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Dass das Gehirn nachts die Dinge verarbeitete, mit denen es sich vor dem Schlafengehen zuletzt beschäftigt hatte, war mir bereits bekannt. Funktioniert hatte es bei mir jedoch noch nie. Mir war in der Vergangenheit weder ein Thema für den Vortrag eingefallen, den ich am nächsten Tag hatte halten müssen, noch war mir die geniale Idee gekommen, was ich Lia zu ihrem Geburtstag hatte schenken können. Daher war ich recht erstaunt darüber, dass ich, als ich an diesem Morgen aufwachte, doch so etwas wie eine nächtliche Offenbarung gehabt hatte.

Nachdem ich mir tagelang den Kopf darüber zerbrochen hatte, was genau ich auf meinem Date mit Cole eigentlich machen wollte, hatte ich mich Donnerstagnacht, nach einem erfolglosen Kriegsrat mit den Romcoms auf Netflix, schlafen gelegt und gehofft, dass sich mein Gehirn von selbst etwas einfallen lassen würde. Ich war nicht davon ausgegangen, dass dieser Plan funktionieren würde, jedoch wurde ich überraschenderweise eines Besseren belehrt und war auch sehr glücklich über diesen Umstand.

Motiviert sprang ich am frühen Morgen aus meinem Bett und verschwand sofort im Badezimmer, um mir die Zähne zu putzen und mir eine Ladung kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen, um endgültig wach zu werden.

Ich schnappte mir eine Jeans und ein einfaches Shirt aus meinem Kleiderschrank und warf mir die Bomberjacke meines Bruders über, die ich ihm vor Jahren geklaut und seither nicht zurückgegeben hatte.

Auf dem Weg nach draußen griff ich mir das Skateboard, welches direkt neben der Wohnungstür lehnte und fuhr bereits um acht Uhr morgens durch Los Angeles in Richtung Stadtauswärts, um meine Eltern – und meinen Bruder natürlich auch – noch vor dem Frühstück mit meiner Anwesenheit zu überraschen.

Als ich die Haustür aufschloss, lugten die Köpfe meiner Eltern verwundert aus der Küchentür. Ich hatte meinen Besuch nicht angekündigt, weshalb ich ihre überraschten Gesichter nachvollziehen konnte.

»Hallo, mein Schatz«, begrüßte mich meine Mum nach einigen Sekunden der Verarbeitungszeit und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Mein Dad tat es ihr gleich und der wunderbare Geruch von Rührei machte sich in meiner Nase breit. »Gehst du deinen Bruder wecken? Er schläft vermutlich noch«, schickte mich meine Mum direkt los, mein Monster von Bruder aus dem Bett zu holen.

Ohne zu klopfen, betrat ich sein Zimmer; bereit, mich dem Kampf gegen den Morgenmuffel zu stellen. Noahs Kopf lag seitlich und seine rechte Wange war gegen das Kopfkissen gepresst, das er eng umschlungen hielt. Sein Körper war auf den Bauch gedreht und mich würde es bei dieser Schlafposition nicht wundern, wenn er davon Nacken- und Schulterschmerzen bekam.

»Noah, aufstehen«, rief ich und trat ich an sein Bett heran, bevor leicht an der Schulter rüttelte.

»Nein«, grummelte dieser bloß und kuschelte sich enger an das Kissen heran, welches er umklammerte, als würde sein Leben davon abhalten.

»Na gut«, sagte ich und zog mit einem Ruck die Bettdecke von ihm herunter, die den Rest seines Körpers verdeckt hatte und mir nun meinen Bruder in seinen schönsten Boxershorts mit Star-Wars-Motiv präsentierte.

»Kasey, hau ab«, maulte er, stütze sich auf den Armen nach oben und drehte sich auf den Rücken. Mein Bruder war wirklich gewachsen in letzter Zeit – und damit meinte ich physisch, nicht mental.

Bereits bei meinem Auszug vor über einem Jahr war Noah beinahe einen Kopf größer gewesen als ich, aber jetzt dürfte er sogar Cole überboten haben und konnte mir sicherlich auf den Kopf spucken, was ich weder begrüßen noch tolerieren würde. Schließlich war ich die große Schwester und er der kleine Bruder, auch wenn unsere Größenverhältnisse etwas anderes sagten.

»Willst du so mit deiner lieben, großen Schwester reden?«, fragte ich scheinheilig und sah ihn unschuldig an, griff nach einem seiner Arme und zog ihn daran aus dem Bett.

Kasey McMillenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt