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Henry POV

„Okay vorne dann links und dann geht's erstmal nen gutes Stück gerade aus."

Ich lenkte meinen Blick wieder zurück auf die Straße und versuchte den Vollfosten neben mir geflissentlich zu ignorieren. Doch das war nicht gerade leicht. Besonders da der Typ wie am laufenden Band quasselte.

Ich fuhr mir durch die Haare und versuchte meine wirklich todesmutige Entscheidung zu überdenken. War es tatsächlich eine kluge Entscheidung zu Alex ihrer Familie zu fahren? Würden sie mich überhaupt nach all den Jahren noch erkennen? Sicherlich, immerhin hatte ich ihnen direkt gegenüber gesessen.

Passten die Gesichter meiner Erinnerungen überhaupt noch zu den Personen, welche ich nun nach so vielen Jahren erneut gegenüberstehen würde?

Ich meinte mich an Alex Vater erinnern zu können. Ein hagerer Mann, mit einem gutmütigen Blick. Ich erinnerte mich an die schäbige Arbeiterhose, welche er damals im Richtsaal getragen hatte. Damals hatte ich darüber geschmunzelt, vermutlich weil ich dachte, er täte dies, um den Anwesenden einen Streich zu spielen.

Jetzt empfand ich tiefen Respekt für diesen Mann. Immerhin hatte er eine ganze Familie hinter sich stehen, für welche er vermutlich mehr arbeiten musste, als man einem einzelnen Mann zumuten konnte. Vermutlich hatte er nicht mal eine bessere Hose besessen gehabt, wer weiß.

Wie viele Federn dieser Mensch durch mich nur gelassen haben musste?

Würde er zumindest mich wiedererkennen? Und falls nicht, würde ich den Mut haben, ihm zu erzählen wer ich war? Ich musste, da hatte ich wohl keine Wahl. Nochmal würde ich den selben Fehler nicht begehen.

„Okay und jetzt die Hauptstraße verlassen und hier links einfahren."

Der Typ toppte sogar mein Navi. Seine Anweisungen glichen sogar denen der monotonen Frauenstimme, welche mir normalerweise den Weg beschrieb. Mittlerweile hatte er mir erzählt wer er war und ich konnte nicht umhin ihn zu beneiden.

„Ich kenne Alex schon seit der Grundschule. Unsere Familien sind zwar unterschiedlich bis zum geht nicht mehr, aber wir beide hatten uns vom ersten Moment an verstanden, verstehst du?"

Wir Beide... Die Worte hatten sich in meinen Kopf eingebrannt. Wieso hatte er das Privileg, sie schon so lange kennen zu dürfen? E Und egal was der junge Mann mir auch von einer jahrelangen Freundschaft und tiefen Vertrauen erzählte: Für mich war klar, dass er Gefühle für Alex hatte.

Und das schmeckte mir kein bisschen.

Mika Schwarzfischer. Er war schneller mit der Sprache rausgerückt, als ich erwartet hatte. Ich meinte seinen Vater zu kennen. Irgendeine Größe im Steuergewerbe, aber das war mir in diesem Moment scheiß egal.

Aber zumindest sein Verhältnis zu Alex erklärte seinen Ausbruch vor gut einer halben Stunde auf dem Parkplatz. Ihm lag wirklich etwas an mir und auch wenn ich bereits jetzt Konkurrenz in ihm witterte, war ich froh darüber, dass er mich über Alex Verschwinden aufgeklärt hatte.

Mit ausdrucksloser Mine hob ich erneut meine Hand uns tastete meine geschwollene Gesichtshälfte ab. Die Stelle schmerzte nach wie vor und ein unangenehmes Pochen erinnerte mich von neuem daran, wie das Arschloch vor mir einfach zugeschlagen hatte.

Das einzige, was mich vor einem weiteren Wutausbruch meinerseits abhielt, was die Tatsache, dass sich Mika unauffällig immer wieder über seine rechte Faust fuhr, welche ebenfalls angeschwollen aussah. Ich versuchte mich auf die Straße zu konzentrieren und ein wenig schneller voran zu kommen. Ich wollte das hinter mich bringen, um jeden Preis.

AuroraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt