Dass ich jemals mehr Zeit in einem Krankenhaus verbringen würde als ich tatsächlich musste, hätte ich nicht gedacht. Jedoch hatte ich auch nicht angenommen, dass Kun eines Tages angeschossen und seit nun zwei verdammten Tagen reglos auf seinem Krankenbett liegen und uns alle in Atem halten würde.
Ich für meinen Teil hatte mein Lager auf der Couch in seinem Krankenzimmer aufgeschlagen, die meinen Rücken jede Nacht aufs Neue so malträtierte, dass ich in naher Zukunft einen Physiotherapeuten aufsuchen musste, um nicht wegen chronischen Rückenschmerzen wahnsinnig zu werden. Tagsüber verbrachte ich meine Zeit an Kuns Bett und redete mit ihm – oder wohl eher mit mir selbst -, um ihm so beizustehen und ihm zu zeigen, dass ich ihn in dieser Situation nicht allein ließ.
Was mein überfürsorgliches Verhalten betraf, könnte bei gewissen Außenstehenden wohl folgende Frage aufkommen: Kompensierte ich mit meinem aufopfernden und fürsorglichen Verhalten meine Schuldgefühle, dass sich Kun nur meinetwegen in dieser kritischen Lage befand?
Die simple Antwort, die ich darauf geben konnte, war ja: Ja, ich bekämpfte mein schlechtes Gewissen damit, dass ich stundenlang auf meinen besten Freund einredete, der mich vermutlich nicht einmal hören konnte und mich selbst mit einer Mischung aus Kaffee und ekelhaften Fertigsandwichs am Leben hielt.
Und ja, vielleicht halfen mir die Gespräche mit einem stillen Partner auch dabei, die Dinge zu verarbeiten, die geschehen waren. Ich hätte sterben sollen; zum zweiten Mal in meinem Leben hatte ich kurz davor gestanden, mein Leben auf der Erde hinter mir zu lassen und dorthin zu gehen, woher bisher niemand zurückgekommen war.
Auch wenn mich der größte Teil der Schuld traf, hatte ich doch ein gewisses Recht dazu, darüber nachzudenken, wie knapp ich dem Tod wieder einmal entkommen war. Und dabei half es mir nun einmal, dass Kun auf meine emotionalen Zusammenbrüche nichts erwiderte und ich mir einfach alle meine Sorgen und Selbstvorwürfe vom Herzen reden konnte, ohne eine Antwort oder Rückmeldung zu erwarten.
Meine Isolation von der Außenwelt und die Zweisamkeit mit meinem stummen Therapeuten Kun fanden aber am dritten Tag ein eher drastisches Ende.
Natürlich waren Jong-In und Wa-son in den vergangenen zwei Tagen auch hier gewesen, um ihren Sohn zu besuchen, jedoch hatte keiner so sehr an Kuns Seite geklebt wie ich. Zum einen, weil ich durch meinen Urlaub die Zeit dazu hatte, bei ihm zu sein und zum anderen, weil Kuns regloser Körper für mich wie eine Art Rettungsanker war, an dem ich mich festklammerte, um zu verhindern, dass ich in meinem Meer aus Gefühlen ertrank.
In dem Moment, in dem die Schiebetür mit einem energischen Ziehen zur Seite flog und die Gestalt meiner besten Freundin im Türrahmen erschien, wusste ich aber, dass es nun an der Zeit war, mich wieder der Realität – und allen zugehörigen Personen – zu stellen.
»Kasey, so geht das nicht weiter«, waren die ersten Worte, die ich seit Tagen von jemand anderem als den Krankenschwestern hörte. »Kun wird auch nicht aufwachen, wenn du 24 Stunden am Tag wie ein Wachhund an seiner Seite bist und ihm dein Herz ausschüttest.« Sie kam einen Schritt auf mich zu und legte mir eine Hand auf die Schulter.
»Aber-«
»Kein aber«, unterbrach sie mich sanft, aber bestimmt und drückte leicht meine Schulter. »Ich weiß, wie hart das für dich ist, aber wenn du nicht bald von hier verschwindest, dann fürchte ich, dass du in ein genauso tiefes Loch fällst wie vor zwei Jahren. Und dieses Mal weiß ich nicht, ob ich dich da wieder rausbekomme«, sagte sie ruhig und auch wenn sie mich angeschrien hätte, war mir bewusst, dass sie die Wahrheit sprach.
Ich stand kurz davor, abermals in meinem Loch zu versinken, aus dem mich Lia nur mit all ihrer Kraft wieder herausgeholt hatte. In diesem Sinne war ich es nicht nur ihr, sondern auch mir selbst schuldig, alles dafür zu tun, nicht wieder zu dem Wrack zu werden, welches ich damals war.
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Kasey McMillen
HumorSein Blick streifte mein Gesicht für einen Moment, bevor er sich weiter umsah. Doch dann drehte sich sein Kopf ruckartig zurück und er musterte mich von oben bis unten. Und da erkannte auch ich, wer da vor mir stand. »Cole Banks?«, kam es aus meine...