Tod

197 14 0
                                    

Ich stand inmitten einer zerklüfteten Landschaft, die Steine unter meinen nackten Fußsohlen waren kantig und von der Sonne erwärmt. Warmer Wind fuhr durch mein Haar, durch das dünne weiße Kleid, das ich trug und streichelte meine Haut.
Bis zum Horizobt erkannte ich nichts außer der zerklüfteten Steinlandschaft.
Trotzdem lief ich los.
Ich hätte Sekunden, Tage oder nur einen Wimpernschlag schon laufen können, ich hatte kein Ziel, außer der Bewegung an sich.
Doch dann erstreckte sich plötzlich ein riesiger Riss in der Erde, teilte dass Land. Ich verengte die Augen. Die andere Kante näherte sich mir plötzlich an und ich erschrak, als ich zwei Personen an der Kante stehen sah.
Eine Frau mit hellbraunem Haar und grünen Augen und ein Mann mit blondem lockigen Flaum. Fältschen um seine Augen zeugten von vielen glücklichen Jahren. Ich blinzelte gegen die Tränen, die sich in meinem Augen sammelten.
"Mutter?", fragte ich, meine Stimme kaum ein Wipern, doch die Frau lächelte.
"Vater?" Der Mann fasste die Hand der Frau fester. Über die Tränen in meinen Augen, spürte ich, wie ich den Blick abwandte. Ich schämte mich für meinen zerschrammten und zerschundenen Körper, schämte mich für das Blut an meinen Händen, die Kälte in meinen Augen.
"Schau uns an", die sanfte Stimme der Frau, der Klang hatte lange tief verborgenen meinem Herzen gelegen, unter harten Schichten aus verkrusteten Blut und rasiermesserscharfem Metall. Beide lächelten mich an und ich verstand, dass sie all das schon gesehen hatten und mich trotzdem liebten.
"Ich", sagte ich leise, "Ich komme zu euch"
Doch genau in dem Augenblick, in dem ich springen wollte, trat ein blondes Kind zu dem Mann und tastete nach seiner Hand. Der Mann bückte sich und hob es hoch und es schmiegte seine Wange an die Brust des Mannes.
Ich dachte schon, das Kind erkannt zu haben, als es mir das Gesicht zudrehen und mir aus grauen Augen glücklich zuwinkte.
Ich zögerte. Die drei wirkten nicht erbost oder verstimmt, sondern lächelten nur gütig. Die Frau trat näher zu dem Mann und fuhr dem Kind durch die Haare.
Ich wollte springen, wollte zu ihnen hinüber, doch etwas hielt mich ab.
Ich warf einen Blick über meine Schulter.
Da stand jemand, in eine weiße Hose und ein weißes  Hemd gekleidet, der Wind spielte mit den Strähnen seines rabenschwarzen Haares.
Er lächelte nicht. Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung, als er mir die Hand entgegen streckte.
Ich sah zurück zu den dreien. Das Kind war verschwunden, die Frau legte den Kopf auf die Schulter des Mannes und formte mit den Lippen ein einziges Wort; "Geh"
Erst da nahm ich wahr, wie über dem stetigen Wehen des Windes ein gleichmäßiges Kopfen zu hören war. Gleichzeitig war der Abgrund mir plötzlich wieder so entfernt, dass die beiden nur noch Daumengroße Figuren am Horizont waren.
Ich wusste, dass ich nicht mehr zu ihnen konnte, hatte es bereits in dem Augenblick gewusst, als ich gezögert hatte. Genauso, wie ich spürte, das es in Ordnung war.
Ich drehte mich zu ihm um und machte einen Schritt auf ihn zu. Dann noch einen. Immer schneller, bis ich mich in seine Arme warf.
Er umfing mich, hielt mich fest, drückte mich an sich. Ich schloss die Augen und legte meine Wange an seine Schulter.
Da war ein ziehen in meiner Brust, dass mich immer näher zu ihm ziehen wollte, wie ein Band.
Ich folgte dem Faden zurück ins Licht.

PoV Levi:

Levi war auf die Knie gesunken, den Blick starr auf sie gerichtet, selbst nachdem die Menge verschwunden war und das Licht gedimmt wurde. Hangi ließ ihn endlich los.
Sie hatte ihn gepackt, als er sich gegen sie Gitter geschmissen hatte, wieder und wieder, in der Hoffnung, die verdammten Stäbe zu zertrümmern. Er sank nach vorne, stützte die Hände auf dem Boden ab.
Sie hing dort, einzig die Ketten an ihren Handgelenken hielten sie oben, der restliche Körper war schlaff nach unten gesackt. Sie konnte schon tot sein, oder nur bewusstlos. Blitzschnell tränkte den Sandboden dunkelrot.
Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung war. Carla war aufgestanden und zückte aus ihrer Tasche einen Schlüssel, den sie mit zitternden Händen ins Schloss steckte.
"Du hattest einen Schlüssel?", fragte Hangi.
"Sie hat ihn mir gegeben", antwortete Carla leise und schob die Tür auf.
"Und du hast den Schlüssel nicht benutzt, um die verdammte Tür aufzuschließen, und ihr zu helfen?!", grollte Levi. Catla zuckte zusammen.
"Sie hat es mir verboten", sagte sie.
"Sie hat sich für dich auspeitschen lassen, du undankbares Miststück!", knurrte Levi.
"Levi", ermahnte Erwin ihn, "Halt dich zurück" Carla trat an ihren Käfig.
"Ihr habt ein Zahlenschloss", sagte sie, "Und ich kenne die Kombination nicht. Ich kann..."
"3752", unterbrach Armin sie.
"37, 52 Minuten", sagte Hangi atemlos. Levi konnte es nicht fassen. Sie hatte ihnen den Code genannt, ohne, dass sie es bemerkt hatten, außer...
Er stürmte auf Armin zu und schmetterte ihn auf den Boden, die Hand an seiner Kehle.
"Du hast es gewusst!", brüllte er.
"Levi!", rief Hangi und wollte ihn von hinten packen, er stieß sie weg.
"Du hast sie sterben lassen!"
"Sie wollte es so", rief Armin und Tränen rannen über seine Schläfen in den Sandboden. Er würgte.
"Sie sagte, ich sollte auf sie warten", presste er hervor. Hangi und Erwin rissen Levi von ihm weg und schafften es, seine Arme zu fixieren, sodass er nicht mehr auf Armin losgehen konnte.
"Ich öffne das Tor erst, wenn er sich beruhigt hat", erklärte Carla zitternd.
Erwin schaffte es trotz seines fehlenden Arms, dass Levi ihm genau in die grauen Augen gucken musste.
"Sie hin!", wieß er ihn an und deutete mit seinem Kinn auf Gretas schwachen Körper.
"Du hilfst niemandem, wenn du uns alle umbringst! Die sind der Feind, Levi, nicht wir! Vergiss das nicht!"
Levi wehrte sich noch für einen Moment, dann sackte er in sich zusammen. Armin würgte und holte keuschend Luft.
"Du kannst die Tür aufschließen", sagte Erwin zu Carla. Sie drehte das Zahlenschloss und Levi war schon aus der Tür gesprintet, bevor sie überhaupt aufgeschwungen war, rutschte die letzten Meter bis zu ihr und hob ihr Kinn an.
Sie atmete. Noch.
"Den Schlüssel!", knurrte Levi.
"Er passt nicht", eine Stimme von Oben. Levi funkelte Tobias an.
"Du elender Bastard!"
"Weißt du, was du und ich gemeinsam haben?", fragte Tobias von den oberen Reihen.
"Wir glauben an das wofür wir kämpfen. Ich glaube an die Garde." Er machte eine Pause.
"Trotzdem bin ich sehr verpeilt. So könnte es sein, dass ich den Schlüssel für die Ketten, den Jesper mir gegeben hat, aus Versehen in die Srena fallen lassen hab." Er warf Levi den Schlüssel zu. Er hielt sich nicht mit Dankesworten auf, sondern steckte den Schlüssel in das Schloss. Sie fiel nach vorne, sobald die eine Schelle los war.
Er fing sie auf und drückte sie vorsichtig an sich, während er die zweite Kette aufschloss.
"Was machen wir jetzt?", fragte Armin.
"Ich bringe sie hier raus!", presste Levi zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Dann hob er sie so sanft, wie es ging hoch und rannte los.
"Die Treppe nach Oben", rief Carla und schloss sich Levi an. Die anderen rannten hinter ihm her.
"Durch den Vorhang!", keuschte Carla von hinten. Levi hatte sie längst überholt und sprintete durch einen versifften Gobelin.
Kerzen und Glühbirnenlicht empfing Levi, und er beachtete durch ein Kasino, in dem wohl ein Kleinkind ohne Geschmack und Gefühl für Einruchtung gewütet hatte, mit rotem Stoff und goldenem Glitter.
Gäste und Kartenzähler schrien, doch Levi beachtete sie nicht, sondern sprintete durch die Hohen Türen.
Sobald er draußen war, schwang er sich mit seinen 3DMA in die Luft.
Er hatte den Gardisten kein Haar gekrümmt.
Aber er würde wiederkommen und dann würde jeder in diesem Haus leiden müssen. Und Jesper würde er sich ganz zum Schluss aufheben.
Warmes Blut sickerte durch sein Hemd und erlöste Levi aus seinen Rachegedanken. Er musste sich konzentrieren, musste schnell einen sicheren sauberen Prt finden, oder sie würde verbluten.
"Bleib wach", knurrte er und schüttelte sie leicht, "Wenn du stirbst, dann bringe ich dich um" er entdeckte eine Herberge und landete auf der Straße, trat die Tür auf und marschierte zum Tresen.
"Ein Zimmer, saubere Tücher und heißes Wasser!", befahl er. Der betagte Mann riss die Augen auf.
"Du bist Levi... vom"
"Sofort!", unterbrach er ihn. Der Blick des Mannes huschte zu der sterbenden Frau in seinen Armen und er öffnete begreifend den Mund.
"Natürlich", murmelte er und hielt Levi einen Schlüssel hin, "Zimmer 9, ich...", mehr hörte Levi nicht, denn er hatte den Schlüssel gepackt und war zu dem Zimmer gestürmt.
Er legte sie auf den Bauch auf die Matratze und entfernte die sichtbaren Reste des Stoffes ihrer Bluse von ihrem Rücken.
Ein Klopfen und zwei Mägde brachten eine Schüssel mit heißem Wasser, Alkohol, einen Stapel Tücher und einen Verbandskasten.
Levi nahm die Tücher und tauchte sie in das saubere Wasser, um das Blut abzutupfen.
Als er fertig war, hatte die eine Magd bereits einen neuen Stapel geholt. Ohne ein Wort verschwand sie und er drehte den Verschluss der Flasche ab, um ihr den Alkohol über die Wunden zu gießen.
Wäre sie bei Bewusstsein gewesen, hätte sie es jetzt spätestens verloren.
Mit zitternden Händen tadelte er den Faden in die Nadel und brauchte tatsächlich mehrere Anläufe, bis es funktionierte. Dann begann er ihren Rücken zu nähen.
Oder zumindest das bisschen Haut, das davon übrig war. Ihr Rücken war mehr Fleisch und Blut, als noch zu retten. Außerdem überforderte die Arbeit ihn, seine Stiche waren grob und ungleichmäßig.
Irgendwann legte jemand ihm eine Hand auf die Schulter. Er sah hoch und Hangi schob ihn beiseite, um die Nadel zu übernehmen.
Erwin stand in der Tür und beobachtete sie mit grimmiger Miene. Hinter ihm Armin und Carla.
"Geh die Übrigen suchen", wieß er Armin an, dieser warf Greta noch einen entschuldigenden Blick zu, bevor er verschwand.
"Die Nacht wird zeigen, ob sie es schafft", sagte Hangi und setzte den letzten Stich. Hangi berührte ihn an der Schulter.
"Geh schlafen", murmelte sie. Er schüttelte ihre Hand ab.
"Ich bleibe", erwiderte er rau. Hangi und Erwin wechselten einen Blick, dann nickten sie. Zusammen mit Carla schlossen sie den Raum und ließen Levi mit Greta allein.
Er setzte sich in den Sessel, verschränkte die Arme vor der Brust und wartete.
Eine Stunde verging.
Dann zwei Stunden. Er hatte stetig ihren Puls geprüft, bereits zwanzigmal, ob ihre Atemwege noch frei waren und sich siebenmal vergewissert, dass ihre Augen tatsächlich geschlossen waren. Kein Lebenszeichen. Er hasste sie dafür mehr als alles andere.
"Das ist so typisch für dich", fing er an, "Du wolltest wieder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen!" Levi trat an das Bett und funkelte sie an.
"Du bist so selbstsüchtig!", knurrte er und fühlte wie beiläufig ihren Puls,
"Lässt dich einfach zu Tode prügeln! Glaubst du, das hat irgendwem was genützt!?"Er starrte wütend auf sie nieder.
"Glaubst du, jetzt bist du eine Heldin, weil du dich selbst geopfert hast?!
Nein!
Du bist einfach nur wahnsinnig dumm und egoistisch, und ich schwöre dir, wenn du nicht sofort die Augen aufmachst, dann Prügel ich dich aus der Hölle zurück in deinen Körper!" Keine Reaktion. Er knurrte und donnerte seine Faust mit aller Macht auf die Matratze, direkt neben ihrem Gesicht.
"Ich habe gesagt, du sollst aufwachen", wiederholte er, doch die Worte klangen hohl und gebrochen. Er sank auf die Knie.
Wenn sie nicht aufwachte...
Er starrte auf die saubere Matratze.
"Hör auf", krächzte eine Stimme und sein Kopf rückte nach oben, um zu sehen, wie sich ihre Lippen teilten, "Mich anzuschreien"

Love and InstinctWo Geschichten leben. Entdecke jetzt