Eisenketten

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Greta erwachte mit einem pochenden Körper. Stöhnend rollte sie sich auf die andere Seite und öffnete blinzend die Augen. Ihr ganzer Körper pulsierte vor Schmerzen, aber Schmerz bedeutete, dass sie noch am Leben war und dafür war sie dankbar.
Nicht dankbar war sie allerdings den schweren Ketten, die sie um ihre Handgelenke spürte. Sie lag in einem hellen Zimmer mit weißen Wänden und bloßen Holzdielen, die den Boden bedeckten. Zuerst dachte Greta, sie wäre wieder in dem Zimmer, in dem sie bereits erwacht war, doch das Gitter vor dem Fenster war noch intakt, also war sie woanders. Und sie war nicht allein.
Captain Levi saß auf einem Stuhl und beobachtete sie mit vor der Brust verschränkten Armen. Unauffällig warf Greta einen Blick auf ihren Körper und stellte fest, dass sie in ein neues einfaches Leinennachthemd gehüllt war. Sie kämpfte gegen die Röte an, die sich über ihrem Gesicht ausbreiten wollte und spürte gleichzeitig Wut in sich aufbrodeln.
Wie konnte er es wagen, sie zu beobachten, während sie im Bett lag?!
Bilder blitzten vor ihrem Auge auf. Greta erinnerte sich, wie er sie getragen hatte, wie seine Arme sich um ihren blutenden Körper geschlungen hatten und er die seltsame Frau namens Hangi angebrüllt hatte, sie solle ihr helfen. Und Greta sah den Stahl seiner Klinge aufblitzen, als sie sich in Davids Körper gebohrt hatte.
Sie schluckte.
Dann setzte sie sich auf. Ihr Bein pochte schmerzhaft, wehrte sich gegen ihre Bewegung.
"Ich bin wieder im Hauptquatier?", fragte sie mit kratziger Stimme. Der Mann verzog keine Miene. Sie deutete das als ein Ja.
Die Kette um ihre Handgelenke rasselte, als sie ihre Hand auf ihr Bein presste.
"Willst du mich losmachen, oder soll ich die Kette kaputtmachen?!", presste Greta zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
"Was ist das überhaupt für eine unhöfliche Art?! Habt ihr mal davon gehört, dass man Menschen auch einfach fragen kann und sie nicht ständig an irgendwelche Betten Ketten muss?! Das ist ja grotesk!"
Levi stand auf und kam auf sie zu. Unwillkürlich wich Greta zurück, wodurch ihr Arm schmerzhaft gedreht wurde.
Er streckte die Hände aus und drückte sie an der Stirn zurück ins Kissen.
"Bleib liegen, Göre!", knurrte er, "Wir haben dich nicht zusammengeflickt, damit du dich jetzt bewegst und deine Wunden wieder aufreißen!" Greta versuchte seine Hand von ihrer Stirn zu schlagen, doch ihr Arm ließ sich nicht heben, und fiel kraftlos wieder auf die Matratze zurück.
"Die Ketten scheuern meine Handgelenke auf!", beschwerte sie sich und wieß auf die aufgerissene Haut an ihren Händen.
"Ich kann kaum sitzen, wie will ich da abhauen?" Levi warf einen kurzen Blick auf Gretas Handgelenke.
"Es ist nicht meine Entscheidung, ob du angekettet bist oder nicht.", erwiderte er kalt.
"Aber du hast einen Schlüssel, oder?", fragte sie. Levi antwortete nicht. Sie wertete das als Zustimmung.
"Bleib liegen", wiederholte er nochmal, dann ließ er ihre Stirn los. Greta funkelte ihn an, als er unbeeindruckt von oben auf sie herabblickte. Er drehte sich um und ging aus der Tür. Seufzend starrte sie auf die Zimmerdecke.
Es dauerte eine Weile, bis die Tür erneut aufging. Sie stöhnte entnervt, als Levi den Raum betrat.
"Musst du nicht hinter irgendwelchen Titanen her fliegen?! Hast du nichts besseres zu tun, als eine Arme verletzte angeketteten Frau zu beobachten?!" Er schnalzte missbilligend mit der Zunge.
"Morgen sprichst du mit Erwin. Heute musst du noch mit Ketten schlafen", antwortete er ohne jede Regung. Greta verschränkte die Arme vor der Brust und starrte demonstrativ die Decke an. Levi setzte sich wieder auf seinen Stuhl und beobachtete sie mit verschränkten Armen.
Nach einer Weile schlief Greta tatsächlich ein, bis sie mitten in der Nacht plötzlich von einem stechenden Schmerz geweckt wurde. Sie schreckte aus ihrem Traum hoch, ein schmerzerfüllter Laut entwich ihrer Kehle. Warmes Blut rann ihre Arme hinab und färbte die Bettdecke rot. Sie atmete stoßweise ein, während sie versuchte, die Ketten irgendwie von ihren Handgelenken zu bekommen. Panik erfüllte sie und sie riss an ihren Handschellen, wollte nur das schmerzende Metall von ihrem Körper haben.
Dann waren da plötzlich Hände, die sie festhielten. Im fahlen Kerzenschein erkannte Greta Levi's ausdrucksloses Gesicht, als er die Handschellen aufschloss, ein Tuch in de  Händen, mit dem er das Blut von ihren Fingern und Armen wischte. Und dann die kalte Luft an ihren Beinen, als er die blutige Bettdecke wegzog und ihr eine neue gab. Er wechselte kein Wort mit ihr, tat all dies mit einer Selbstverständlichkeit, die Greta die Stirn runzeln ließ.
Schließlich räumte er die dreckige Bettwäche in einen Korb und wusch sich die Hände. Greta sah ihn perplex an. Er drehte sich um, ihre Augen trafen sich.
"Guck nicht so dumm", sagte er, bevor er den Stuhl an ihr Bett zog und sich hinein setzte. Greta schnaubte verärgert, drehte ihm den Rücken zu und zog die Decke über ihren Kopf.

PoV Levi:

Levi saß mit verschränkten Armen im Stuhl und beobachtete sie. Sie schlief schon, was er an ihrem leisen Atem erkannte.
Ihre Hand war auf die Matratze gerutscht und offenbarte die gerötete aufgerissene Haut an ihren Handgelenken. Ihm wurde übel. Er wusste selbst nicht, wieso ihn das so aggressiv machte. Der Schlüssel lag schwer in seinem Schoß.
Kurz nachdem die Sonne aufgegangen war, öffnete sich die Tür und Erwin kam herein. Er hob kurz eine Augenbraue, sein Blick fiel auf den Schlüssel in Levi's Händen und Gretas Wunde Handgelenke. Er setzte sich wortlos hinter den Schreibtisch.
"Dreh dich um, Göre!", knurrte Levi. Greta drehte sich um und setzte sich mit gequältem Gesicht im Bett auf. Ihm fiel auf, dass sie die Decke fast beschützend vor sich hielt und schnalzte mit der Zunge.
"Wenn das die reguläre Art ist, neue Rekruten aufzunehmen, wundert es mich nicht, dass ihr die Titanen noch nicht besiegt habt!", sagte sie und funkelte erst Erwin und dann Levi an. Er schnalzte wütend mit der Zunge.
Wie konnte sie es wagen?!
Erwin jedoch zeigte sich unbeeindruckt.
"Greta, richtig?", sagte er, "So heißt du doch"
"Für euch immer noch Fräulein Ducane!", sagte sie.
"Wie dem auch sei.", erwiderte Erwin, "Ich bin Kommandant Erwin. Das ist Captain Levi. Du bist hier im Aufklärungstrupp." Greta zuckte mit keinem Muskel.
"Ich weiß, wo ich bin. Und ich weiß, was ihr von mir wollt, auch wenn mir unsere Begegnungen im Bett immer wieder eine Freude sind!", sie verzog spöttisch die Lippen. Levi funkelte sie an. Erwin hob eine Augenbraue.
"Erleuchte uns, Fräulein Ducane.", forderte er sie auf.
"Ihr wollt, dass ich zum Aufklärungstrupp komme.", sagte sie knapp. Erwin erwiderte nichts.
"Es ist keine leichte Entscheidung.", sagte Erwin. Greta schnaubte.
"Im Gegenteil. Die Entscheidung ist sogar ziemlich einfach!
Wo wart ihr vor fünf Jahren, als die Titanen Angriffen und die Hälfte der Bevölkerung hinter die Mauern musste?
Wo wart ihr, als die Kinder auf den Straßen weinten, weil sie nichts zu essen hatten?
Also ja, die Antwort ist leicht;
Ich will nicht zum Aufklärungstrupp.
Aber ich will meine Schwester und die Kinder finden und ich bezweifele, dass ihr mich einfach so gehen lasst.
Und die Kinder stehen über allem. Sogar über meinem Hass" Sie reckte das Kinn in die Höhe, und fokussierte Erwin.
"Wenn ihr mir also versprecht, die Kinder zu befreien, dann werde ich euch beitreten." Erwin und Greta starrten einander eisern an.
"Und", fügte sie hinzu, "Ich will nie wieder an ein Bett gekettet werden!" Erwins Mundwinkel zuckten, was ein erneutes Zungeschnalzen seitens Levi zur Folge hatte.
"Einverstanden", sagte Erwin.
"Aber du, Fräulein Ducane, wirst dafür an Levi's Seite kämpfen und jeden seiner Befehle befolgen." Greta zuckte die Achseln.
"Es ist mir herzlich egal, unter wessen Komando ich stehe. Aufklärungstrupp bleibt Aufklärungstrupp!" Erwin erhob sich von seinem Stuhl.
"Dann ist ja alles geklärt", er warf ihr einen intensiven Blick zu, den sie mit einem unbeeindruckten Schnauben quittierte.
Erwin verschränkte die Hände hinter dem Rücken und öffnete die Tür.
"Levi", rief er über seine Schulter hinweg.
Levi stand auf und folgte Erwin, nicht ohne ihr noch einen letzten finsteren Blick zuzuwerfen.
Erwin wartete im Flur, bis Levi die Tür geschlossen hatte.
"Kannst du sie bändigen?" Fragte Erwin.
"Sie ist nur eine Göre, wie alle anderen auch", erwiderte Levi.
"Nein", antwortete Erwin, "Sie ist stark und eigensinnig. Ich bin mir nicht sicher, ob sie als Soldat in taugt."
Beide schwiegen eine Weile.
"Sie hat Potenzial", sagte Erwin schließlich, "Die Frage ist nur, ob sie es für uns oder für sich nutzen wird" Levi schwieg.
"Ich war überrascht, als ich hörte, dass du sie bewachst", bemerkte Erwin.
"Sie hat das Fenster kaputt gemacht und einen Saustall hinterlassen.", antwortete Levi.
"Ich war auch überrascht, als du mit ihr aus dem Flammenmeer kamst.", fügte Erwin hinzu. Levi schnalzte mit der Zunge.
"Sie hat die Brücke gerettet. Es wäre Verschwendung gewesen, sie liegen zu lassen."
Erwin Strich sich über sein glatt rasierte Kinn und musterte Levi eingehend.
"Verschwendung", wiederholte er. Dann nickte er Levi zu und ging den Gang entlang. Levi betrat erneut das Zimmer. Greta hatte sich aus ihrem Bett gehievt und stützte sich an der Wand ab.
"Versuchst du zu fliehen?", fragte Levi. Sie schnaubte und presste ihre Hand gegen ihren Oberschenkel. Levi entging nicht der weiße Leinenstoff ihres Nachthemdes, der um ihre Knie und nackte  Beine schwang.
"Ich suche meine Messer", presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
"Du brauchst gerade keine Messer", antwortete Levi.
"Sie gehören mir!", zischte sie, "Es geht nicht darum, ob ich sie brauche oder nicht!" Dann knickte sie um und fiel der Länge nach auf den Boden. Levi trat zu ihr und sah von oben auf sie herab, bevor er mit der Zunge schnalzte und sie unter den Achsel packte. Er schleifte sie zurück in ihr Bett, verließ den Raum, nur um mit einem großen Kübel mit Wasser zurück zu kommen und ihn vor ihrem Bett abzustellen. Levi reichte ihr ein zerknüllte Bündel Stoff.
"Was soll ich damit?", fragte sie.
"Das ist mein Hemd", antwortete Levi, "Du hast es vollgeblutet. Jetzt wirst du es waschen"

Love and InstinctWo Geschichten leben. Entdecke jetzt