Schlafen

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PoV Erwin:

Zwei Wochen später hatte Erwin Greta zu sich ins Arbeitszimmer bestellt. Er hatte sie vorher die ganze Zeit im Auge behalten, hauptsächlich, um ihre Reaktionen besser einschätzen zu können. Sie war ein Risiko und von ihr hing Levis Kompetenz ab. Aber Erwin war nicht so dumm ihr eigenes Potenzial zu unterschätzen. Vielmehr war es Zeit sie besser einschätzen zu können um größtmöglich von ihr zu profitieren.
Greta öffnete die Tür, ohne zu klopfen. Das gefiel ihm zwar nicht, doch er war auch nicht davon ausgegangen, dass sie es ihm leicht machen würde, deshalb sah er darüber hinweg.
"Egal was es ist, ich war es nicht", sagte sie.
"Schließ bitte die Tür und setz dich", antwortete Erwin ruhig. Sie runzelte die Stirn und ließ sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch fallen.
"Das war mein Ernst, ich war es nicht", wiederholte Greta.
"Du bist nicht hier, weil du etwas falsch gemacht hast", antwortete Erwin. Sie lehnte sich im Stuhl zurück.
"So?"
Erwin gab sich Mühe, sich zusammenzureißen. Er ging davon aus, dass ihre Respektlosigkeit eine Art Abwehrverhalten war, was später nachlassen würde. Schließlich konnte Lèvi sich normal mit ihr unterhalten und er hasste jede Form von Regelabweichung.
"Wir haben Hinweise auf die Kinder bekommen, nach denen du suchst ", sagte er und ordnete seine Papiere.
"So?", erwiderte sie, wobei ihre Miene völlig unverändert blieb. Sie schluckte den Köder nicht.
"Zuerst aber brauche ich genauere Informationen über die Organisation, in der du gewesen bist", fügte Erwin hinzu und nahm sich einen Füller vom Tisch und sah sie erwartungsvoll an. Greta jedoch verschränkte nur die Arme vor der Brust.
"Schwarze Garde, Jesper ist Anführer, ich nicht mehr", ratterte sie herunter. Erwin seufzte.
"So weit waren wir schon", erwiderte er. Greta hob unbeeindruckt eine Augenbraue.
"Es gibt nicht mehr", antwortete sie.
"Wie alt ist Jesper?", begann Erwin von Vorne. Wie bei einem Kleinkind.
"28", antwortete sie knapp.
"Hat er Familie?"
"Die Garde"
"Irgendwelche Vorlieben?"
"Macht?", erwiderte sie. Erwin seufzte und lehnte sich in seinem Sessel zurück, betrachtete sie eingehend.
"Hör zu Greta", sagte er, "Wir tun alles in unserer Macht stehende, um dir zu helfen, aber du musst uns entgegenkommen" Greta stand vom Sessel auf und Schritt ans Fenster. Erwin ließ sie gewähren.
"Jesper hat eine Vorliebe für Glücksspiel. Früher musste Matthias oft Jespers Schulden bei irgendwelche Kasinos zahlen. Dann hat er ihm gedroht, ihn rauszuschmeißen, wenn das nicht aufhört.", sagte sie und strich mit den Fingern über den Holzrahmen des Fensters, "Aber er ist ein Spieler. Auch was er gerade versucht... er setzt auf sein Glück. Es geht ihm nicht darum, König zu sein. Es geht darum, wie er es bekommt. Um das Spiel" Erwin notierte die Kernaussagen auf seinem Papier.
"Du bezeichnest ihn mehrmals als Idioten. Das ist ein ziemlich ausgefeilter Plan für einen Idioten." Greta holte tief Luft.
"Er war mir nie gewachsen", antwortete sie, "Ich habe ihn als kleines Kind schon geschlagen, egal worum es ging. Jesper ist gut, keine Frage, aber es mangelt bei ihm immer an dem letzten Rest Strategie oder Kraft. Das macht er mit Boshaftigkeit wett"
"Also ist er ein Idiot, weil er nicht mit dir mithalten kann?", fasste Erwin zusammen und sah sie fragen an. Greta lachte leise.
"Nein", sagte sie, "Er ist ein Idiot, weil er die Hälfte der Garde auspeitschen lässt, wegen Kleinigkeiten. Er ist ein Idiot, weil er unseren Mentor getötet hat. Und weil er bis heute davon ausgeht, dass ich wirklich scharf auf Matthias Platz gewesen wäre" Erwin tippte sanft mit der Spitze seines Stiftes auf das Papier.
"Warst du nicht?", fragte er beiläufig.
Greta lachte wieder leise und lehnte sich mit der Schulter an den Fensterrahmen.
"Was hat das mit der Garde zu tun?"
"Reines Interesse", antwortete Erwin. Greta nickte, doch der Blick, den sie ihm zuwarf sagte, dass sie sein Spiel durchschaut hatte.
"Ich hatte vor, mir genügend Geld anzuhäufen und dann mit den Kindern zu verschwinden", erklärte sie.
"Und dieser Matthias?", versuchte Erwin das Gespräch wieder auf Kurs zu bringen.
"Er war unser Mentor", sagte sie. Erwin versuchte, nicht allzu ungeduldig auszusehen. Sie hatte sein Spiel durchschaut und drehte nun den Spieß um. Vielleicht war es an der Zeit für eine neue Strategie.
"Ich habe Berichte über eine junge Frau gelesen", sagte er. Greta wartete.
"Die Frau war Prostituierte und hat einen Mann ermordet", führte er weiter aus.
"Schön und gut", antwortete Greta, "Was hat das mit mir zu tun?"
Erwins Mundwinkel zuckten.
"Du bist als kleines Mädchen von deinem Vater und seinem besten Freund jahrelang missbraucht und misshandelt worden", startete Erwin das Gedankenexperiment, "Mit dreizehn Jahren verkaufen deine Eltern dich, du bist unbrauchbar geworden. Du landest bei einem Mann, der dich in die Prostitution zwingt" Gretas Gesicht blieb ausdruckslos.
"Das ist bedauerlich, aber keine Seltenheit", antwortete sie.
"Mit vierzehn dann triffst du auf einen Mann, der dir verspricht, das du dich rächen kannst", fügte er hinzu.
"War er einer meiner Freier?", fragte Greta. Sie hatte den Köder geschluckt.
"Ja, aber er wird nicht mit dir geschlafen haben", sagte Erwin.
Greta runzelte die Stirn.
"Wenn er nicht mit mir geschlafen hat, dann kann ich ihm nicht vertraut haben", korrigierte sie Erwin, "Liebe, Vertrauen, das habe ich ja nie kennengelernt, ich kenne nur die eine Art von Bindung oder Bündnissen" Erwin legte die Fingerspitzen aneinander.
"Gut", lobte er, "Zusammen zünden wir dann das Haus deiner Eltern an. Beide sterben bei dem Vorfall"
"Klingt einleuchtend", antwortete sie.
"Jahrelang komme ich dich besuchen, bringe ich dich dazu, deinen Besitzer zu hintergehen und sein Geld zu stehlen. Zusammen fliehen wir, du wohnst seitdem bei mir. Ich habe dir versprochen, dich zu befreien..."
"...doch in Wahrheit benutzt du mich weiter, als dein persönlicher Besitz", vervollständigte Greta den Satz.
"Du bist inzwischen zwei und zwanzig", sagte Erwin.
"Und damit zu alt für dich", schlussfolgerte Greta, "Du schläfst nicht mehr mit mir, benutzt mich aber weiterhin für deine illegalen Machenschaften."
"Ein Jahr später zündet du mich im Schlaf an. Ich sterbe, während ich schreckliche Schmerzen leide", sagte Erwin, "Sollte man dich hinrichten, weil du drei Menschen umgebracht hast?"
"Du hast die Schmerzen, die du erlitten hast verdient", erwiderte Greta, "Mehr noch. Der Tod war mehr als gnädig von mir."
"Das war nicht meine Frage", meinte Erwin sachlich.
"Ich weiß", antwortete sie, "Aber das war meine Antwort. Letzenendes bist du selbst an deinem Tod Schuld. Du hast mich jahrelang missbraucht, anstatt mich zu beschützen. Ich habe Liebe als Gewalt gelernt und du hast es genossen, Macht über mich zu haben. Und als du mich nicht mehr wolltest, habe ich getan, was ich von dir gelernt habe; ich habe meine Bezugsperson mit Feuer getötet, als Rache." Erwin strich über seine Papiere.
"Das heißt, wir sollten dich freisprechen.", fasste Erwin zusammen.
"Macht mit ihr, was ihr wollt", antwortete Greta, "Ihr könnt sie freisprechen und sie wird früher oder später wieder töten. Ihr könnt sie umbringen und sie somit für die Taten des Mannes bestrafen, der sie zu dem Monster gemacht hat, das sie nun ist" Erwin tippte ungeduldig mit seinem Füller auf das Papier.
"Also sollten wir sie hinrichten?", fragte Erwin.
"Das ist nicht, was ich gesagt habe", sagte sie.
"Nein?", fragte Erwin. Greta lächelte boshaft.
"Es obliegt nicht meiner Verantwortung, solche Entscheidungen zu treffen. Dafür bist du zuständig" Wisch sie seiner Falle aus. Aber Erwin gab nicht auf.
"Das heißt, du würdest sie Köpfen, wenn ich es entscheide?" Greta zuckte die Achseln.
"Das ist doch meine Aufgabe, als loyales Mitglied des Aufklärungstrupps"
Erwin schmunzelte, was ihm ein Zucken ihrer Mundwinkel einbrachte. Sie hatte das Spiel gewonnen, ohne wirklich Partei zu ergreifen.
"Das ist gut zu wissen", sagte Erwin, "Das war es schon. Du kannst gehen" Greta nahm sich einen Augenblick Zeit, bevor sie sich vom Fenster ausstieß und langsam zur Tür schlenderte.
Greta hatte gezeigt, dass sie Zwischen den Zeilen lesen konnte. Aber auch, dass sie immer tun würde, was sie selbst für richtig erachtete.

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