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Ich wusste nicht, wo er uns, beziehungsweise mich hin brachte. Ich meine ich kannte mich ja sowieso schon nicht in dieser Stadt aus, aber als wir dann auch noch in die Industrie Ecke dieses Ortes fuhren, war ich völlig verloren. Hier ragten Firmen und riesige Lagerhallen verschiedenster Funktion aus dem Boden, aber hauptsächlich waren es große Baufirmen, riesige Steinlager und Schrottplätze. Was er hier wollte, war mir ein Rätsel, aber ich vertraute ihm mein Leben an und merkte, wie angespannt alles war, weswegen ich nicht nach fragte. 

Die beiden Jungs saßen schweigend auf den Rücksitzen des Autos und hatten bisher kein Wort gesagt. Ich wusste nicht mal ihre Namen. Dass einzige, was ich sagen konnte war, dass sie die gleiche Statur wie Will hatten und ebenfalls eine gewisse Härte ausstrahlten. Beide hatten dunkle Haare, wobei der eine sie zu langen Locken trug und bei dem anderen waren sie fast bis zur Glatze rasiert. Beide hatten dunkle Augen und die Gesichtszüge waren viel weicher wie die von Will. Ich verglich sie fast automatisch mit ihm, ohne das ich wirklich wollte und mir fiel auf, dass sie gegen Will nicht einmal ansatzweise eine Chance gehabt hätten. Aber trotzdem dankte ich auch ihnen. Besonders weil ich nicht wusste, wer sie waren, war es nochmal umso ehrenwerter, dass sie mich verteidigten. Ich wollte ihn später fragen, wer die beiden waren, denn der Gedanke verschwand direkt, als wir zum Stehen kam. 

Wir standen vor einem kleinen Gebäude und es sah von außen so aus, wie ein kleines Lager. Die Fassade war komplett grau und im Gegensatz zu den anderen Flächen, standen hier keine Baumaterialien vor diesem herum und auch kein großes Schild deutete darauf, was es ist. Allgemein war es sehr kahl und hatte auch nicht besonders viele Fenster. Wie selbstverständlich stiegen die Jungs aus dem Auto aus und die beiden Unbekannten bewegten sich mit schnellem Schritt  auf das große Tor zu, was Außenwelt von Innenraum trennte. Ich musste zuerst noch einmal tief Luft holen, bevor ich ebenfalls die Tür öffnete und aus dem Auto stieg. Will war direkt bei meiner Seite und es war fast so, als würde er mich versuchen zu stützen. Jedenfalls kam es mir so vor, da er seinen Arm um meine Taille schlang und mich auch nicht mehr los ließ. 

Mein Herz pochte sehr schnell, da ich nicht wusste, was mich im Inneren dieses Raumes erwartete, ich rechnete mit vielem und musste leider gestehen. dass mir jetzt wieder die Gerüchte in den Sinn kamen, die mir Edwin erzählte. Ich versuchte zwar, so schnell es ging, diese Gedanken beiseite zu legen, aber ein kleiner Teil in meinem Kopf hielt den Gedanken im Vordergrund. 

Als wir die Halle dann schließlich betraten, staunte ich nicht schlecht, als ich nicht eine typische Lagerhalle sah, sondern eher eine extravagante Männerhöhle. In einer Ecke sah ich tatsächlich eine Küche, wie man sie in einem Haus erwarten würde, voll eingerichtet und mit allem, was man so brauchte. Daneben stand ein großer Tisch aus dunklem Holz, welcher mir sehr schwer vor kam und welcher die Mitte von rund Zehn Stühlen darstellte. Eine große Sitzecke nahm fast den größten Platz im Raum ein und war ein Zusammenspiel aus vielen verschiedenen Sitzmöglichkeiten. Zwei große Sofas, welche mindestens Platz für eine ganze Mannschaft hatte und mehrere verschiedener Sessel. Einige davon waren farbig und wirkten sehr alt, andere dagegen wirkten wie neu gekauft. Auf dem Boden lagen auch viele Teppiche und direkt neben der Tür stand ein alter Billiardtisch. Mich beeindruckte das alles sehr, weil man genau sehen konnte, dass in jedem Möbelstück, welches hier stand seine eigene Geschichte mit sich brachte und wie viel Leidenschaft in diesem Gebäude steckte. 

"Ey Alter, hast du ihn gefickt?", hörte ich dann eine Stimme und drehte mich instinktiv dahin um. Dort saß ein ein etwas jünger aussehender Mann, welcher sich eher auf sein Essen konzentrierte, wie auf uns. Zumindest hatte er wohl noch nicht mitgekriegt, dass ich da bin.  "Leonardo, benimm dich! Wir haben la sua principessa hier im Hause!", ein weiterer Junge gesellte sich dazu, haute dem anderen mit der flachen Hand über den Kopf und kam dann auf mich zu.  "Ciao piccoli, ich bin Marco", er reichte mir die Hand, welche ich lächelnd annahm. Nun sah auch der andere von seinem Essen auf und quittierte mich mit großen Augen. "Hi, ich bin..", ich setzte zum Sprechen an, wurde jedoch sehr schnell unterbrochen, von Jemandem, den ich bisher noch gar nicht gesehen hatte. "Ach dolcezza, wir wissen genau, wer du bist",  und zwinkerte mir dann zu. 

Will knurrte, griff hinter sich und warf eine Art Putzlappen nach dem Jungen. "Jaja beruhig dich, deine Kleine fasst keiner so schnell mehr an!", er lachte, hielt aber auch die Hände beschwichtigend hoch. Ich musste auch leicht grinsen und ließ mich dann von meinem Jungen zu dem Thresen der Küche führen und hob mich ohne große Anstrengung auf einen der Barhocker. Dann umfasste er wieder mein Gesicht mit beiden Händen, guckte mir direkt in die Augen. "Wie geht es dir?", die einfache Frage und die Weise, wie seine blauen Augen auf mich wirkten, beruhigte mich schon sehr, weswegen ich nickte. Und weil er mich immer noch so ansah, sagte ich dann schließlich "Es geht mir gut, wirklich", dabei umfasste ich seine Hände mit meinen. 

Das glaubte er mir schließlich und zwinkerte mir dann selbst zu, bevor er sich wegdrehte und mit seinem Finger auf die einzelnen Jungs zeigte. "Also Heat, Marco kennst du ja schon. Die beiden Jungs, die schon in der Schule da waren, sind Luca und Diego. Den Spast da drüben kannst du Ricardo nennen und unser Zwerg heißt Matteo", ich sah mir die Jungs nacheinander an und versuchte, mir die Namen einzuprägen. Sie alle nickten mir einmal zu und lächelten mich an, widmeten sich dann aber wieder ihren eigenen Dingen. 

Ich beobachtete sie und musste sagen, dass sie mir alle jetzt schon absolut sympathisch waren und ich merkte sofort, dass das hier alles wie eine Familie wirkte. Sie brachten sich gegenseitig die ganze Zeit auf die Palme und für Jemanden, der keine Geschwister und keine besonders große Familie hatte, war das natürlich ein richtiger Traum. 

Der Stuhl, auf dem ich saß, drehte sich und ich sah, dass es Will war, welcher ihn zu sich drehte. Dann sah er mich ernst an und sagte "Du hast bestimmt viele Fragen und obwohl ich dich davon fernhalten möchte, geht das jetzt nicht mehr. Denn Baby, um dich beschützen zu können, musst du die Wahrheit kennen" 

With all my heartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt