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Eine ganze Zeit lang saßen wir uns einfach nur gegenüber und starrten den jeweils anderen an. Vor mir hatte einer meiner Kollegen eine Akte platziert, die ich jedoch bisher noch nicht angerührt hatte. Stattdessen war ich viel zu sehr damit beschäftigt, die derzeitige Situation zu begreifen.

»Was machst du hier?«, kam es mir dann unabsichtlich über die Lippen. Das Grinsen war, seitdem er aus dem Wagen gestiegen war, nicht mehr von seinem Gesicht gewichen und erweckte den Anschein, dass er das Ganze eher unterhaltsam fand als wirklich ernst nahm. Als er auf meine Frage hin lediglich mit den Schultern zuckte, bestätigte sich meine Theorie.

»Leben, würde ich mal sagen.« Ich verbarg meine Verärgerung hinter einer hochgezogenen Augenbraue und öffnete die dunkelblaue Mappe vor mir. Scheinbar war Cole Banks keine unbekannte Persönlichkeit für die Polizei von Los Angeles.
Körperverletzung, Missachtung von Verkehrsregeln und noch einige weitere Vergehen standen untereinander aufgelistet auf dem Papier.
Jedoch lagen diese Fälle bereits einige Jahre in der Vergangenheit und hatten sich zu Zeiten der High School abgespielt; nicht, dass diese Tatsache seine Fehltritte entschuldigte, aber ich schrieb Banks inzwischen doch etwas mehr Reife zu als mit siebzehn Jahren.

Heute Abend wurden er und seine zwei Freunde festgenommen, weil sie sich auf das Grundstück eines Millionärs geschlichen und somit Hausfriedensbruch begangen hatten.

Dieser hatte umgehend die Polizei verständigt und die jungen Männer verhaften lassen. Damit hatten sie vermutlich Glück im Unglück: Wären wir jetzt in Texas gewesen, hätten ihre Familien im schlimmsten Falle eine Beerdigung organisieren können.

»Dir ist bewusst, dass das Betreten fremder Grundstücke strafbar ist, oder?«, fragte ich und sah ihn durchdringend an. Vor solchen Typen durfte man keine Schwäche zeigen, sonst würden sie diese schamlos ausnutzen.

»Dieser Sache war ich mir durchaus bewusst«, erwiderte er und musterte mich noch einmal ausgiebig. »Andere Frage: Was machst du eigentlich hier?«

»Arbeiten, würde ich sagen«, antwortete ich ähnlich wortkarg wie er zuvor und lehnte mich ein Stück zurück. Die Lehne des ausrangierten Bürostuhles bohrte sich in meinen Rücken und ich hätte schwören können, dass ich mir irgendwo in meiner Wirbelsäule einen Nerv eingeklemmt hatte. Es war mittlerweile kurz nach zehn Uhr und die Anstrengung dieses langen Arbeitstages steckte mir tief in den Knochen; da hatte mir so jemand wie Banks gerade noch gefehlt.

Innerlich verfluchte ich Kun nun doch dafür, dass er mich hier zurückgelassen hatte und sich im Moment vermutlich köstlich amüsierte.

»Wolltest du nicht Lehrerin werden?«, setzte er seine Befragung fort, während ich nach dem Kugelschreiber, der neben der Akte auf dem Tisch lag, griff. LAPD klang durchaus nicht schlecht und es stahl sich sogar ein kleines Lächeln auf mein Gesicht, als ich an meine wenigen Monate als Studentin dachte.

»Spielt das eine Rolle?«, entgegnete ich. »Wieso habt ihr dieses Grundstück betreten?« Meine Mundwinkel sanken wieder nach unten, sodass sich meine Lippen zu einem geraden Strich formten und ich musste dem Drang widerstehen, mir die Haare zu raufen.

Mein Blick fing seinen ein und hielt ihn fest, währenddessen ich auf seine Antwort wartete.

»Ich bin Journalist, da ist das manchmal so«, kam es von ihm und er grinste noch immer, als hätte er im Lotto gewonnen und säße gerade nicht zum Verhör auf einer Polizeiwache.

»Du bist Journalist? Wie kommt es denn dazu?« Ich wollte ursprünglich nicht so neugierig klingen, konnte es aber nicht verhindern. Es wäre eine dreiste Lüge, wenn ich sagen würde, dass mich die Person mir gegenüber nicht interessierte – schließlich war seit unserem letzten Aufeinandertreffen über ein Jahr vergangen.

Kasey McMillenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt