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Es war nicht sonderlich schwer, einen Termin im Gefängnis zu bekommen, um ein wenig mit Logan Harrison zu reden. Vielleicht ergab sich dieser Umstand daraus, dass ich bei der Polizei arbeitete, vielleicht aber auch an meiner Freundlichkeit am Telefon mit dem Gefängnisdirektor, der so geklungen hatte, als hätte er lieber Zitronensaft geschluckt als mit mir telefoniert.

Was auch immer nun der Wahrheit entsprach, spielte keine allzu große Rolle. Denn inzwischen standen Cole und ich vor dem mit Stacheldraht und Überwachungskameras gesäumten Eingangstor und warteten darauf, dass uns Einlass gewährt wurde.

Leider musste ich diesem Moment zugeben, dass ich lügen würde, wenn ich sagen würde, dass mir nicht flau im Magen und mein Mund so trocken wie die Sahara-Wüste war.

Ich hatte noch vor einer Woche eine so große Klappe gehabt und lautstark verkündet, dass ich damit zurechtkommen würde, heute hier zu stehen.

Aber wenn ich ehrlich zu mir sein musste, dann waren gerade alle Synapsen in meinem Gehirn auf das Kommando ›fluchtartiges Verlassen des Platzes‹ gepolt und würde Cole nicht neben mir stehen, hätte ich diesem Befehl vermutlich sogar Folge geleistet.

Damit meinte ich nicht, dass ich mich vor Logan Harrison fürchten würde – ganz im Gegenteil. Wenn ich könnte, würde ich ihm sogar liebend gern mit der Faust ins Gesicht schlagen, um mich wenigstens einmal dafür zu rächen, was er Lizzy und mir im letzten Jahr angetan hatte. Mein Problem war nicht Logan Harrison als Mensch, sondern die Erinnerungen, die ich mit ihm in Verbindung brachte.

Innerhalb von kaum einer Stunde war so viel Adrenalin durch meine Adern geflossen wie ein normaler Mensch in seinem gesamten Leben benötigte.

Während dieser Zeit war ich aus drei oder vier Metern Höhe gegen ein verdammtes Fensterbrett geflogen, wobei ich zuvor angenommen hatte, dass ich auf dem harten Betonboden des Hofes landen würde und dieser mein klägliches Ende mit zahlreichen gebrochenen Knochen bedeuten würde.

Danach wurde mir eine Pistole an den Kopf gehalten, während die, die ich versucht hatte zu retten, sonstwohin verschwunden oder sonstwo hatte sterben können. Die Angst, die ich damals gefühlt hatte, die sich in jeder meiner Körperzellen eingenistet hatte, ließ sich mit keinem anderen Gefühl vergleichen.

Um der ganzen Misere noch das Sahnehäubchen aufzusetzen, wurde mehrfach auf mich geschossen, wobei einer der Schüsse sogar meinen rechten Unterschenkel getroffen und einige Muskeln durchtrennt sowie ein Stück meines Knochens abgetrennt hatte.

Jedoch am Allerschlimmsten war das gewesen, was mir nach meiner Entführung im Krankenhaus wieder eingefallen war. Denn zu mir war die Erinnerung zurückgekehrt, dass ich auf einen von Harrisons Männern geschossen hatte – ihn möglicherweise erschossen hatte.

Bis heute sah ich genau vor mir, wie er zu Boden gegangen war und sich nicht mehr bewegt hatte und ich anschließend einen Hügel nach unten gerollt war und dachte, dass das nun die Endstation meines Lebens gewesen wäre.

Zum Glück war dieser Fall nicht eingetreten und sowohl ich als auch der Mann hatten die ganze Sache überlebt, jedoch hatte meine Psyche dabei erheblichen Schaden davongetragen.

Die ganze Geschichte wollte ich jedoch nicht nochmal im Detail erläutern, denn das hatte ich ausgiebig mit meinem Psychologen getan. Genau aus diesen Gründen hatte ich verdammt Angst vor dem, was mich hinter diesen hohen Mauern und den Stacheldrahtzäunen erwarten würde. 

»Willst du das immer noch durchziehen?«, fragte Cole und musterte mich von der Seite. Schon den gesamten Vormittag umgab ihn eine seltsame Aura, die mich nicht gerade besser fühlen ließ.

Alle fünf Minuten fragte er, ob ich wirklich dazu bereit war oder ob es mir wirklich gut ging. Prinzipiell sollte ich mich darüber freuen, dass er sich anscheinend solche Sorgen um mich machte und mir damit seine Zuneigung signalisierte, im Moment ging es mir allerdings ziemlich auf die Nerven.

Kasey McMillenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt