22.

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Unsere Lippen trennten kein Zentimeter mehr und mein Herz schlug so schnell wie die Flügel eines Kolibris.

Es war so ein Moment, wo man sich nicht fragte und auch noch überlegte. Der Moment, in dem Will die Lücke zwischen unseren Gesichtern schloss und sich unsere Lippen aufeinanderlegten, war der Moment, indem ich alles vergaß.

Ich vergaß zu atmen, vergaß meinen Namen, den Ort und alles um mich herum. Etwas in mir explodierte. Eine Welle von Gefühlen durchströmte mich und ließen mich erschaudern. Noch nie war ich so sehr von etwas eingenommen, wie von diesem Jungen, der mir alles raubte, was mein Gehirn an Sinnen steuerte.

Erst nach einigen Sekunden realisierte ich, was da gerade eigentlich passierte und ich wusste, dass ich erwidern sollte. Kläglich versuchte ich, meine Lippen zu bewegen und als er das bemerkte, gab er ein leises Knurren von sich und drückte sich noch enger an mich. Dieses Geräusch aus seinem Mund, brachten die Röte in mein Gesicht, aber nicht weil es mir peinlich war, sondern weil mich dieses Geräusch ziemlich anmachte und ich so etwas von mir nicht kannte.

Ich unterbrach den Kuss für einen kleinen Moment und er sah mich einfach nur an. Keine Enttäuschung oder Wut war in seinem Blick zu sehen, eher die Faszination. Seine Augen weiteten sich jedoch, als ich meinen Mut zusammennahm und mich auf sein Becken setzte. Ich lehnte mich wieder runter und nun war ich diejenige, welche die Lücke schloss und er derjenige, der ein paar Sekunden brauchte um zu realisieren, was da gerade passierte.

Irgendwie wusste ich wie von selbst, was ich tun sollte und mit jeder Sekunde, verschwand die Angst. Nur die Aufregung blieb.

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Ich wusste nicht wie lange, aber irgendwann hörten wir auf, uns zu küssen und sahen uns einfach nur an.  Ich fragte mich insgeheim, ob er schon sehr viele Erfahrungen gemacht hatte und warum er ausgerechnet so ein Mauerblümchen wie mich küssen wollte. Ich fragte mich auch, ob es das einzige ist, was ich mit ihm haben werde.

Über Sex hatte ich mir noch nie ernsthaft Gedanken gemacht. Aber bei Will fühlte ich Dinge, die ich nie für möglich gehalten hätte. Er hatte zwar noch nie irgendeine Andeutung gemacht oder mich dementsprechend angefasst, aber ich wusste, dass das irgendwann kommen wird. Ganz zu meinem Erschrecken, fand ich den Gedanken nicht mal schlimm. 

Ich betrachtete sein Gesicht genauer. Die eisblauen Augen, welche von dichten Wimpern umgeben waren. Die Nase, welche so gerade schien, dass sie nur mit einem Lineal erschaffen sein konnte. Und die Lippen, welche noch immer leicht geschwollen waren. Ich konnte es nur immer wieder erwähnen, dass er das Ebenbild der Schönheit war. Umso mehr beeindruckte es mich, dass ich hier neben ihm lag. Dass er seine Aufmerksamkeit ganz auf mich legte.

Ich hätte ihn mir stundenlang ansehen können und vermutlich tat ich das auch, da ich irgendwann müde wurde. Ich kämpfte dagegen an, aber ich konnte nicht anders, als herzhaft zu gähnen. Will begann, leicht zu grinsen und ich würde rot.

"Es ist schon spät, Heat. Ich bring dich besser nach Hause" sagte er, strich über meine Wange und stand dann direkt auf. Ich jedoch quälte mich hoch und hätte am liebsten geweint, ich wollte nicht gehen. Meine Stimmung würde schlechter und da ich ihm das nicht zeigen wollte, blieb ich lieber still.

Von seiner Familie verabschiedete ich mich nur mit einem kleinen Lächeln und ich hoffte, dass sie es auf meine Müdigkeit schoben. Draußen bemerkte ich, dass es wirklich schon spät war und erzitterte leicht wegen der Kälte. Meine Jacke war im Auto, jedoch kam ich da gar nicht erst hin, weil er mir den Weg versperrte. Ich wollte ihn böse angucken, aber bevor ich überhaupt dazu kam, zog er sich seinen Pulli aus. Dabei entblößte er auch ein wenig Haut und ich merkte wieder, wie mir warm wurde. Er hielt mir den Pulli hin, den ich verwirrt annahm. Anscheinend war mein Gesicht Antwort genug, da er nur mit dem Kopf schüttelte und grinsend sagte," Den sollst du anziehen Heat!"

Ich wurde rot und schüttelte den Kopf. Wie konnte man nur so blöd sein?! Als kleine Entschuldigung konnte man jedoch nehmen, dass ich keine Erfahrungen mit Jungs gemacht hatte und das mir noch nie der Pulli angeboten wurde. In Büchern und Filmen sah man das des öfteren und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mir das noch nie selbst gewünscht habe.

Ich schlüpfte in den viel zu großen Pullover und wurde sofort von seinem Duft umhüllt. Das war viel besser als meine Jacke und das, obwohl er mir fast bis zu den Knien reichte. "Jetzt musst du auch nicht mehr schmollen", grinste er schon wieder und gab mir einen Kuss auf die Lippen. Am liebsten hätte ich ihm für den Spruch die Zunge rausgestreckt, aber die kleine Geste fegte wieder eine Leere in meinen Kopf. Wie selbstverständlich er so etwas machte und wie neu es für mich war.

Ohne darauf zu antworten, stieg ich ins Auto ein. Die Fahrt war ruhig. Aber es war eine angenehme Stille. Sie verlief auf schneller, als die anderen Male und als wir vor meinem Haus standen, wurde mir bewusste, dass ich mich jetzt verabschieden musste. Zu meiner Überraschung, stieg er zuerst auf und  öffnete mir sogar die Tür. Weswegen wurde mir erst klar, als er mir die Schlüssel gab. Ich hätte völlig vergessen, dass es mein Auto war, mit dem wir gefahren sind.

Ich wusste nicht so recht, was ich jetzt tun sollte und was man in so einer Situation sagen sollte. Danke? Klang mir ein bisschen zu merkwürdig. Ich war froh, als er einen Schritt auf mich zu machte, mein Gesicht in beide Hände nahm und mich küsste. Zuerst die Lippen, dann die Stirn, beide Wangen und zum Schluss die Nase. Wäre er nicht da, hätte ich vermutlich einen Schreianfall bekommen, das ich das schon sehr süß fand.

"Wir sehen uns morgen, Heat", flüsterte er mir noch ins Ohr und bevor ich etwas erwidern konnte oder ihm sein Pulli wiedergeben konnte, war er auch schon verschwunden.

Völlig verwirrt betrat ich das Haus und wollte eigentlich direkt in mein Zimmer gehen. Der wütende Blick meiner Mutter hielt mich jedoch davon ab.

"Wo warst du?", Fragte sie und anhand ihrer Stimme, wusste ich das sie wirklich sehr wütend war. Verständlich. Ich habe nicht einmal an sie gedacht und ich wusste, dass ich jetzt ziemlich in der scheiße steckte.

With all my heartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt