39

2.9K 209 38
                                    

Mit einem ausgewogenen Frühstück in Magen, das Lia in ihrer drei Quadratmeter großen Küche zubereitet hatte und einem gehörigen Maß an Schlafmangel, fuhr ich in Richtung Los Angeles. Der Himmel strahlte in einem satten Blau und wurde nur von der einen oder anderen Schäfchenwolke bedeckt, die sich nach Westen in Richtung Pazifik schob.

Es war nicht die schlauste Idee meines Lebens gewesen, mit Lia beinahe die ganze Nacht aufzubleiben und über Gott und die Welt – teilweise auch über Diego Pérez dummen Gesichtsausdruck, als ich ihn mir zur Brust genommen hatte – zu reden, da ich die Konsequenzen unserer Entscheidung durch ein Paar brennenden Augen und einem schläfrigen Geist fühlen konnte.

Zum Glück waren nicht allzu viele Autos auf der Interstate 5 unterwegs, sodass ich mich nicht wie im Verkehrschaos meiner Heimatstadt permanent darauf konzentrieren musste, dass ich niemanden umfuhr oder seitlich oder frontal gerammt wurde.

Ein Blick in den Seitenspiegel verriet mir, dass ich genauso fertig aussah, wie ich mich fühlte: Die Schatten unter meinen Augen konkurrierten mit der schwarzen Kapuze meines Hoddies, welche ich mir über den Kopf gezogen hatte, um meine zerzausten Haare verschwinden zu lassen. Meine Haut hatte einen ungewöhnlich blassen Ton, der meine tiefen Augenringe nur noch besser zur Geltung brachte und mir stand die Erschöpfung praktisch ins Gesicht geschrieben.

Nicht einmal zwei Tassen von Lias extrem starken, brasilianischen Kaffee hatten zum Aufwecken meiner Lebensgeister geführt.

Ebenso wenig half mir mein Radio dabei, wach zu werden, da dieses seit etwa einer Stunde einen Ed-Sheeran-Song nach dem anderen zum Besten gab und den meisten Leuten sicher bekannt war, dass diese Lieder nicht gerade mit denen einer Heavy-Metal-Band vergleichbar waren, bei denen man alle fünf Sekunden von einem Schrei oder einem Riff auf der Gitarre aufgeschreckt wurde.

Zwischen mir und dem hoch ersehnten Rendezvous mit meinem Bett langen noch knappe vier Wegstunden, in denen ich die Müdigkeit wie einen tödlichen Parasiten bekämpfen musste.

Irgendwie zeigten mir lange Nächte wie diese, dass ich allmählich alt wurde. Die Tatsache, dass diesen Freitag mein zweites Jahrzehnt auf dieser Erde ein Ende finden und das dritte beginnen würde, schien sich nicht positiv auf meine Fähigkeit auszuwirken, die Nächte durchzumachen und nicht bereits zehn Uhr vor Müdigkeit einzuschlafen.

Wenn ich genauer über mein Alter nachdachte, dann wurde mir bewusst, dass meine Eltern mit zwanzig bereits geheiratet hatten. Sie hatten sich in Mississippi kennengelernt, als mein Dad 21 und meine Mum 20 gewesen war.

Mum meinte bis heute, dass es Liebe auf den ersten Blick gewesen war und sie daher ein halbes Jahr nach ihrer ersten Begegnung direkt den Bund der Ehe eingegangen waren. Wie sich herausstellte, war es keine falsche Entscheidung gewesen, da ihre Liebe bis heute anhielt und daraus erst mein und dann Noahs Leben entstanden waren.

Wenn ich mir hingegen vorstellte, dass ich in den nächsten Monaten meines zu kurzen Lebens heiraten würde, dann machte sich in mir instinktiv ein dringendes Bedürfnis nach der Flucht in eine ehemalige, britische Kolonie breit – und mir war durchaus bewusst, dass die Vereinigten Staaten ebenfalls einmal zum britischen Imperium gehört hatten. Ich hatte da eher an die Bahamas gedacht, eventuell auch Südafrika oder Neuseeland.

Meine Eltern waren damals füreinander bestimmt gewesen. Das konnte selbst ich als unromantische Leugnerin eines Konzeptes wie Schicksal oder Seelenverwandtschaft nicht abstreiten. Wenn ich dann hingegen an Cole und mich dachte, sah ich ihn und mich nicht in sechzig Jahren mit grauen Haaren auf einem Schaukelstuhl auf einer Ranch im Herzen von Kentucky sitzen.

Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wie ich mein gesamtes Leben mit nur einem einzigen Menschen verbringen sollte. Nicht, dass ich sonderlich viel von offenen Beziehungen oder den zahlreichen anderen, neu entwickelten Beziehungsformen hielt – zumindest, was meine Partnerschaften anbelangte -, aber irgendwann in der Vergangenheit hatte ich mich immer nach ein wenig Abwechslung gesehnt.

Kasey McMillenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt