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Henry POV

Ich folgte dem Vater von Alex über die Veranda, deren alte Dielen unter meinen Füßen knirschten, in den kleinen Garten. Ich versuchte unauffällig mit meinem Ärmel das Blut von meiner Wange zu tupfen, wobei mein bereits besudeltes Hemd noch weiter beschmutzt wurde.

Wie sollte ich im direkten Gespräch mit diesem Mann auch nur annähernd die richtigen Worte finden, um ihm zu verstehen zu geben, dass ich nicht mehr der Mensch war, welcher all diese schrecklichen Dinge getan hatte?

Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt und ich spürte wie der heiße Sommertag langsam von der Dämmerung gedämpft wurde. Es tat gut, zu spüren, wie diese brennende Hitze langsam abebbte und Ruhe einzukehren schien.

Nur nicht in mir.

Ich folgte ihm auf einen schmalen Pfad, der vom Garten aus auf einen steinigen Feldweg führte, der breit genug war um nebeneinander zu gehen und versuchte zu ihm aufzuholen. Unsere Schritte verursachten ein leises Knirschen, ansonsten war nur das leise Zirpen einiger Grillen zu hören.

Ich holte tief Luft und wollte gerade ansetzten, als er jedoch mir rauer Stimme zu sprechen begann. Ich hatte erwartet, dass er mich mit Vorwürfen überschütten würde, oder mich anschreien würde, wie ich- ausgerechnet ich es wagen konnte, seiner Tochter auch nur in die Nähe zu kommen. Doch was er sagte überraschte mich.

„Das mit deiner Mutter tut mir aufrichtig leid."

Es dauerte bis ich die Bedeutung seiner Worte erfasst hatte, doch dann drehte ich den Kopf und sah in seine ehrlichen Augen. Ich versuchte abzuschätzen, wie viel er über das wusste, was er gerade ansprach.

Ich bezweifelte, dass er auch nur die Oberfläche von dem erahnen konnte, für was er gerade sein Beileid aussprach. Trotzdem musste ich es ihm hoch anrechnen, dass er nach all dem, was zwischen uns stand, noch so etwas wie Mitleid für mich empfinden konnte.

„Weißt du, wie es ihr geht?"

Ich biss die Zähne zusammen und versuchte ruhig und beherrscht zu bleiben. Ich hatte heute schon zu oft meine Fassung verloren gehabt. Außerdem war das ein Thema, mit welchem ich nach all den Jahren Frieden geschlossen hatte.

Oder es zumindest gelernt habe, zu akzeptieren.

„Sie hat sich das Leben genommen."

Er sog scharf die Luft ein und richtete sein Blick dann auf die Landschaft, welche sich vor uns erstreckte, wie ein verdunkeltes Gemälde. Kein Häuser, nur Natur und ein paar Felder. Es musste schön sein, hier zu leben. Besonders, wenn man nur von den Menschen umgeben war, welche man liebte.

„Das... das wusste ich nicht." Alex Vater schien die Tatsache, dass meine Mutter Selbstmord begangen hatte, mehr zu treffen, als ich vermutet hatte.

„Kannten Sie sie?"

Er lächelte matt, doch die Geste schien seine Augen nicht erreichen zu können.

„Wozu die Formalitäten Junge? Ich glaube wir haben die Grenze der förmlichen Distanz schon weit hinter uns gelassen. Nenn mich einfach Karl, ja? Und nein, ich habe ein Bild von deiner Mutter gesehen, aber kennengelernt habe ich sie nie. Aber soweit ich mich erinnere, musst du viele ihrer Gene geerbt haben."

Er deutete auf mein Gesicht und ich wusste was er meinte. Die dunklen Haare, die blassgrünen Augen, die hohen Wangenknochen. Jedoch hatten sich in ihre rassigen Züge, die Kantigen meines Vaters gemischt.

Alles was an mir rau und hart wirkte, war bei ihr weich und sanft gewesen.

Es war kein Wunder, dass ihre fast alle Männer hinterhergesehen haben, meinen Vater eingeschlossen. Selbst als sie die 30 schon überschritten hatte, war sie bezaubernd gewesen. In meinen Erinnerungen wirkte sie fast elfenhaft.

AuroraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt