29

3.5K 216 51
                                    

Ich rief Cole noch in derselben Nacht an, um ihm mitzuteilen, dass Kun soweit unverletzt war und er sich keine Sorge zu machen brauchte. Nachdem ich ihm mindestens zwanzigmal versichert hatte, dass das Gleiche auch für mich galt, legte ich auf und stieg in den Bus, der mich hoffentlich so schnell wie möglich nach Hause bringen würde.

Das Adrenalin, das durch meine Angst um Kun durch meinen Körper geschossen war, hatte diesen nun endgültig wieder verlassen und ließ mich erschöpft den Kopf gegen das Fenster des Busses lehnen. Da um diese Uhrzeit sowieso niemand mehr mit dem Bus fuhr, war ich der einzige Passagier und glücklich darüber, endlich meine Ruhe zu haben und mir das Geld für eine weitere Taxifahrt zu sparen. 

Mein Blick fiel auf das kaputte Handy, welches ich immer noch in der Hand hielt. Vermutlich müsste ich nur das Display tauschen lassen und es wäre wieder wie neu.

Ich atmete tief ein und beobachtete die Straßenlaternen, die den dunklen Straßen wenigstens ein bisschen Licht schenkten.

Am morgigen Tag musste ich mich nach dem potenziellen Mörder der beiden Frauen erkundigen und wäre ich nicht so fertig gewesen, hätte ich sicher heute Nacht noch jemanden angerufen, der mir diesbezüglich eine klare Auskunft geben konnte. Doch um zwei Uhr morgens und nach einer solchen Nacht konnte ich mir kaum vorstellen, dass noch irgendeiner der Polizeibeamten Lust hatte, mit mir zu reden.

Ich wünschte dem Busfahrer noch eine ereignislose, ruhige Schicht und stieg an der Haltestelle keine fünf Minuten von meiner Wohnung entfernt aus. Müde schleppte ich mich die Stufen nach oben und schloss die Tür meines kleinen Apartments auf.

Ohne große Umschweife band ich mir die Haare zu einem unordentlichen Zopf zusammen, entfernte das verschmierte Make-up aus meinem Gesicht und warf das Kleid unachtsam über einen Stuhl. Die hohen Schuhe direkt neben der Eingangstür passten nicht mit meinen Sneakers zusammen, die teilweise schon bessere Zeiten gesehen hatten und auch das schicke Kleid würde in dem Augenblick, wenn es zurück in meinem Kleiderschrank landen würde, fehl am Platz zwischen meinen ausgefransten Jeans und einfachen Shirts wirken.

Ich zog mir noch schnell ein übergroßes T-Shirt über, bevor ich mich in meinem Bett verkroch und glücklich war, ein wenig Ruhe nach so einer turbulenten Nacht gefunden zu haben.

***

»Das ist er?«, entfuhr es mir ungläubig aus meinem Mund und starrte ich den Bildschirm vor mir mit einer Mischung aus Verwunderung und Ernsthaftigkeit an. »Das soll der Mörder von Katherine Roberts und Lydia Harrison sein?« Im Moment fühlte es sich so an als würde ich versuchen, ein Puzzle zusammenzusetzen, dessen Teile jedoch nicht zueinander passten. Selbst mit viel Gewalt schaffte ich es nicht, dass sich mir ein lückenloses und vernünftiges Bild ergab.

Mittlerweile waren bereits zwei Wochen ins Land gezogen und der potenzielle Täter hatte sich nach tiefgreifenden Ermittlungen als der Wahre herausgestellt. Er war zu den Zeitpunkten der Morde in der Umgebung gewesen, wurde von den Überwachungskameras erfasst und hatte – viel wichtiger – bereits ein Geständnis abgelegt, das seine Unschuld bewies.

Schlüssig war mir jedoch nicht, was genau sein Motiv gewesen war. Schließlich ermordete kein Mensch, der noch ganz bei Verstand war, einen anderen, ohne einen bestimmten Grund für sein Handeln zu haben. Und den Aufnahmen nach zu urteilen, die in den Nachrichten und bei uns im Revier gezeigt wurden, erschien er mir nicht wie ein Psychopath oder Wahnsinniger. Auf mich wirkte er intelligent, was man auch an der Art und Weise, wie er sich ausdrückte, erkennen konnte, war während der zahlreichen Verhöre stets ruhig und sachlich geblieben und machte auf mich nicht den Eindruck wie jemand, der zwei Frauen vergewaltigt und getötet und es auch bei einer Dritten versucht hatte.

Kasey McMillenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt