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»Er war es nicht.« Ich drehte meinen Kopf ruckartig zu ihr.

»Wie bitte?«, sagte ich aus reinem Instinkt, obwohl ich sie ziemlich gut verstanden hatte. Ihre braunen Augen bohrten sich in meine und eine blonde Strähne ihrer Kurzhaarfrisur fiel ihr in die Stirn.

»Er war es nicht.«

Das Schweigen, welches darauf folgte, hing schwer in der Luft; drohte beinahe, mich zu erdrücken und mir die Luft zum Atmen zu nehmen. Auch wenn ich klar und deutlich verstanden hatte, was sie mir gesagt hatte, dauerte es eine ganze Weile, bis ihre Worte zu mir durchgedrungen waren.

»Er war es nicht?«, wiederholte ich ihre Aussage und sah ihr dabei fest in die Augen. So wie ich sie auf den ersten Blick hin beurteilen konnte, wirkte sie so, als hätte sie eine ziemlich harte Zeit hinter sich. Unter ihren Augen lagen tiefe Schatten, die sie krank wirken ließen und ihre Haut war derartig blass, dass die blauen Äderchen an ihren Armen hervorstachen wie eine Lichtquelle in purer Dunkelheit.

Ich verstand, warum sie so aussah. Wenn man beinahe Opfer einer Vergewaltigung geworden war und von den Medien gejagt und so an der Verarbeitung und dem Vergessen des Geschehenen gehindert wurde, dann hatte man ein gutes Recht darauf, auszusehen wie von den Toten auferstanden.

Beide Szenarien hatte ich bereits erlebt, nur mit dem Unterschied, dass meine Vergewaltigung eine Entführung gewesen und das mediale Interesse an meiner Person nicht von eben dieser Entführung, sondern von einem Leichenfunde gekommen war. Der Leichenfund, der diesen gesamten Fall ins Rolle gebracht hatte und der Grund war, warum ich heute hier, gegenüber einer verstörten Frau, saß und mir von ihr mitteilen ließ, dass die Polizei den falschen Mann festgesetzt hatte.

»Ja«, flüsterte sie und wandte ihren Blick von mir ab.

»Sie meinen Damian Sanders? Den Mann, der immer in den Nachrichten gezeigt wird?«, hakte ich in einem sanften Ton nach. Dieser Frau stand die Angst förmlich ins Gesicht geschrieben. Sie antwortete mit einem leichten Nicken und sah auf die Tischplatte vor sich. Ich blieb eine Zeit lang still und ließ mir ihre Worte durch den Kopf gehen.

Er war es nicht.‹ Also hatte ich recht gehabt und Damian Sanders' Verhaftung nicht nur voreingenommen betrachtet. Sowohl Kun als auch Cole, die beide versucht hatten, mir weiszumachen, dass ich mich lediglich weigerte, der Realität ins Auge zu sehen, hatten sich geirrt.

Ich hingegen hatte nicht klein beigegeben, war bei meiner Haltung geblieben und wurde nun dafür belohnt – insofern man die Bestätigung, dass ein Mörder und Vergewaltiger noch immer auf freiem Fuß war als Belohnung betiteln konnte.  

Ich musste definitiv mehr Informationen aus ihr herausbekommen, aber in mir wütete die Angst, dass ich vielleicht ein wenig zu tief bohren und damit Maya Sturmer dazu bringen würde, sich unwohl zu fühlen und mir nichts mehr zu erzählen.

»Sind Sie sich da ganz sicher?«, wollte ich mich noch einmal zu einhundert Prozent versichern, dass ich sie richtig verstanden hatte.

»Ja, Herrgott nochmal. Ich weiß doch, was ich gesehen habe und egal ob mich die Presse als verrückt oder nicht darstellt, ich bin nicht krank im Kopf und habe Wahnvorstellungen«, schrie sie beinahe, sodass die wenigen Gäste des Cafés neugierig in unsere Richtung sahen. Ich hatte wohl einen empfindlichen Nerv getroffen. Diese Unterhaltung würde auf jeden Fall interessant werden.

»Das habe ich auch nie behauptet. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht einmal, was die Presse über sie berichtet«, entgegnete ich wahrheitsgemäß. »Sie müssen nur wissen, dass dieser Fall mich schon eine Weile begleitet und ich somit-«

»Also sind Sie doch nur hier, um mich auszufragen«, unterstellte sie mir und formte ihre Augen zu Schlitzen, in denen ich Abscheu erkennen konnte. »Mehr wollen Sie nicht. Sagen erst, Sie würden mich verstehen, aber am Ende war das doch alles nur eine Lüge«, fuhr sie mich wütend an. »Das tue ich mir nicht weiter an, ich gehe.« Sie nahm sich ihren Trenchcoat, der auf der Bank neben ihr gelegen hatte und war im Inbegriff zu verschwinden, als ich das Wort ergriff.

Kasey McMillenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt