19

3.5K 225 16
                                    

Dienstagnachmittag, nachdem ich meine weniger glorreiche und vor allem langweilige Schicht beendet hatte, stand ich vor den Türen der Polizeistation, die ich seit meinem achten Lebensjahr nicht mehr betreten hatte.

Es stimmte, dass ich früher oft bei meinem Onkel auf Arbeit gewesen war, aber da mein Dad einen neuen Job angenommen und damit länger hatte arbeiten müssen, fielen die abendlichen Besuche auf der Polizeistation flach und ich hatte seither keinen Fuß mehr in dieses Gebäude gesetzt.

Die Station, in der mein Onkel gearbeitet hatte, lag ein Stück außerhalb der Innenstadt und somit auch nicht dort, wo ich normalerweise als Polizistin zugange war.

Los Angeles war riesig und wenn ich ehrlich sein musste, dann hatte ich manche Teile meiner Heimatstadt bis heute nicht gesehen.

Ich straffte die Schultern, atmete einmal stoßweise aus und stieß dann die Tür nach innen auf, wo mir augenblicklich der Duft von Filterkaffee in die Nase stieg.

Irgendwie roch es auf allen Polizeistationen gleich, was vermutlich daran lag, dass die meisten Polizisten koffeinabhängig und ohne ihre tägliche Dosis Kaffee nicht vollständig leistungsfähig waren.

Am Tresen saß eine uniformierte Frau in ihren Sechzigern und musterte mich mit einem kritischen Ausdruck. Ich hatte meine Uniform von vorhin angelassen, um so eventuell bessere Chancen auf Informationen zu haben, da ich mich so als Gleichgesinnte outete.

»Willkommen im West Los Angeles Police Departement, wie kann Ihnen behilflich sein?«, grummelte sie und nippte an einer Tasse Kaffee.

»Officer Kasey McMillen«, stellte ich mich vor und zeigte ihr meine Marke, was gar nicht nötig gewesen wäre, da ich zum einen meine Uniform trug, an der mein Namensschild befestigt war und die Frau zum anderen offensichtlich keinerlei Interesse an meiner Identität zeigte.

»Ich suche einen ehemaligen oder noch hier arbeitenden Polizisten. Können sie mir weiterhelfen?« Die Frau scannte mich einmal von oben bis unten ab, bevor sie etwas erwiderte. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, ihre Abneigung mir gegenüber zu verstecken, sondern bedachte mich mit einem Blick, als hätte ich ihr bei meiner Ankunft in ihre Kaffeetasse gespuckt.

»Name?«

»Ich kenne seinen Namen nicht, aber er hat früher zusammen mit meinem Onkel hier gearbeitet«, sagte ich leise, damit nicht jeder hier mitbekam, um was es ging. Je weniger Aufmerksamkeit ich auf mich zog, umso besser konnte ich eventuelle Fragen vermeiden, auf die ich keine Antwort parat hatte.

»Irgendein Bild?«, gab sie unfreundlich von sich und ich musste die Zähne zusammenbeißen, um keinen bissigen Kommentar versehentlich über meine Lippen kommen zu lassen.

Trotz ihrer weniger charmanten Art öffnete ich meinen Rucksack und zog meinen Notizblock heraus, um das Foto zwischen den Seiten zu finden und der Frau zu übergeben. Sie sah es sich eine Weile lang an und plötzlich trat ein Strahlen in ihr Gesicht, dass mein Herz kurz einen erschrockenen Satz machte.

»Das kann doch wohl nicht sein«, begann sie. »Bist du die Nichte von John McMillen?« Ich nickte unter ihrem aufgeregten Blick und hatte Mühe, ihren plötzlichen Gemütswechsel zu verkraften.

»Hey, George, Steven. Kommt mal her. Ihr werdet nicht glauben, wer hier aufgekreuzt ist«, winkte sie  zwei Männer heran, die in etwa das Alter meines Dads haben mussten und sie verwirrt ansahen. »Das ist die Nichte von John«, rief die Frau begeistert aus und reichte ihnen das Foto.

»Nicht wirklich, oder? Du bist das kleine Mädchen mit den Zöpfen? Von damals?« Ich nickte erneut und fühlte mich etwas überfordert von der Euphorie, die auf einmal ausgebrochen war und deren Ursprung ich mir nicht genau erklären konnte.

Kasey McMillenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt