Kapitel 35 | Ich bin da.

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Donnerstag, 04.07.2019

Hunter

Auf der Fahrt zum Krankenhaus schaute ich an der Ampel in den Autospiegel. Meine Augen waren rot. Ich sah scheiße aus, aber das war mir egal. Ich hab kein Auge zu bekommen, ich wollte nur zu ihr. Um vierzehn Uhr beginnt die Besuchszeit auf der Intensivstation. Dort, wo jeden Moment alles passieren kann, gelten strenge Regeln. Ich darf bis 18 Uhr bei ihr bleiben, länger nicht.

Wie gern ich jetzt mit ihr irgendwo wäre, alleine. Irgendwas tun, was man halt macht, wenn man keine Sorgen hat. Nur wir alleine, einfach alles mal vergessen und ein Tag entspannen, ist das denn so viel verlangt?

Vor dem Krankenhaus angekommen blieb ich erstmal eine Weile im Auto und schaute nach vorne. Mit schweren Schritten ging ich durch den selben kühlen Gang wie gestern Nacht. Ich sah nach rechts wo viele Stühle standen, wo ich stundenlang gehofft und gezittert habe. Es war nicht viel los nur lauter traurige Gesichter, die einfach warteten. Ich musste zuerst meine Hände desinfizieren und dann durfte ich zu Zimmer 14 auf der Intensivstation. Ich ging an vielen Zimmern vorbei mit noch mehr Schicksalen und mit piepsenden Geräten. Ein paar Schwestern grüßten mich als sie an mir vorbei liefen.

Leise betrat ich ihr Zimmer, so leise, als könnte ich sie erschrecken. Im karierten Krankenhemd lag sie im Bett. Sie sah ganz anders aus als noch vor ein paar Stunden. So friedlich und entspannt. Ihre Gesichtsfarbe ist sehr blass, aber immernoch besser als die von gestern und nirgendwo ist mehr Blut.

"Luciana Engel, ich bin da. Ich hab doch gesagt ich lasse dich nicht alleine. Wie fühlst du dich?"

Keine Antwort. Keine Bewegung. Nicht mal ein Zucken. Nichts. Was hatte ich auch erwartet? Dass sie jubelnd aus dem Bett springt?

Ich küsste ihre Stirn und streichelte ihre Hand. Sie war warm, nicht mehr so schrecklich kalt wie gestern. Ich hatte mir vorgenommen, stark zu sein, nicht zu weinen. Aber ich kann das nicht steuern. Sie liegt einfach so leblos da und ich konnte nichts tun. Eine kleine zierliche Schwester kam ins Zimmer und sah mich länger als nötig an.

„Ich bin Schwester Hailey."

Sie schreckte ihre Hand aus, doch ich nickte ihr nur zu und schaute wieder zu meiner wunderschönen Freundin. Keine Frau kam an ihr ran. Sie war die schönste Frau in der Welt für mich. Die Schwester checkte die Geräte an denen Luciana angeschlossen war.

"Sie wird künstlich beatmet, weil sie nicht selbstständig atmen kann. Wir geben ihr Stresshormone für den Blutdruck auch Kreislauftabletten und viel neues Blut bekommt sie, weil sie so viel verloren hat. Außerdem benötigt sie momentan sehr viel Sauerstoff."

"Sie wird doch wieder oder?"

"Der Arzt wird später zu Ihnen kommen und wird all Ihre Fragen beantworten"

Sie ging raus bevor ich auch nur was sagen konnte. Dir Tür fiel ins schloss und ich schaute wieder zu Luciana.

"Hab keine Angst."

Ich flüsterte diese Worte Immer wieder.

„Hab keine Angst. Alles wird gut. Du wirst wieder gesund. Ruh dich aus. Ich bin bei dir. Jede Sekunde. Ich bin immer bei dir. Hörst du? Du kannst mich jetzt nicht verlassen, Luciana."

Ich küsste ihre Wange und schaute ob ihr Gesicht mir eine Antwort gibt, eine Regung zeigt aber nichts. Als der Arzt ins Zimmer kam, erhob ich mich und ging mit ihm nach draußen.

"Ihr Zustand ist nach wie vor sehr kritisch.
Sie wäre fast innerlich verblutet. 85% der Menschen, denen das passiert, sterben in sehr kurzer Zeit. Sie hatte unfassbar großes Glück, weil der Krankenwagen schon Vorort war. Das Blut, das in ihre Lunge reinlief ist wie Gift für sie gewesen. Also lebensgefährlich. Die Blutung konnten wir stoppen, nun müssen wir sehen, ob sich ihr Körper davon erholen kann. Das wird einige Zeit dauern."

"Was glauben Sie, wie lange etwa?"

Er warf mir einen prüfenden Blick zu. Es muss die falsche Frage gewesen sein. Wahrscheinlich, weil jede Frage die falsche Frage ist.

"Mr. Ragucci, wir sind auf der Intensivstation, Ich wäre froh, wenn ich wüsste, was hier in den nächsten zehn Minuten passiert."

Mit diesem Satz ging er wieder weg und ich ging wieder in Lucianas Zimmer. Das Schicksal hasste uns oder warum passiert das alles uns? Momentan darf keiner außer Lucian und ich Luciana besuchen, weil das für sie zu riskant wäre. Ich kam damit klar aber bei den anderen wusste ich nicht, war mir aber auch egal. Ich legte meine Hände um ihre Hand und küsste sie immer wieder.

"Ich will meine erste Tochter gerne Zana nennen, so hieß meine kleine Schwester, sie wäre heute 16 geworden. Ich wünschte ich könnte sie noch einmal in den Arm nehmen und ihr einfach sagen wie sehr ich sie liebe. Es schmerzt in meinem Herzen schon bei dem Gedanken, dich zu verlieren. Ich hab immernoch psychische Probleme, ich kann mittlerweile mit ihnen umgehen aber es ist schwer, wenn ich in deiner Nähe bin dann vergesse ich was passiert war und ich bin wie ein neuer glücklicher Mensch. Krass oder? Ich hätte auch nie gedacht, dass mir sowas passiert."

Ich legte mein Kopf auf ihre Hand die mit meinen Händen umhüllt war und schloss meine Augen. Wir schaffen das Luciana.
Plötzlich fingen die Maschinen an schnell zupiepen, ich stand auf und ging zurück, ich schaute zu der Tür wo drei Ärzte hektisch rein kamen, ich wurde von zwei Schwestern nach draußen geschoben.

"Was passiert mit ihr?"

Sie schlossen die Tür vor meiner Nase und ich wollte durch das Fenster durch sehen doch auch das wurde runter gemacht, ich ließ meine Wut an einem Stuhl auf der vor dem Zimmer stand und schmiss ihn zu Boden. Dann boxte ich in die Wand und hörte das knacken. Eine Schwester kam zu mir angelaufen, genau die die vorhin auch da war. Mandy? Maley? Keine Ahnung.

"Setzten Sie sich bitte, Sir."

Sie packte grade mein Arm doch ich entriss ihn von ihren Griff und lief nach draußen.
Hab ich was falsch gemacht? Hab ich was falsches gesagt? Ist sie deswegen in Panik geraten? Ich raufte mir meine Haare und tritt gegen den Reifen von irgendeinem Auto und direkt fing dir Alarmanlage an.

"Verflucht."

Ich setzte mich auf einen der Stufen vor dem Krankenhaus und vergrub mein Gesicht in meine Händen. Ich darf sie nicht verlieren, ich darf sie einfach nicht verlieren. Wir waren so weit gekommen jetzt darf sie mich nicht verlassen. Nachdem ich mich halbwegs beruhigt, betrachtete ich meine Hand, ist schon okay, ich stand auf und ging wieder rein. An der Intensivstation angekommen sah ich wie einer der Ärzte aus Lucianas Zimmer raus kaum, ich rannte schnell zu ihm.

"Und? Was hatte sie? War ich daran schuld? Was ist passiert?"

"Ihre Wunde fing wieder an zu bluten, sie hat wohl was in dem Moment gesehen oder gespürt aber wir konnten es zum Glück sehr schnell stoppen."

Ich seufzte, nickte aber dann und der Arzt ging. Was machst du nur Luciana? Sag es mir, gib mir ein Zeichen das es dir gut geht. Ich ließ mich auf einen der Stühle sacken und holte schon wieder Upper raus. Ich nahm mir vier Pillen raus und schluckte sie dann bevor mich noch irgendwer sieht.

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