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Johnson war kein so übler Kerl wie ich anfangs angenommen hatte. Wenn er denn mal nüchtern und weniger high war, konnte man sich echt gut mit ihm unterhalten.

Er war nicht mehr der Vollidiot, der er mal zu Schulzeiten gewesen war, sondern schien tatsächlich zu einem Mann geworden zu sein - Wunder konnten wohl doch noch geschehen.

Jedenfalls hatte ich in einen kleinen Notizblock mitgenommen, worauf ich mir gerade alles Relevante und Irrelevante aufschrieb.

Johnson sagte, dass er sich nicht mehr allzu konkret an seine Begegnung mit dem potenziellen Mörder erinnern konnte, da inzwischen bereits einige Wochen vergangen waren, die an seinem Erinnerungsvermögen genagt hatten und es eine schlecht beleuchtete Ecke gewesen war, weshalb er sich an keine genauen Details erinnern konnte.

Dennoch gab er sich wirklich Mühe, die letzten Erinnerungsfetzen aus seinem Kopf heraus zu prügeln, wobei mein brennender Blick durchaus auch seinen Teil dazu beitrug.

»Du sagst schwarzes Haar und das unter einer Kapuze versteckt?«, ging ich die Punkte nochmal einzeln mit ihm durch.

»Ja und seine linke Augenbraue hatte eine Lücke einmal senkrecht durch«, fügte er an und nahm einen Schluck von seinem Kakao. »Seine Augen waren auch ziemlich dunkel, auch wenn ich nicht genau sagen kann, ob es an dem Licht gelegen hat oder nicht.« Ich nickte und ergänzte meine Aufzeichnungen.

»Er war in etwa dreißig Jahre alt?«

»Vielleicht 35, wenn nicht sogar älter«, korrigierte er mich. »Und er hinkte ein bisschen auf einem Bein.« Auf seine Aussage hin hob ich den Kopf und sah ihn verwirrt an.

»Aber das hat er auf dem Video der Überwachungskamera nicht getan«, sagte ich und begann, auf meinen Kugelschreiber herumzukauen. Eine grauenvolle Angewohnheit, die schon vielen seiner Art das Leben gekostet hat, mir hingegen schon viele meiner Nerven gerettet hat. 

»Ich hab das Video nicht gesehen, aber als er dann vor mir weggerannt ist, hat er sein rechtes Bein so stark hinter sich hergezogen, dass ich es hatte schleifen hören können«, erwiderte Johnson schulterzuckend und warf der Bedienung einen anzüglichen Blick zu. Die junge Frau errötete stark und verschwand so schnell wie möglich aus unserem Blickfeld.

»Geht vielleicht auf eine Beinverletzung zurück«, mutmaßte ich und schreib meine Vermutung nieder.

»Fällt dir noch irgendwas ein? Irgendetwas Ungewöhnliches? Irgendwas Einprägsames?«

»Lass mich mal überlegen«, gab er von sich und griff sich nachdenklich ans Kinn. »Die Augenbraue ist mir sofort ins Auge gesprungen, der hinkende Gang und...« Ich sah ihn erwartungsvoll an. »Nein, sonst nichts weiter. Er sah aus wie du und ich und jeder andere beliebige Mensch.«

Meine Schultern, die ich hoffnungsvoll hochgezogen hatte, ließ ich wieder fallen und nahm einen großen Schluck Kakao. Vermutlich musste ich Cole wieder auf die Suche schicken, denn ich war ja erwiesenermaßen ziemlich schlecht darin, andere Menschen trotz überragender Hilfsmittel ausfindig zu machen.

»Aber jetzt mal zu dir? Wie kommt es, dass so jemand wie du zur Polizei geht?« Johnson stützte den Kopf auf den Händen ab und sah mich interessiert an.

»Das ist ganz einfach. Ich habe einen großen Sinn für Gerechtigkeit und trete gerne Bösen in den Hintern«, erklärte ich als wäre es das Normalste der Welt.

»Dass du gut zutreten kannst, weiß ich. Hast du irgendwas mit Kämpfen zu tun? Vielleicht eine geheime Untergrundbande oder so?«, wollte er wissen und wackelte dabei verschwörerisch mit den Augenbrauen. Ich hob lediglich eine Augenbraue und verdrehte innerlich die Augen. 

Kasey McMillenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt