20.

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Das der tag nichts werden konnte, wusste ich schon, als ich meine Augen das erste mal aufmachte und am liebsten hätte ich sie sofort wieder geschlossen. Ich wusste nicht wieso, aber ich wusste immer, ob sich ein Tag lohnen würde oder nicht und mein Gefühl hatte sich noch nie geirrt. Da ich aber einen guten Schulabschluss bevorzugte, blieb mir nichts anderes übrig, als aufzustehen. Als mein erster Blick dann nach draußen fiel, bestätigte sich meine Vermutung auch gleich, als ich die weiße Schicht über den Dächern erkannte und ich vor Schock den Mund öffnete. "Oh mein Gott!" hauchte ich nur. Es war zwar kalt geworden die letzten Tage, aber das es direkt schneit hätte ich nicht erwartet, vor allem nicht Mitte November. 

Ich zog mich heute also etwas dicker an und band mir den dicken Schal um den Hals, welchen meine Mom mir vor kurzem erst gekauft hatte. Auch zog ich mir die Winterjacke an, die sie vermutlich aus den Kisten gezogen und mir hingelegt hatte. Meine Mutter sorgte sich immer und zeigte das auch ziemlich deutlich und dafür liebte ich sie. 

Beim Gehen passte ich heute besonders auf, da ich ein ziemlicher Tollpatsch war und es nicht selten vorkam, dass ich mich hinlegte. Mein Vater stand mit verschränkten Armen, angelehnt in der Haustür und beobachte mich amüsiert. Ich glaubte auch, dass es ziemlich lustig anzuschauen war, wie ich da mit abgespreizten Armen wie ein Pinguin watschelte. Als ich endlich im Auto saß und der Schlüssel im Zündschloss steckte, streckte ich meinem Vater noch einmal kindlich die Zunge heraus und startete dann den Motor. Ich sah ihn noch lächelnd den Kopf schütteln wieder ins Auto, als ich vom Hof fuhr. 

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Auch die Schule sah in meinen Augen nicht mehr aus wie eine Schule, sondern wie ein eisverpacktes Katastrophengebiet. Der Weg bis zum Hof war schon die Hölle und ich kam fast zu spät. Jedoch war mein bester Freund, auch genannt Held des Tages rechtzeitig zur Stelle und ich durfte auf seinen Rücken springen. Auch wenn die Leute uns komisch ansahen, so schämte ich nicht ein bisschen dafür und war sogar froh, dass ich einen so guten Freund hatte. Allgemein war ich absolut begeistert von ihm und seiner Art. Er brachte mich zum Lachen, hatte eine große Klappe und es war ihm so egal, was andere dazu sagten. Er war ehrlich, stolz auf sich selbst und ließ keine Gelegenheit aus, um das zu zeigen. 

Im Gebäude angekommen ließ er mich wieder runter und gemeinsam gingen wir dann schließlich in den Klassenraum. Währenddessen versuchte er mir die ganze Zeit zu erklären, warum Boyfriend Jeans viel besser sind als Skinny Jeans und das er nicht verstehen würde, warum es keiner sieht. Nicht mal als der Lehrer mit dem Unterricht begann, hörte er auf darüber zu reden und ich glaube, dass ich ihn noch nie schwuler fand. Als ich ihm das sagte, begann er lauthals zu lachen, so laut das uns Mr. Smith ermahnte. "Entschuldigen Sie bitte vielmals!" antwortete Edwin darauf in einer viel zu übertriebenen Stimme, worauf jeder im Raum lachen musste. Sogar der Lehrer musste grinsen. 

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Schon wieder waren zwei Schulstunden wie im Fluge vergangen und wir saßen in der Cafeteria, da es viel zu kalt war, um sich draußen hinzusetzen. Es hatte sich sogar Kaila zu uns gesetzt und wie ich feststellen konnte, verstanden sie und Edwin sich erstaunlich gut. Doch lange konnten sie sich gar nicht unterhalten, da die Lautsprecher oben an der Decke plötzlich einen Ton von sich gaben. 

"Das hier wird ein eher dunklerer Eintrag und ich entschuldige mich jetzt schon für meine Gedanken, aber heute ist mir etwas passiert, wo von ich hoffe, dass ich es schnell vergessen kann. Ich mag es selbst kaum aussprechen, aber ich wurde nun ja, belästigt? Ich weiß nicht ob ich es so bezeichnen würde, aber ich hatte todesangst." 

Als ich realisierte wer, oder vor allem was da gerade vorgelesen wurde, schluckte ich. Mein Blickfeld wurde kleiner und ich hatte das Gefühl ich würde gleich umfallen. Meine Hände begannen zu zittern, mein Brustkorb verengte sich und ich hatte kaum mehr Luft zum Atmen. Das, was da preisgegeben wurde, das, was gerade jeder hören konnte, war mein Tagebuch. Und es war der Eintrag der Nacht, in der Will mich retten musste. Stella musst das Buch gestohlen haben, als sie gestern bei mir war und das war vermutlich auch der Grund, wieso sie so schnell abgehauen war. 

With all my heartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt