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Die Totenstille, die daraufhin einkehrte, wurde einzig und allein durch das Pfeifen des Windes durch die kaputten Fensterscheiben gestört. Ich starrte mit einer eisernen Ruhe zu Boden, da ich sowieso nicht wusste, was ich hätte sagen sollen.

Während Adrians Erzählungen war mir zwar klargeworden, dass unser kleines Gespräch auf die Nennung meines Namens hinauslaufen würde, jedoch war es eine ganz andere Sache, meinen Namen auch wirklich aus seinem Mund zu hören. Es war wie ein Schlag ins Gesicht oder das Überschütten mit eiskaltem Wasser; eine Situation, auf die man nicht vorbereitet war und die einen daher härter traf als man angenommen hatte.

»Kennen Sie diese Frau?«, kam es nach einer Weile zögerlich von Adrian. Nach so einer langen Zeit des Schweigens klang seine Stimme lauter als zuvor und hallte in dem leeren Korridor wider.

»So könnte man es ausdrücken«, sagte ich heißer, während ich noch immer zu Boden starrte und mich auf einen Dreckfleck konzentrierte, der bei genauerem Hinsehen eine gewisse Ähnlichkeit mit Blut aufwies.

Vielleicht war dieser Fleck bereits ein böses Omen, welches ankündigte, dass heute Blut vergossen werden würde – vielleicht sogar mein eigenes.

Zu allem Überfluss spürte ich, wie Kun seinen Blick von Adrian abgewandt hatte und nun stattdessen mir Löcher in den Rücken bohrte.

Sein stechender Blick brachte mich dazu, meine Augen von dem eventuellen Blutfleck abzuwenden und in die Gesichter der beiden Männer zu schauen, die kaum hätten unterschiedlicher sein können:

Während Kuns Miene an Ernsthaftigkeit kaum zu überbieten war, wirkte Adrian eher so als würde er sich vor Angst jeden Moment in die Hose machen.

Die Situation, in der wir uns befanden, war so absurd, dass ich mir nur schwer das Lachen verkneifen konnte. Jedoch konnte ich nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf mein Gesicht stahl, welches wohl selbst dem Joker einen eiskalten Schauer über den Rücken gejagt hätte. Dass ich wie eine Psychopathin aussah, spiegelte sich auch in Adrians Reaktion wider, da er prompt ein wenig von mir wegrutschte und mich mit großen Augen ansah.

»Wenn Sie diese Frau kennen, dann können Sie sie doch noch warnen«, schien er all seinen Mut aufgebracht und seinen Mund geöffnet zu haben. Seine Augen schossen zwischen Kun und mir hin und her, während er auf eine Reaktion von einem von uns wartete.

Ich nahm meinen Blick von Adrians Gesicht und sah stattdessen zu Kun, dem ich stumm versuchte zu vermitteln, dass er aufhören sollte, mich so penetrant anzustarren. Nur leider schien unsere sonstige, telepathische Verbindung ausgerechnet in diesem Moment nicht zu funktionieren, da er seine Augen weiterhin nicht einmal für eine Sekunde von mir nahm.

»Ich fürchte, das würde ihr nicht großartig viel bringen«, meinte ich und gab es auf, wortlos mit Kun kommunizieren zu wollen. Falls Adrian jedoch bemerken sollte, dass wir ihm etwas verschwiegen und er die Wahrheit herausfinden sollte, dann würde ich die gesamte Schuld auf Kun und seinen verräterischen Blick schieben.

»Warum denn nicht?«, fragte Adrian und setzte sich ein Stück aufrechter hin, um seine neugewonnene Courage zu unterstreichen. Für jemanden, der sich von seinem Bruder in solch kriminelle Gewässer hatte ziehen lassen, war er zum einen ziemlich durchschaubar und zum anderen einer der weichlichsten Typen, die mir je untergekommen waren.

»An deiner Stelle wäre ich nicht so neugierig«, entgegnete ich und sah ihm mit stechendem Blick an. Er zuckte unweigerlich zusammen und wich meinem Blick aus. Durch meinen Kopf schossen tausende Gedanken, die sich leider nicht zu einem Netz aus logischen Schlussfolgerungen und einer Antwort auf all unsere Probleme zusammenwebten, sondern zu einem Knäuel zusammenwuchsen, bei dem ich weder den Anfang noch das Ende ausmachen konnte.

Kasey McMillenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt