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Henry POV

Ich biss die Zähne zusammen und sog zischend die Luft ein, als Mika das Tuch, welches mit dem beißenden Alkohol getränkt war, erneut über mein Gesicht tupfte. Seine Hand war bereits notdürftig verbunden und ich spürte, dass er Rechtshänder sein musste.

Oder drückte er mit Absicht viel zu fest auf meine geschundene Haut?

Anne hatte bedächtig ein altes Laken in Streifen geschnitten, bevor sie Mikas Wunde versorgt hatte. Ihre Bewegungen waren routiniert gewesen und sie hatte fast schon liebevoll über Mikas bandagierte Hand gestrichen, bevor sie den Raum verließ.

Vermutlich sah sie in ihm den perfekten Schwiegersohn.

Und auch sonst hatten alle hier Mika behandelt, als wäre er ein Teil dieser Familie. Es war ja nicht so, als würde ich diesen Menschen ihre Zuneigung nicht gönnen, aber nicht desto Trotz spürte ich eine tiefe Eifersucht in mir aufsteigen.

Oder war es Sehnsucht?

Meine Anwesenheit versuchte Anne hingegen auszublenden. Nachdem sie heute Nachmittag im Flur des kleinen Hauses zusammengebrochen war, hatte sie mich keines weiteren Blickes gewürdigt. Jede ihrer Gesten und ihrer Blicke gab mir zu verstehen, dass ich alles andere als willkommen hier war.

Und selbst ich fühlte mich in dem kleinen Haus, welches so voller herzlicher Erinnerungen war, fremd und fehl am Platz. Der einzige Grund, warum ich hier, in dem gemütlichen Wohnzimmer der Familie Triez saß, war die Tatsache, dass ich ein Stück mehr über Alex verschwinden wusste, als die anderen hier.

Immerhin wusste ich, warum sie von all dem hier geflohen sein musste.

Wegen mir! Wenn es schon für mich unerträglich war hier zu sitzen und von diesen Menschen umgeben zu sein, welche vermutlich in ihrem ganzen Leben immer nur das Beste füreinander gewollt hatten... wie musste sie sich dann erst gefühlt haben?

Unerträglich!

Nachdem Anne den beiden Jungen, welche unverkennbar Alex jüngere Geschwister sein mussten, Essen aufgetischt hatte, versorgte sie Mikas Wunde und verließ dann das Zimmer. Und Mika hatte sich ohne zu fragen das Tuch geschnappt und nach der Flasche mit dem Desinfektionsmittel gegriffen.

„Das wird wohl ein bisschen weh tun." Sagte er und drückte das Tuch auf die Öffnung der Flasche, bevor er diese kurz kippte und das Ethanol den Stoff drängte. Ich hatte nicht wirklich Interesse dran, dass die aufgeplatzte Haut in meinem Gesicht gereinigt wurde, aber Mika wirkte fest entschlossen, als er seine Hand nach meinem Gesicht ausstreckte.

In Anbetracht der aktuellen Situation schien mir das kleine Wehwehchen in meinem Gesicht völlig bedeutungslos und selbst meine Wut auf Mika war abgeebbt. Stattdessen hatte sie einem Gefühl der Beklommenheit den Weg geräumt.

Was tat ich hier bloß?

Ich starrte zum tausendsten Mal auf das Display meines Handys, doch auch in den letzten paar Sekunden war kein Lebenszeichen von Alex auf meinem Messenger eingegangen. Sie schien meine Nachrichten und Anrufe nicht mal zu empfangen und ich fragte mich ununterbrochen, ob sie einfach nur ihr Handy ausgeschaltet hatte, oder in Schwierigkeiten war.

Ich fluchte gedämpft auf, als Mika begann die Wunde zu säubern, welche er mir selbst vor nicht einmal drei Stunden zugefügt hatte. Aber zumindest riss mich der brennende Schmerz aus meinem düsteren Gedanken.

„Hör zu..." Mika sprach mit gedämpftem Ton und seine haselnussbraunen Augen versuchte meinen Blick einzufangen.

„Ich weiß ja nicht was hier gerade abgeht, aber falls du auch nur zu einem winzigen Teil das alles geplant haben solltest..."

AuroraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt