigentlich nichts besonderes, aber meine Mutter und ich waren daran gewöhnt, dass ich ihr alles erzählte und diese Situation fanden wir beide vermutlich unangenehm.

Sie hatte ihre Augenbrauen hochgezogen und man könnte meinen, dass sie mich arrogant ansah. Jedoch wusste ich, dass sie eher enttäuscht war und das enttäuschte mich selber sehr. Ich hätte nie absichtlich lügen oder etwas verheimlichen wollen. Es war, als hätte mir jemand eine Maske vor meinen Augen weggerissen, die ich die ganze Zeit aufhatte, denn ich realisierte, dass das alles gar nicht ich war.

Erschrocken von dieser Erkenntnis, traten mir Tränen in die Augen und fast hätte ich angefangen zu weinen. "Es tut mir leid Mom!", kam es mir dann jedoch nur schwer von den Lippen. Sofort wurde ihr Gesicht weicher und ich wusste, dass damit das Eis gebrochen war. Sie streckte ihren Arm vor und ich wusste, dass ich ihr folgen sollte.

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Wir saßen mittlerweile auf dem Sofa und ich musste tief Luft holen. Die ganzen letzten zwanzig Minuten hatte ich geredet. Ich hatte ihr alles erzählt, sah jedoch die ganze Zeit zu Boden. Nur bei einigen Dingen, konnte ich sie entweder seufzen hören oder sie gab einen erschrockenen Laut von sich, was ich aufgrund meiner letzten Erlebnisse absolut verstehen konnte. Tatsächlich hatte ich nichts ausgelassen und ihr auch von meinen intimsten Erlebnissen mit Will erzählt.

Ich traute mich immer noch nicht, sie anzugucken, alleine weil ich nicht wusste, was ich denken sollte. Konnte  man darüber sauer sein? Könnte man Freude empfinden? Ich war noch nie in solch einer Situation und konnte mir gar nicht vorstellen, was in dem Kopf meiner Mutter vor sich ging.

"Also..", sie sprach das Wort sehr ruhig und ich konnte nicht heraushören, ob sie wütend war oder nicht. " Ich bin nicht sauer, eher enttäuscht!", war das nächste, was sie sagte und das brachte mich fast um. Ich hätt es lieber, wenn sie sauer auf mich wäre. Enttäuschung ist vielleicht ein kleines Wort, hat aber eine viel heftigere Bedeutung und ich wollte keine Enttäuschung sein, für niemanden.

"Ich bin nicht enttäuscht, weil dir all das passiert ist, sondern das du mir nichts erzählt hast. Gerade so etwas wie die erste Liebe. Ich bin vielleicht deine Mom, aber ich bin nicht gerne die böse Mom, mit der man nicht reden kann", ich musste ein bisschen lächeln. Sie hasste es tatsächlich, wenn sie sich wie eine strenge Mutter verhalten musste. Sie konnte auch die Mütter von meiner alten Schule nicht ausstehen, weil diese sich ständig in das Leben ihrer Kinder einmischten, mit ihnen angaben und Kuchen ganz ohne Zucker backten.  Deswegen fühlte ich mich jetzt noch schlechter. Sie hatte mir alles gegeben was ich brauchte, auch genug Freiraum und ich benahm mich wie eine egoistische Kuh.

Ich traute mich nun endlich, sie anzusehen und konnte direkt sehen, dass sie traurig war. "Es tut mir wirklich leid, Mom! Ich war so mit Will beschäftigt, dass ich alles vergessen habe", die Worte verließen nur schwer meine Lippen und doch wussten wir beide, dass sie wahr waren. Sie streckte die Arme aus und ich ließ mich nur zu gern in die Umarmung fallen. Stark drückte sie mich an sie heran und strich mir über den Kopf.

"Ach mein Engel, der erste Junge ist schon verwirrend, das weiß ich. Aber von jetzt an, bitte keine Geheimnisse mehr, ja?", ich nickte und sie gab mir einen Kuss auf die Stirn.

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Den restlichen Abend verbrachten wir damit, zu reden und Filme zu gucken. Es war wie ein richtiger Mädelstag und ich war so dankbar dafür. Auch, dass sie nicht wütend wurde, war für mich eine Art Befreiung. Sie hatte zwar angedeutet, dass sie Will gerne mal sehen und kennenlernen würde, aber das war machbar. Je nachdem, was er davon hält natürlich.

Mittlerweile ist auch schon der nächste Tag und ich bereitete mich gerade für die Schule vor. Eine ganz schlichte weiße Jeans zierte meine Beine und als Oberteil trug ich eine dunkelblaue Bluse mit langen Ärmeln. Meine Haare trug ich offen.
Ganz zu meiner Verwunderung, hielt sich meine Aufregung tatsächlich in Grenzen. Ich hatte keine Angst, weil ich wusste, das Will da wäre um mich zu beschützen.

Ganz wie ich es erwartet hatte, sprach mich niemand auf das von gestern an und es sah mich keiner komisch an. Anscheinend hatte Will's Drohung Wirkung gezeigt oder es war den Leuten nicht krass genug um weiter darüber zu reden. Jedenfalls war ich sehr froh darüber und ging deswegen auch ganz entspannt über die Flure, die Augen stets nach Will geöffnet. Sehen konnte ich ihn allerdings nicht, was mich erst wunderte, als ich ihn nach dem Klingeln immer noch nicht sah.

Naja, vielleicht kam er ja später oder schwänzte auch des öfteren. Hoffte ich zumindest.

With all my heartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt