Kapitel 7

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23.02.2020

Christina

7:30 Uhr. Müde fahre ich mir mit einer Hand durch das Gesicht und brauche ein paar Sekunden, um zu realisieren, dass ich mich in der Schweiz in einem Hotel befinde. Warum noch mal haben Luca und ich es gestern für eine gute Idee gehalten, schon um 9 Uhr mit dem Training zu beginnen? Ich raffe mich auf und mache mich langsam auf den Weg in Richtung Badezimmer. Noch im Halbschlaf taste ich mich vorwärts und stoße prompt meinen Knöchel am herausstehenden Sockel der Säule mitten im Raum an. Ich jaule auf und fasse mir aus Reflex direkt an das Fußgelenk. Ich bin definitiv kein Morgenmensch, stelle ich murrend fest, bevor ich humpelnd meinen Weg fortsetze. Mein Gehirn ist noch nicht so weit im Arbeitsmodus, dass es realisiert, dass es vielleicht schlau gewesen wäre den Knöchel direkt zu kühlen. Aber als Tänzerin ist man hart im nehmen. Auf den einen Bluterguss mehr oder weniger kommt es letztendlich auch nicht mehr an.  Während ich im Bad meinem müden Spiegelbild in die Augen blicke, kehren die Erinnerungen an gestern Abend zurück.
Luca hat mir sein Lieblingsrestaurant gezeigt, in welchem wir letztendlich dann auch gegessen haben und ich mich köstlich über Luca amüsiert habe, denn seine Liebe zu Essen ist wirklich unbeschreiblich. Wenn ich seine Freundin wäre, würde ich mir ernsthafte Gedanken machen. Freundin ist ein gutes Stichwort. Während dem Essen haben wir uns über alle möglichen privaten Dinge unterhalten, um uns möglichst schnell kennenzulernen. Nur ein Thema war absolut Tabu: Michèle. Schon nachmittags hat mich das seltsame Gefühl beschlichen, dass die zwei einige Probleme haben, welche Luca sehr belasten, er es aber nicht zugibt. Ich weiß, dass mich sein Privatleben eigentlich absolut nichts angeht, aber in diesem Fall habe ich die Befürchtung, dass es sich negativ auf seine Konzentration und somit auch die Show auswirken könnte. Ob er will oder nicht, er muss sich damit auseinandersetzen, denn so wie es jetzt gerade aussieht wird diese Beziehung meiner Meinung nach nicht halten und das wäre wirklich sehr Schade. Ich kenne Michèle zwar nicht persönlich, aber sie hat Luca im letzten Jahr hinter den Kulissen immer unterstützt, egal was er getan hat und genau das zeigt mir, dass sie es ernst meint mit ihm.
Und schon wieder bin ich auf der psychologischen Ebene gelandet. Manchmal habe ich ihn einfach und kann nichts dagegen tun. Den Psychologen-Blick. Ich verabscheue ihn, denn meistens lande ich dann bei Gedanken, die ich eigentlich gar nicht haben will. So wie gerade eben.
Aber zurück zum eigentlichen Punkt. Nachdem Luca darauf bestanden hat mein Essen auch zu bezahlen, hat er mir noch die wunderschöne Altstadt bei Nacht gezeigt. Vor Luca würde ich es zwar nie zugeben, aber ich muss wirklich sagen, dass mich Bern schwer beeindruckt hat.
Schon wieder reißt mich ein Geräusch aus meinen Gedanken. Mein Handy klingelt. Ich laufe so schnell ich kann, mit meinem immer noch schmerzenden Knöchel, zurück ins Schlafzimmer. Luca.
„Was ist denn jetzt los?", begrüße ich ihn in einem etwas zu unwirschen Ton. „Wohoow ganz ruhig. Ist da etwa jemand mit dem falschen Fuß aufgestanden? Dir auch einen wunderschönen Guten Morgen Christina!", höre ich Lucas ironische Stimme am anderen Ende der Leitung. „Eigentlich wollte ich nur fragen, ob ich dich abholen soll, damit du nicht laufen musst, aber ich glaube ich habe es mir soeben anders überlegt." Laufen? Zur Tanzschule? In meinem, sagen wir mal nicht ganz einwandfreien Zustand? Oh nein nein nein. „Es tut mir Leid Luca. Kannst du mich bitte abholen kommen?", flehe ich ihn an. „Ich habe Mist gebaut...ach lange Geschichte ich erklärs dir später. Auf jeden Fall bin ich nicht gut zu Fuß unterwegs." Ich höre wie Luca zischend die Luft einzieht. „Was hast du angestellt? Ich bin in 20 Minuten bei dir." Und sofort legt er auf. Na super. Jetzt musst du dich aber sputen Christina.

Exakt 18 Minuten später klopft es an meiner Hotelzimmertüre. „Ich kommeee!", schreie ich so laut ich kann, in der Hoffnung, dass Luca mich hören kann.
Stöhnend kämpfe ich mich bis zur Tür. Kann der erste Trainingstag noch bescheuerter starten? Kaum habe ich die Klinke heruntergedrückt und die Türe geöffnet schiebt sich ein besorgter Luca in mein Sichtfeld. Ich bedeute ihm rein zu kommen und er folgt mir langsam in Richtung Sofa. Erneut zieht er zischend die Luft ein, als er das Elend mit seinen eigenen Augen sieht. „Setz dich hin!", befiehlt er mir in einem liebevollen Ton. „Luca wirklich das geht schon wieder ich habe... AUA!", empört schaue ich Luca an welcher ganz sanft mit seiner Fußspitze gegen meinen Knöchel gestupst hat. „Ja ich sehe wie das geht. Du sollst dich hinsetzen habe ich gesagt." Diesmal unterstreicht er seine Worte, indem er mich an den Schultern packt und runter drückt. „Du rührst dich nicht von der Stelle, ansonsten tanze ich keinen einzigen Tanzschritt mehr mit dir." Das hat gesessen. Er weiß genau, dass ich mich jetzt nicht mehr traue auch nur den kleinen Finger zu bewegen. Triumphierend grinst er mich an und greift zum Telefon um in der Lobby nach Kühlpads zu fragen. „Ich bin in 5 Minuten wieder da. Und denk an meine Drohung. Ich meine es wirklich Ernst.", und schon schnappt er sich meine Zimmerkarte und ist verschwunden. Ich lasse mich stöhnend nach hinten fallen. So hatte ich mir unseren ersten Trainingstag definitiv nicht vorgestellt und das alles nur, weil ich zu dumm war meine Augen zu öffnen.
Ich zucke zusammen als ich höre wie die Türe wieder geöffnet wird und setze mich auf. Herein kommt ein strahlender Luca, der alles Mögliche in seinen Händen trägt. Skeptisch schaue ich ihm dabei zu wie er seine neuen Utensilien auf dem Wohnzimmertisch verteilt. Er greift nach einem Kissen, welches er ebenfalls sorgfältig an der Kante des Tisches drapiert, ehe er vorsichtig meinen Fuß anhebt und sanft auf dem Kissen niederlässt. Gerührt beobachte ich, wie er genauestens meinen Knöchel inspiziert und dabei immer mal wieder leise Geräusche von sich gibt. „Und Herr Doktor, wie sieht's aus? Arg schlimm?", erkundige ich mich jetzt belustigt bei ihm. Aber Luca wirft mir bloß einen bösen Blick zu und ich gebe mich geschlagen. Erneut lege ich meinen Oberkörper nach hinten auf dem Sofa ab und lasse ihn einfach machen. Stöhnend halte ich die Luft an, als er plötzlich etwas kühles um mein Bein wickelt. Im gleichen Moment bemerke ich aber auch wie gut es tut, schließe die Augen und entspanne mich langsam. Ich spüre wie sich neben meinem Kopf das Sofa senkt. „Wird's besser?", erkundigt sich Luca besorgt und fährt mir einmal sanft durch die Haare. Ich nicke bloß. Wie kann ein Mensch so unfassbar fürsorglich sein, obwohl wir uns eigentlich kaum kennen? Ohne die Augen zu öffnen lege ich meine Hand dankbar auf sein Knie neben mir und fahre mit meinem Daumen auf und ab. Genau so, wie er es auf meinem Arm tut. Nach etwa 15 Minuten Stille löst er meine Hand von sich, steht auf und widmet sich wieder meinem, jetzt deutlich weniger angeschwollenen, Knöchel.

Dangerous StormWo Geschichten leben. Entdecke jetzt