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Meine Tante Lara war zwar sichtlich verwundert über unseren Besuch, lud uns aber trotzdem zu einer Tasse Kaffee ein. Meine Cousins gingen noch zur High School, weshalb ich die beiden nicht zu Gesicht bekam.

Wie sie wohl jetzt mit sechzehn und zwölf aussahen? Das letzte Mal, dass ich sie zu Gesicht bekommen hatte, schien Ewigkeiten her zu sein.

Die Familie meines Dads stammte ursprünglich aus Santa Barbara, nur waren er und mein Onkel kurz nach ihrem Schulabschluss nach Los Angeles gezogen, um dort zu studieren. Besser gesagt  studierte mein Dad Maschinenbau und John machte eine Ausbildung zum Polizisten.

Während mein Dad auf einem Männerurlaub in Mississippi meine Mum kennenlernte und sich Hals über Kopf in sie verliebte hatte, kam Tante Lara aus Los Angeles und war – nach dem Tod ihres Ehemannes – in dessen eigentliche Heimatstadt gezogen, um näher bei meinen Großeltern und dem Grab meines Onkels zu sein.

Tatsächlich hatte sie als einziger Teil der näheren Verwandtschaft noch Kontakt zu meinen Großeltern, ließ sich jedoch nicht in die Fehde zwischen ihnen und meinem Dad ziehen und verhielt sich uns gegenüber wie vor dem Tod ihres Ehemanns.

Dennoch sah ich Tante Lara nicht allzu häufig und sie besuchte uns lediglich an besonderen Feiertagen, was mittlerweile aber ebenfalls ein bisschen in den Hintergrund gerückt war. Das letzte Mal hatte ich sie zu Weihnachten vor einigen Jahren gesehen.

Mein Dad telefonierte manchmal mit seiner Schwägerin und mir kam es zumindest nicht so vor als würde Tante Laras Kontakt zu seinen Eltern ihrer Beziehung schaden.

Daher sagte sie mir zu jedem unserer Treffen, dass sie mich gar nicht wiedererkennen würde und dass aus mir so eine hübsche und starke junge Frau geworden war, auf die meine Eltern sicherlich sehr stolz waren.

Ich mochte meine Tante wirklich sehr, denn trotz der Tatsache, dass das Leben ihr die Liebe ihres Lebens so früh genommen hatte, war sie eine Kämpferin und wunderbare Mutter für meine beiden Cousins. Ich bewunderte sie für ihre Stärke und für die Positivität, mit der sie durchs Leben ging.

Ebenso große Begeisterung fand bei ihr auch, dass Lia an der Stanford irgendetwas mit IT studierte. Für sie war es ein großer Schritt in Richtung Gleichberechtigung, wenn Frauen auch in diesen klassischen Männerberufen nach und nach ankamen.

Alles in allem musste ich zugeben, dass ich meine Tante wirklich vermisst hatte. Sie hatte kein einfaches Leben als alleinerziehende Mutter und Witwe, aber genauso lehnte sie jede Hilfe konstant ab, sodass es auch nichts brachte, ihr welche anzubieten.

Innerlich hoffte ich, dass sie eines Tages wieder einen Mann finden würde und ihr Leben nach dem Auszug ihrer Kinder nicht allein verbringen musste, jedoch wusste ich ebenso gut, dass meine Tante wunderbar allein zurechtkam und keinen neuen Mann an ihrer Seite brauchte, um glücklich zu sein.

Als Lia und ich wieder im Auto saßen und gegen drei Uhr nach Hause fuhren, hatte ich um Längen bessere Laune als auf der Hinfahrt. Auch wenn ich die skeptischen Blicke meiner besten Freundin von der Seite spüren konnte, kannte sie mich gut genug, um zu wissen, dass eine mögliche Konfrontation die gute Stimmung verderben könnte und blieb daher still.

In Los Angeles herrschte das übliche Verkehrschaos, als wir auf dem Highway 101 in unsere Heimatstadt fuhren.

»Wieso gibt es nicht mal einen Tag, an dem mir das Autofahren in dieser Stadt nicht jegliche Nerven kostet?«, beschwerte sich Lia lauthals und schlug mit der Stirn gegen das Lenkrad, sodass der Wagen ein kurzes Hupen von sich gab.

»Das haben ein paar Millionen Menschen, die allesamt nach Hause wollen, so an sich«, lachte ich und fing mir dadurch ein entnervtes Stöhnen vonseiten meiner besten Freundin ein.

Kasey McMillenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt