49.

532 16 2
                                    

Es kam mir so vor, als hätte ich ewig hier auf dem Boden gelegen. Dabei hatte ich sämtliche Szenarien durchdacht, welche mir nur irgendwie durch den Kopf kamen und  ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass es mir mittlerweile egal war. Ob ich nun vielleicht sterben werde oder ich früh genug gefunden werde, war nur ganz ehrlich egal. Ich hatte das Gefühl, dass ich in dem letzten Stunden sämtliche Gefühle verloren hatte, die sich noch in mir verbargen. Ich hatte tatsächlich auch weinen müssen, es aber relativ schnell wieder sein lassen, da ich keine Aufmerksamkeit erregen wollte und es mir auch ganz ehrlich ein wenig unangenehm war. Ich glaube, dass fast nichts schlimmer ist, als seinem Peiniger zu zeigen, dass er einen gebrochen hatte.

Plötzlich hörte ich ein Geräusch und spitzte sofort die Ohren. Es war eine Art klappern und ich merkte schnell, dass gerade das Schloss von dem großen Eisentor aufgeschlossen wurde, welches mich von dem anderen Räumen trennte. Mein Herz klopfte und ich wusste nicht was mich als nächstes erwartete. Gerechnet hätte ich tatsächlich mit allem, aber definitiv nicht, dass die Person, welche mir die Tür aufschloss, eine Frau war. Sie hatte kurze, braune Haare und trug einen dunkelbraunen Overall, der voller Flecken war. Ihre Augen blickten ohne jegliche Emotionen auf mich herunter und als ich die riesige Narbe sah, welche ihr Gesicht durchzog, bekam ich Gänsehaut.

Sie redete nicht, sondern zeigte mir mit einer kurzen Handbewegung, dass ich aufstehen soll. Ich tat es ohne zu zögern und redete ebenfalls nicht. Obwohl ich mir nämlich sicher war, dass ich jetzt auf alles vorbereitet war, so wollte ich trotzdem nichts herausfordern. Als sie auf mich zu hart, hielt ich die Luft an um ja keine falsche Bewegung zu machen, fragte nich jedoch die ganze Zeit, warum sie das nur machte. Es war ja schon traurig genug, dass Männer mir sowas antaten, aber das dann noch eine Frau mit involviert war, brach mir fast das Herz. Ich will gar nicht wissen, was sie schon mit ihr gemacht hatten oder was ihr schon passiert war. Aber gleich darauf kam mir auch der Gedanke, dass es ja an sich total egal ist, was ihr mal passiert ist, da es ja überhaupt nicht das entschuldigt, was sie hier tat.

Sie schloss die Kette an meinem Fuß auf und das erste, was ich erstmal tat, war mein Fuß durch zu bewegen. Ich bemerkte direkt, dass ich davon tatsächlich leichte Blessuren erlitten hatte, obwohl ich mich schon extra wenig bewegt hatte. Mein Knöchel schmerzte und als ich herunter sah, konnte ich schon den leichten blauen Streifen sehen. "Komm mit!", die  Stimme der Frau hallte sofort durch den Raum. Sie war kratzig und klang so, als würde sie jeden Tag mehrere Schachteln Zigaretten rauchen. Sie ging direkt los und aus dem Affekt heraus, folgte ich ihr und war froh, dass ich meinen Körper einmal bewegen konnte. Alle meine Muskeln waren verspannt und meine Gelenke knackten. Sobald wir den nächsten Raum betraten, musste ich meine Augen zusammenkneifen, da sämtliche Lampen an waren und ich die letzten Stunden nur die Dunkelheit hatte. Ich erkannte trotzdem sehr schnell, dass wir wirklich in einer Lagerhalle waren, jedoch war sie viel größer als die der Jungs. An jeder Ecke sah ich schwere Eisentüren und selbst der Hauptsaal, wo wir uns gerade befanden, war riesig. Alles war kalt gehalten und nichts daran wirkte einladend oder beruhigend.

Ich folgte ihr quer durch den Raum und sah niemand anderen. Vorhin hatte ich noch das Gefühl, dass hier eine ganze Horde Männer war. Ich fragte mich, wo die alle hin waren oder was sie machten. Gleich darauf kamen auch schreckliche Gedanken, da ich ja wusste, was sie machten. "Na los, geh schon rein!", sagte sie, brachte mich aus dem Konzept und erst da bemerkte ich, das die Tür schon längst offen stand. Sie schubste mich schroff in den Raum herein und erst da konnte ich mich auch wieder bewegen. Er war ein wenig größer wie der Raum, in dem ich drin war und das Mobiliar bestand lediglich aus einem riesigen Schreibtisch, der am anderen Ende stand. Und dahinter saß er. Der Mann, dem ich all das zu verdanken hatte und grinste mich dreckig an.

"Setz dich doch Liebes!", ich hatte das Gefühl, dass sein Grinsen noch breiter wurde und die Art, wie er das sagte, ließ mich erschaudern vor Ekel. Ich blickte auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und seufzte. Ich war ja immerhin schonmal froh, dass er mich nicht irgendwo festkettete oder folterte. Langsam bewegte ich mich in den Raum und erschrak, als die Tür hinter mir mit einem lauten Knall zufiel. Ich nahm auf dem Stuhl Platz, legte meine Hände auf meinen Schoß und blickte ihm direkt in die Augen. Ich wollte ihm nicht zeigen, dass ich Angst hatte.

"So so, Sie scheinen ja nicht besonders beeindruckt zu sein", fing er das Gespräch an und zog seine Augenbrauen hoch. Er sprach vermutlich auf meine ruhige Art an und ich war froh, dass er meinen Herzschlag nicht hören konnte. Ich zuckte als Antwort nur mit den Schultern und zog ebenfalls meine Augenbrauen hoch. Ich versuchte schon fast, ihn fordernd anzusehen. So saßen wir da, starrten uns gegenseitig an und keiner sagte etwas. Ein wenig kam ich mir verarscht vor, weil das nämlich das Letzte war, was ich erwartet hatte.

Und weil mir das nach einiger Zeit einfach zu blöd wurde, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen, blickte ihm mit einem eiskalten Blick in die Augen und fragte ganz ohne Emotionen.

"Und was genau wollen Sie jetzt von mir?"

With all my heartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt