Kapitel #44

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Tag 178 ohne Harry.

Meine Augen brannten, als ich versuchte, sie zu öffnen.

Meine erste Handlung des Tages, war wie jeden Morgen, einen Blick auf mein Smartphone zu werfen. - Nichts. Keine Nachricht. Kein Anruf.

Mein Körper zeigte keinerlei Reaktion mehr. Keine Welle der Enttäuschung oder Trauer schwappte durch meinen Körper und benebelte mich. Auch meine Tränen wollten nicht mehr fließen. Ich war vollkommen taub. Abgestumpft. In den vergangenen Monaten, hatte ich so viele Emotionen in mir, dass ich das Gefühl hatte, alle aufgebraucht zu haben.

Nun trug ich keinerlei Gefühle mehr in mir. Lachen fiel mir genauso schwer, wie Weinen. Alles in mir, war in Taubheit gehüllt. Sogar meine Erinnerungen. Lediglich meine immer wiederkehrenden Albträume, zeigten mir, dass Harry und die vergangenen Monate Wirklichkeit waren, und nicht nur meiner Vorstellung entsprungen waren.

Jeden Morgen, sah mich eine andere Person durch den Spiegel an. Heute waren meine Augen blutunterlaufen. Meine Haut war blass und meine Haare klebten fettig an meinem Kopf. Schon seit Tagen, hatte ich dieselbe Kleidung an. Ich wechselte sie nur, wenn ich mal genug Kraft hatte um zur Uni zu gehen. Heute war kein so ein Tag.

Kraftlos schleppte ich meinen tauben Körper in die Küche. Ich saß am Küchentisch und starrte regungslos auf die Tischplatte vor mir. Die besorgten Blicke meiner Familie durchbohrten mich förmlich, aber keiner sagte etwas. Auch dafür, war ich taub geworden.

"Louis, Schatz. Kommst du mal?" Erst als meine Mutter die Frage ein zweites mal äußerte, stand ich auf und lief ins Vorzimmer, von wo ihre Stimme zu kommen schien.

"Was ist denn?" Ich schauderte kurz. Es war ewig her, dass ich meine eigene Stimme gehört hatte, so lange hatte ich schon nicht gesprochen.

"Du hast ein Paket bekommen."

Als ich das Vorzimmer betrat und das Objekt der Aufmerksamkeit erblickte, zeigte mein Körper das erste mal seit langem wieder eine Regung. Ich stand auf wackeligen Beinen, während meine Fingernägel sich in den hölzernen Türrahmen hinter mir bohrten. Meine Finger schmerzten unter der Verkrampfung.

Ich atmete tief ein, spürte wie der Sauerstoff in meine Lunge strömte. Ich hoffte, er konnte meine wirren Gedanken klären.

"Lies mir den Absender vor", rief ich laut genug, damit meine Mutter, welche am anderen Ende des Raumes stand, es hören konnte.

"Komm doch einfach her und pack es aus", kam promt die Antwort. Doch ich dachte nicht im entferntesten daran, ihrer Aufforderung nachzukommen.

"Sag mir, von wo es kommt" wiederholte ich mich erneut, nur diesmal mit Nachdruck.

Seufzend schob sich meine Mutter ihre Brille, die in ihren Haaren steckte, zurück auf den Nasenrücken. Sie umkreiste das hüfthohe Paket, auf der Suche nach dem Absender.

In jeder Sekunde, in der nichts passierte, wurde mein Herzschlag lauter. Er hallte förmlich durch den rechteckigen Raum.

Als sie ihn endlich fand, begann sie zu lesen. "Scottsdale, Arizona; Vereinigte Staaten von Amerika." Wie bei einem scheuen Reh, schreckte ihr Kopf ruckartig nach oben. Sie sah zu mir und versuchte jede Regung meines Gesichtes einzufangen. Aber ich war mir sicher, da war keine. Die Taubheit hatte wieder Besitz von mir ergriffen.

Wortlos drehte ich mich um und war dabei weg zugehen, als die Worte meiner Mutter mich zum Stehen bleiben zwangen. "Öffne es doch wenigstens mal. Wer weiß was drin ist." Sie sprach leise, als hätte sie angst mich zu verschrecken. Als wäre ich nun das scheue Reh.

"Ich weiß, was drin ist", würgte ich ihren Enthusiasmus ab.

"Ach ja und was?" herausfordernd stemmte sie ihre Hände in die Hüfte.

"Die Endgültigkeit" sagte ich ausdruckslos. "Da sind alle Sachen drin, die ich noch bei ihm hatte", fuhr ich monoton fort.

Eine ganze Weile, blickte sie mich nur an, doch dann vernahm ich ganz leise ihre zarte Stimme. "Du hast aufgegeben, oder?"

Kaum merklich schüttelte ich den Kopf. "Er hat mich aufgegeben." Ich deutete auf das Paket, das zwischen uns stand.

"Ich bin sauer. Ich dachte er.. i-ich dachte das er... Wie konnte er nur so überreagieren? Der Kuss ging nicht von dir aus und egal wie die Bilder aussehen, er sollte wissen, dass du so etwas nie tun würdest." Wie eine Löwenmutter, die Gefahr witterte, pirschte sie um den Karton herum. Immer wieder fuhr sie sich durchs braune Haar.

"Er hat nicht überreagiert, Mum", versuchte ich sie etwas zu beruhigen. "Er hat es voraus gesagt. Noch bevor wir offiziell zusammen waren, hatte er bereits geahnt, das so etwas passieren wird. Er dachte irgendwann würde ich ihn für jemand anderes verlassen und genau das sieht er in diesen Bildern.. Dass ich ihn für wen anderen verlassen habe."

Aus ausdruckslosen Augen sah sie mich an. Ich versuchte ihr meine Worte mittels Metapher zu verstehen zu geben. "Harry hat mir von seinen Ängsten erzählt, mir quasi gesagt wie ich ihn vernichten kann. Mit diesem Wissen, hat er mir ein Messer in die Hand gelegt. Ein Messer, mit dem ich ihn hätte beschützen können, doch stattdessen, habe ich es ihm bei der erstbesten Möglichkeit, zwischen die Rippen und direkt ins Herz gestochen."

Langsam aber sicher schien sie zu verstehen.

Und dann passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte.

Ich sah mich selbst wieder weinen. Doch nicht ich war es, von dem die Tränen kamen, sie kamen von meiner Mutter. Ich sah in ihr Gesicht und erkannte mich selbst. In ihren Augen spiegelte sich meine Trauer, für die ich selbst zu taub geworden war.

Ich zog sie in meine Arme und tröstete sie. Ich hielt sie fest.

Und dann?

- Dann lächelte ich.

War es das? Hatte ich, ein für alle mal, abgeschlossen? Fühlte sich das so an?

A mysterious one || Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt